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Ukraine gratuliert Boris Johnson„Lächerlich“? Wohl kaum

Boris Johnsons Kritiker sind empört, dass der im Amt gerettete britische Premierminister Glückwünsche aus Kiew beansprucht. Aber die gibt es wirklich.

„Wichtiger Alliierter“: Boris Johnson mit Ukraines Präsident Selenski in Kiew, 9. April Foto: Ukrainian Presidential Press/reuters

Berlin taz | Die Empörung in gewissen Londoner Milieus war groß, als am späten Montagabend Großbritanniens Bildungsminister Nadham Zahawi den Sieg des Premierministers Boris Johnson bei der Vertrauensabstimmung der regierenden Konservativen mit einem Verweis auf die Ukraine kommentierte.

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenski, behauptete Zahawi, werde vor Freude „die Faust in die Luft recken, weil morgen früh sein großer Verbündeter Boris Johnson Premierminister sein wird“.

Auf Twitter hagelte es Häme und Kritik: „Verrückt“, „ekelhaft“, „lächerlich“ gehörten noch zu den höflicheren Kommentaren, und Johnson wurde vorgeworfen, die Ukraine zu instrumentalisieren.

Das Problem mit dieser Kritik: Zahawi hatte recht.

Keine Stunde nach der Verkündigung von Johnsons Sieg gratulierte Selenskis Chefberater Mychailo Podoljak per Twitter: „Führung ist immer eine schwere Last. @BorisJohnson war einer der Ersten, der die Bedrohung erkannte und mit @ZelenskyyUa stand, um die freie Welt vor barbarischer Invasion zu schützen. Die Welt braucht solche Führer.“

Und am Dienstag legte Selenski persönlich nach: „Ich bin froh, dass wir einen wichtigen Alliierten nicht verloren haben, das ist eine tolle Nachricht“, sagte der ukrainische Präsident auf einer virtuellen Konferenz der Financial Times. Boris Johnson sei „ein wahrer Freund“.

Solches Lob ist für den bedrängten Premier selten geworden. Vor der Londoner St.-Pauls-Kathedrale wurde Boris Johnson am vergangenen Freitag bei dem Gottesdienst für das 70. Thronjubiläum der Queen von einigen Zuschauern ausgebuht.

Fast genau acht Wochen vorher, am 9. April, war Boris Johnson in Kiew bejubelt worden, als er als erster westlicher Regierungschef seit Kriegsbeginn die ukrainische Hauptstadt besuchte und mit Selenski zusammen durch die Straßen ging.

Aus Sicht der Ukraine ist Großbritannien der wichtigste Verbündete in Westeuropa. Schon vor Kriegsbeginn lieferte London tausendfach panzerbrechende Raketen nach Kiew. Ohne die frühere Aufrüstung aus Großbritannien hätte die Ukraine die erste Phase des russischen Angriffs nicht überstanden.

Auch seitdem liefert die britische Regierung nicht etwa ausrangiertes Kriegsgerät wie Deutschland, sondern hochmoderne Rüstung aus eigener Produktion.

Kiew weiß den Unterschied zu schätzen – und es wäre erstaunlich, würde Boris Johnson diesen klarsten außenpolitischen Erfolg seiner Amtszeit nicht auch innenpolitisch nutzen.

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16 Kommentare

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  • In Krisen lernt man, wer Freund ist und wer Feind. Selenski hat dafür inzwischen einen sehr klaren Blick, auch wenn es den Deutschen nicht gefällt.

  • Wenn mein Haus brennt, mache ich mir über die Ideologie der Feuerwehrleute, die mich retten, keine weiteren Gedanken.



    Dabei hat die schnelle Lieferung panzerbrechender Waffen Tausende von Menschenleben geschützt. Die Raketen auf Kiew und die Artillerieangriffe auf die Vororte haben die Briten an die Zerstörung von Coventry und Teilen Londons während des Blitz erinnert.



    Dieser antifaschistische Reflex ist tief im Bewusstsein der Briten verankert und wurde von Johnson aufgegriffen.



    Das wird den PM innenpolitisch nicht retten, aber wenn ich in der Ukraine um mein Überleben kämpfte, wäre ich genauso dankbar.



    Etwa eine Millionen Ukrainer wurden nach Russland zwangsdeportiert, reguläre Soldaten, Opfer des russischen Überfalls, werden in Filtrationslagern gefoltert und sollen wegen Kriegsverbrechen angeklagt (und zu Tode verurteilt) werden, laut UNO haben während des Krieges zwei Drittel aller Kinder ihren sicheren Aufenthalt verloren! Das ist der Kontext, der obige Bericht gibt nur die Fakten wieder.



    Was die verbreitete hiesige Ignoranz zur Geschichte der Ukraine angeht, verweise ich auf den Artikel von Timothy Snyder im Spiegel.



    Und was den Charakter von Politikern angeht, erinnere ich an jene Churchill-Zitate, die an Rassismus nicht zu übertreffen sind. Jener Churchill, ohne den es kaum eine frühe US-Intervention und einen D-Day gegeben hätte.

    • @Ataraxia:

      "Opfer des russischen Überfalls, werden in Filtrationslagern gefoltert"

      Das wäre entsetzlich! Gibt es schon in jeder Hinsicht dafür belastbare Belege?

      Solch bestialische Schandtaten müssen gnadenlos bestraft werden.

  • "Führung ist immer eine schwere Last. @BorisJohnson war einer der Ersten, der die Bedrohung erkannte und mit @ZelenskyyUa stand, um die freie Welt vor barbarischer Invasion zu schützen. Die Welt braucht solche Führer.“

    WOW!

  • Da haben sich zwei zu einer Männerfreundschaft zusammengefunden. Das verspricht nichts Gutes.

  • Die Konservativen sehen im Krieg halt eine Chance, normale Menschen sehen im Krieg nur Elend.

    • @Kappert Joachim:

      Danke!!!



      Auf den Punkt gebracht!

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Wer hätte jemals gedacht, dass eine englische Regierung mit rechtsextremen Ministern bei TAZ-Journalisten derartige Lorberen einfahren kann.

    • @2422 (Profil gelöscht):

      Ja, das ist das Seltsame.

      Die Konservativen unterstützen den Kampf gegen Faschismus und Imperialismus, während die Linken sich in Diskussionen verheddern und nichts richtig auf die Reihe kriegen.

  • Wo er Recht hat, hat er Recht. Die Welt braucht solche Führer! Realsatire geht anders. Ohne Fleiß kein Preis, und über Bande ist auch eingelocht.

  • Dieser Artikel ist mir etwas sehr einseitig.



    So als wäre Waffenhandel, Krieg und Gewalt wiedespruchslos.



    Sowie die Entscheidung der Tories den Boris Johnsson in Position zu behalten.



    So als hätte der Verfasser alle Antworten auf die Krise - was ich nicht glauben kann.

    • @Nilsson Samuelsson:

      Wegen den Artikeln des Verfassers habe ich seit Jahren kein Taz-Abo mehr. Da meine Reaktion auf einen dieser Artikel war: "Für derartigen Schund bezahle ich kein Geld."



      Schuss ins Knie. Nun denn.

  • Weshalb die taz konsequent Selenskyjs Namen verunglimpft, geht mir nicht in den endlichen Schädel. Der Mann heißt

    Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj.

    Die russische Schreibweise ist

    Wladimir Alexandrowitsch Selenski.

    "Wolodymyr Selenski" ist,… keine Ahnung, was das sein soll. Die totale Fehlpeilung vielleicht.

    de.wikipedia.org/w...olodymyr_Selenskyj