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Ukraine-Krieg und ÖffentlichkeitFortschreitende Apathie

Gemma Teres Arilla
Kommentar von Gemma Teres Arilla

Der Krieg eskaliert weiter, aber die Aufmerksamkeit schwindet. Das ist eine bedenkliche und gefährliche Entwicklung.

Cherson, Ukraine am 9. Juni: überflutete Straßen nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Foto: Vladyslav Musiienko/reuters

D ass „die Angaben sich nicht unabhängig überprüfen lassen“, ist wahrscheinlich einer der meistwiederholten Sätze seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Der Krieg vernichtet Menschenleben, Wohnraum, öffentliche Einrichtungen und, wie die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der südukrainischen Region Cherson gezeigt hat, auch die Natur.

Aber es ist auch ein Krieg um die Narrative – sowohl Russland als auch die Ukraine nutzen ihre Informationskanäle, um ihre Sicht auf das Kriegsgeschehen in der eigenen Bevölkerung und in der Welt zu verbreiten. Und das ist auf Dauer gefährlich, denn wenn die Öffentlichkeit keinen direkten Bezug zu diesem Krieg hat, verliert sie, mehr als ein Jahr nach Beginn, das Interesse und die Empathie für das angegriffene Land.

Das ist kein gutes Zeugnis für die Medien. Die fortschreitende Apathie, Gleichgültigkeit und das mangelnde Interesse am Nachrichtengeschehen sind auch eine Folge dieses Krieges, und das in europäischen Gesellschaften, die zunehmend von rechts regiert werden.

Politik hat ein Ablaufdatum, und die herrschende einvernehmliche Solidarität mit der Ukraine und die Meinung, dass nur Kyjiw zum Verhandlungstisch rufen darf, könnten nach der US-Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr deutlich wackeln.

Auch die russisch besetzten Gebiete leiden

Die Zerstörung des Staudamms ist in erster Linie eine Umwelt- und eine humanitäre Katastrophe. Jedoch gucken wir weg – europaweit. Viele schalten sofort aus, sobald sie das Wort „Ukraine“ hören: „Ja, Krieg, ich weiß …“, fügen sie hinzu. Das ist gefährlich. Wir haben uns an die „Kriegsnormalität“, ja an eine „Zerstörungsnormalität“ mitten in Europa gewöhnt. Kriegs- und Informationsmüdigkeit ist mittlerweile die Regel in allen europäischen Ländern. Die aufgeheizten Diskussionen und Proteste, die vor einem Jahr ihren Höhepunkt gehabt haben, sind vorbei. Währenddessen leiden und sterben unschuldige Zivillisten.

Sowohl die Ukraine als auch Russland haben die Genfer Konvention unterschrieben. Wer hinter der Kachowka-Katastrophe steckt, der muss zur Rechenschaft gezogen werden. Wie bei allen anderen Kriegsverbrechen des Ukraine-Krieges.

Als Folge der Dammzerstörung könnte die russische Armee eventuell leichter die angekündigte ukrainische Gegenoffensive stoppen. Jedoch leiden besonders die von Russland besetzten Gebiete auf dem linken Ufer des Dnipro unter Überschwemmungen, und auch die Wasserversorgung der 2014 von Moskau völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim steht auf dem Spiel. Argumente für die jeweiligen Schuldzuweisungen findet man auf beiden Seiten.

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Gemma Teres Arilla
Leitung taz Panter Stiftung
Jahrgang 1982, ist Leiterin der taz Panter Stiftung. Zuvor war sie stellvertretende Auslandsressortleiterin und taz-Europa-Redakteurin. Bei der taz hat sie im Mai 2022 als Themen- und Nachrichtenchefin angefangen. Sie berichtet seit 2005 als freie Korrespondentin für Tageszeitungen, Fernseh- und Radiosender über Deutschland, Zentral- und Osteuropa. Ihre Karriere als Journalistin hat sie in Spanien gestartet und an der FU Berlin hat sie sich auf Osteuropa und Russland spezialisiert. Mehrere multimediale Projekte hat sie initiiert und durchgeführt, um Mehrsprachigkeit, Vielfalt und Toleranz in der Gesellschaft zu fördern.
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38 Kommentare

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  • Gesunde Reaktion. Das Gehirn gewöhnt sich an alles, um unsere Psyche zu schützen. Permanenter Ausnahmezustand ist ungesund für uns, und wir haben den Luxus, den Krieg nur medial zu erleben. Wichtig ist, trotzdem weiter zu unterstützen.

  • Nein meine Aufmerksamkeit schwindet nicht und mir ist klar, dass Putin und der Kreml keine Ruhe geben wird, bis sie gestürzt sind. Das muss militärisch durchgesetzt werden.



    Selbstverständlich hat die russische Seite den Staudamm gesprengt, um die ukrainischen Gebiete Getreide zu zerstören. Weil es um das Zerstören geht.

    • @Land of plenty:

      bin ganz Ihrer Meinung.

  • Gut, dass die Menschen kriegsmüde sind.



    Was wäre bitte das Gegenteil?

    • @WoAl:

      Deutschland ist nicht im Krieg, kann daher auch nicht kriegsmüde sein. Wichtig ist die Unterstützung der Ukraine aufrechtzuerhalten.

  • Dem steht ironischerweise eine einzige Sache entgegen: Putins Großmannssucht. Es müssen halt besonders drastische Knalleffekte für die Heimatfront produziert werden, und dann repariert man einen beschädigten Damm dann halt auch mal monatelang nicht, bzw hilft sogar mt ein paar Sprengladungen nach. Und alles für die Einschaltquote...

    Das untergräbt zwar Putins Versuch, insbesondere in der EU den Eindruck zu erwecken, der Krieg würde gar nicht wirklch stattfinden -aber letzten Endes ist jedem modernen Diktator die Macht über das "eigene" Volk wichtiger als der Einflluss im Ausland. Und im Gegensatz zu Kim, der mit einem Atombombentest die Aufmerksamkeit im In- und Ausland erregen kann, wenn er sich mal wieder für nicht wichtig genug genommen hält, muss Putin sich entscheiden. Auf weitere Groteskerien der Invasoren kann man sich also einstellen.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Immerhin einige Kommentierungen. Ich lese die Meldungen. Videos sind auf dauer mehr ergreifend und daher um so mehr "ermüdend". Wäre doch interessant, wenn zu diesem Artikel eine Abrufstatistik verfügbar wäre ...



    Die Ermüdung ist auch ein stilles Ausweichen vor der ernüchternden Konfrontation mit den massiven Risiken und daher gefürchteten schlechten Aussichten, die nicht nur für die Ukraine bestehen. Diktaturen "funktionieren" durch mentale Lähmung mittels Dauerterror. Krieg ist eine "Terror-Diktatur" - und die Ursache der planetaren Katastrophe.

    -> >>Ukrainekrieg: Läuft die Gegenoffensive? Interview Ralph Thiele, Militärexperte

    • @31841 (Profil gelöscht):

      Vielen Dank für Ihre klugen Ausführungen.

  • 8G
    80410 (Profil gelöscht)

    Keine Ahnung was hier erwartet wird. Die Nachrichtenflut und schiere Anzahl der aktuellen Krisen, die es zu beachten gilt, sind gewaltig. Aus jeder Ecke bekommt man von altklugen Journalisten an den Kopf geworfen, dass man hier und da ja ein Unmensch sein muss, wenn man sich nicht darüber informiert. Klimawandel, Ausbeutung, Diskriminierung, Kriege (in der Ukraine und auch andernorts), Ressourcenmangel, Naturkatastrophen, ...



    Es kann doch nicht ernsthaft die Forderung sein, dass alle Menschen 24/7 in Alarmbereitschaft, zu jedem dieser Themen aufgeklärt und quasi im Dauernachrichtenkonsum sind. Als Journalist mag das der Beruf, vielleicht auch die Berufung möglich machen. Aber dieser moralischen Zeigefinger auf jeden, der nicht alle 5 Minuten das Onlinenachrichtenportal seiner Wahl aktualisiert, wirkt einfach nur abgehoben - wie leider so vieles in der Medienlandschaft.

    • @80410 (Profil gelöscht):

      "24/7 Alarmbereitschaft", das hat doch in dem Artikel niemand verlangt, wo haben Sie das gelesen?



      Sorry,aber Ihr Kommentar ist unsinnig.

      • 8G
        80410 (Profil gelöscht)
        @celcon52:

        Ach, wenn man mal 'ne Redaktion von innen gesehen hat ... kennste eine, kennste alle.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @80410 (Profil gelöscht):

      Stimmt so gut wie Putin genau darauf setzt. Schlechte Aussichten.

      • @31841 (Profil gelöscht):

        Wenn viele Nachrichtenkanäle, z.B. die ARD und das ZDF, das Thema Ukraine immer ganz vorne als ersten Tab haben, auch wenn es keine wirklich neuen Nachrichten gibt, die Zeit medienwirksam jetzt sogar einen Live-Blog Ukraine Krieg hat (ist ein Kriegsliveblog nicht schon zynisch?) ist es doch nicht verwunderlich, wenn das Thema nicht an Interesse, aber an Klickzahlen verliert.



        Möglicherwiese sollte die Medienbranche mal drüber nachdenken, was es bedeutet, wenn Information hinter Präsenz und Klickzahlen eingeordnet wird.



        Zudem sehe ich das wie Stray, man kann - ausser vielleicht als Nachrichtenprofi - nicht den ganzen Tag damit zubringen, Informationen oder auch nur Artikel auf Nachrichtenportalen anzusehen. Nebenbei, auch wenn das seit über einem Jahr in den Hintergrund getreten ist, es gibt sehr viele weitere Katastrophen auf der Welt, Verfolgung von ganzen Bevölkerungsgruppen, Klima, Terror in Somalia, Drogenhandel und Geldwäsche in Deutschland, massiver Pflegenotstand, die leider unter dieser Omni-Präsenz leiden. Das schadet den Menschen in der Ukraine, aber leider auch all den anderen Themen und Menschen. Gleichzeitig soll man sich noch um so wichtige Themen wie die Rassismusvorwürfe bei Thema Toast-Hawai kümmern. Kein Wunder sind alle für die 4 Tage Woche, anders kann man den geforderten Medienkonsum überhaupt nicht bewältigen.



        Übrigens, es ist ein Irrtum zu glauben, dass Klickzahlen einen direkten Zusammenhang zu Betroffenheit und Interesse der Bevölkerung am Krieg erlauben. Sie sind - meiner Meinung nach - eher die Folge, wenn ein Thema, oft ohne Neuigkeiten, dauernd medienpräsent ist.

      • 8G
        80410 (Profil gelöscht)
        @31841 (Profil gelöscht):

        Es reicht völlig aus, sich in gesunden, d.h. erträglichen, Abständen über die Weltlage zu informieren. Putin gewinnt nicht, nur weil ich nicht 24 Stunden am Tag vor dem Bildschirm klebe und auf alles klicke, über dem 'Ukraine' steht - auch wenn die Redaktion dann Schnappatmung wegen der einbrechenden Aufrufzahlen bekommt.



        Vom hochmoralisierenden Standpunkt unter Einsatz von Totschlagargumenten ist das natürlich nicht zu verstehen. Warum Sie dann nicht längst selbst in der Ukraine kämpfen ist mir allerdings schleierhaft - darauf, dass Sie es nicht tun, setzt Putin nämlich auch.

        • 3G
          31841 (Profil gelöscht)
          @80410 (Profil gelöscht):

          Ich meinte nüchtern und ohne moralisieren, dass Putin auf etwas setzt, das wir eben nicht ! verhindern können, die je nach Umständen menschlich unvermeidliche Ermüdung. Er hat möglicherweise die Mittel sie herbeizudehnen ....

          • 8G
            80410 (Profil gelöscht)
            @31841 (Profil gelöscht):

            Okay, dann bitte ich bezüglich meiner Unterstellung um Entschuldigung. Bei dem Thema ist mein Geduldsfaden zur Zeit wohl ein wenig zu kurz.

  • Die Menschen stumpfen nicht ab sondern wollen Frieden. In Deutschland hat es nach offiziellen Umfragen noch nie eine Mehrheit für Waffenlieferungen gegeben. Stattdessen gibt es eine Mehrheit für eine diplomatische Lösung. Nur leider interessiert das niemand in der Politik. Was dann wiederum zu Umfragehochs der AfD führt. Toi Toi Toi.

    • @Jens Barth:

      Sie konstruieren einen Gegensatz, den es in der Realität so nicht gibt.

      Diejenigen, die Waffenlieferungen unterstützen, sind doch nicht gegen diplomatische Lösungen.

      Einem großen Teil dieser Leute ist doch bewusst, dass der Krieg am Schluss durch eine diplomatische Lösung beendet werden wird.

      Manche meinen sogar, dass es ohne Waffenlieferungen keine diplomatische Lösung geben kann.

    • 6G
      678409 (Profil gelöscht)
      @Jens Barth:

      Wenn Sie behaupten, dass noch nie eine Mehrheit für Waffenlieferungen gegeben haben soll und eine Mehrheit für eine diplomatische Lösung ist, dann haben Sie dafür doch bestimmt zuverlässige Quellen, oder?

    • @Jens Barth:

      Wie sollte eine diplomatische Lösung ihrer Meinung nach denn konkret aussehen? Wie wollen sie einen Kompromiss zwischen der Position Putins der die kulturelle und politische Auslöschung der Ukraine will und der der Ukraine und Resteuropas die weder militärische Grenzverschiebungen noch eine derart exterminatorische Politik bereit ist hinzunehmen?



      Im März unterstützte ein Mehrheit von 61% die Waffenlieferungen, 39% wollten weniger oder gar keine Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen.



      www.tagesschau.de/...andtrend-3313.html

  • So schrecklich das alles in der Ukraine ist wir haben auch noch eigen Probleme die wir zu lösen haben. Sei es privat oder beruflich. Und dann noch die ganzen anderen Krisen, Klimawandel, etc.



    Verübeln kann man es den Menschen nicht das ihr Interesse an dem Krieg schwindet der Alltag geht weiter. Das mag man schade oder traurig finden ist aber nun mal Fakt.

  • "Argumente für die jeweiligen Schuldzuweisungen findet man auf beiden Seiten."

    Ja und Russland blieb keine andere Wahl als die Ukraine anzugreifen wegen der fortschreitenden NATO-Osterweiterung...



    Du meine Güte, es kursieren seit Weihnachten(!) Videos russischer Soldaten die damit prahlen den Damm vermint zu haben - explizit werden die einzelnen Schleusentore genannt. Die Bukowina-Mess-Station (BURAR) in Rumänien hat just wenige Minuten vor dem Zeitpunkt der Katastrophe seismische Aktivitäten am Standort des Staudamms aufgezeichnet.



    1+1



    Die Ukraine lebt vom Getreide- und Ölsamenexport, der Staudamm hat signifikant zur Stromgewinnung des Landes beigetragen UND die Kühlbecken des AKW Saporischschja gefüllt.



    Russland hat im Winter wahllos ukrainische Infrastruktur angegriffen, Russland hat im letzten Sommer Getreide bewusst als Waffe missbraucht, Russland spielt auf Zeit und will diesen Krieg aussitzen - durch die Flutung sind jegliche militärischen Landemissionen stromabwärts für diesen Sommer Geschichte, 1/4 der möglichen Front für die angekündigte Gegenoffensive aus dem Spiel genommen - wie man da ernsthaft auf die Idee kommen kann, die Ukraine habe den Damm gesprengt - puh, welchen Nutzen hätte sie denn davon außer Missernte und Energieausfall?

    • @Farang:

      tja, ist und bleibt die deutlich plausiblere Erklärung, also so 90 zu 10 %, sage ich mal ...

    • @Farang:

      Gut gesagt! Und ja, auch ich erinnere mich an die Meldungen im Ukraine-Twitter zum Staudamm im Herbst (ein russischer General oder Kreml-Kriegsblogger ) zur grundsätzlichen Sprengung und im Winter wegen erfolgter Verminung...

  • Das Lamento über die zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber diesem Krieg gilt wohl für alle Kriege weltweit, deren Folgen für die Betroffenen nicht minder grausam sind wie der russische Überfall für die Ukrainer.



    Der Appell gegen Apathie und Gleichgültigkeit kann jedoch nicht allein mit dem Argument begründet werden, dass die Ukraine uns schließlich näher stehe oder es um die (stellvertretende) Verteidigung unserer freiheitlichen Werte gehe, wohingegen die Warlords dieser Welt allesamt blutige Hände hätten. Denn die Folgen dieser EINEN globalen Krise - Krieg und Gewalt sind nur einer der Apokalyptischen Reiter, ein anderer die globale Erderwärmung - kommen uns ebenfalls spürbar näher, die Einschläge werden dichter.



    Und was das Versagen von Politik und Diplomatie auf der internationalen Bühne betrifft, so wissen wir es doch alle, dass Krieg nur weitere Kriege gebiert und die Welt noch nie zu einem besseren Ort gemacht hat. Vielleicht für uns in Europa, nicht aber für die Mehrheit der Menschen. Die zerstörten Hoffnungen auf die UN als wirksames Mittel der Konfliktregulierung zwischen Staaten nach dem Ende des WK2 zeigen das eindringlich.



    Die mit dem Krieg gegen die Ukraine einsetzende Diskreditierung des Pazifismus ist somit Ausdruck der eigenen Lähmung, der sinnlosen Gewalt eine sinnvolle, nachhaltige politische Alternative entgegensetzen zu können. Und der Hilflosigkeit und Verzweiflung darüber, dass Aggressoren wie Putin leider nur die Sprache der Gewalt verstehen und uns in den Strudel der Gewalt hineinziehen, aus dem wir auch nicht mehr mit „reiner Weste“ herauskommen werden. Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms sowie der Streit über die Verantwortlichen sind Symbol dieses Dilemmas, in dem wir stecken.



    Insofern ist Frau Arilla beizupflichten: die Feinde der Demokratie hierzulande sind Apathie und Gleichgültigkeit (vielleicht noch das kleine, erbärmliche Häuflein der Putin-Versteher), nicht aber der Pazifismus.

    • @Abdurchdiemitte:

      Gerade in diesem Punkt finde ich Arillas Kommentar erfreulich klar. Sie spricht von einem "Ablaufdatum" für "die herrschende einvernehmliche Solidarität mit der Ukraine und die Meinung, dass nur Kyjiw zum Verhandlungstisch rufen darf". Sie identifiziert also, wie ich das verstehe, genau diese breit beworbene Blankoscheckmentalität (und die damit einhergehende Diskreditierung pazifistischer oder auch nur mäßigender Apelle als eine Art unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten "der Ukraine") als eine Ursache für die Ermüdung.



      Das sehe ich auch so. Wenn man immer nur die Antwort erhält, man dürfe der Ukraine nicht reinreden, sondern müsse sie einfach nur unterstützen, egal wie schlimm der Kriegsfuror sie beherrscht, vergeht einem die Lust sowohl an der geistigen Beschäftigung mit dem Krieg als auch an der Unterstützung der Ukrainer. Die wollen halt (mehrheitlich) Krieg und keine Verhandlungen, bis die umstrittenen Gebiete zurückerobert sind. Da nützt es nichts, immer neu zu sagen, dass diese Ziele unrealistisch sind und dass die territoriale Integrität eines Staates auch gar keine Menschenleben wert ist, die maßgebenden Leute hören sowieso nicht darauf und werden vom herrschenden Diskurs bei uns in dieser amoralischen Haltung bestärkt.

      • @Günter Picart:

        Ein Frieden ohne Freiheit ist kein Frieden, sondern Friedhofsruhe. Es ist also mehr als verständlich, dass die allermeisten Ukrainer solange weiterkämpfen wollen, bis die territoriale Integrität ihres Landes wiederhergestellt ist und auch der letzte russische Invasor das Land verlassen hat, entweder freiwillig oder mit den Füßen voran.



        Die Unterstützung mit Waffen und Munition soll den um ihre Freiheit und ihre nackte Existenz kämpfenden Ukrainern nicht verwehrt bleiben. Denn die Alternativen wären schlimmer. Oder wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass sich Putin im Falle eines Erfolgs in der Ukraine nicht gleich dem nächsten Opfer zuwenden würde, z. B. Georgien, Moldau oder einem der baltischen Staaten?

        • @Olli P.:

          Das sind aus meiner Sicht undurchdachte Parolen, die wir alle schon auswendig kennen (was zur Ermüdung beiträgt).



          Putin hatte keinen Erfolg in der Ukraine und hat wohl auch keine Kraft für irgendwelche "nächsten Opfer", jedenfalls nicht militärisch. Das ist ganz unbestritten ein Verdienst der Verteidigungsbereitschaft der Ukrainer und der Unterstützung aus dem Westen.



          Dennoch ist es nicht vernünftig, den Krieg mit unrealistischen Maximalzielen immer weiter zu treiben. Es geht auch nicht darum, plötzlich wieder "Frieden" herzustellen (das geht in diesem Stadium gar nicht), sondern erstmal schlicht mit dem Töten aufzuhören. Dafür ist "Rückeroberung um jeden Preis" das falsche Rezept. Und das muss man auch der ukrainischen Seite sagen dürfen, so verständlich oder unverständlich der hemmungslose Kampfeswille auch sein mag. Friedhofsruhe herrscht genauso nach einer Gegenoffensive, siegreich oder nicht, wenn alle tot sind.

      • @Günter Picart:

        Ich möchte mal sehen, wenn die Russen Deutschland angreifen würden,wie schnell Sie die deutschen Territorien abzugeben bereit sind… und wer überhaupt in diesem Land für dieses Land kämpfen wird,es geht nicht nur darum,dass hier so viele Ausländer leben.Aber auch ,weil die Jugend von heute nichts anderes als Spaß und Vergnügen kennt.Und Ich bin mir mittlerweile sicher,hätten die Ukrainer die Russen im letzten Jahr nicht gestoppt,wäre alles möglich gewesen!Und passiv zu sein und keine Nachrichten zu lesen und so tun,dass der Krieg in der Ukraine nur ukrainisch ist,eine sehr gefährliche Einstellung.Auch finde ich ungeheuerlich,dass die ganze Welt zusieht,wie jeden Tag ukrainische Zivilisten abgeschlachtet werden und es wird nichts getan.Russland muss militärisch gestoppt werden,genauso wie NaziDeutschland!Gemeinsam/nicht Einsam für den Frieden!Am meisten kann ich UN nicht ausstehen!Waerend in der Ukraine Zivilisten auf okkupierten Gebieten ertrinken,feiert UN den Tag der russischen Sprache???Welcher Zynismus!!!

        • @Oksana Bonelli:

          Die Menschen in den Überschwemmungsgebieten sprechen doch selber Russisch. Es ist also ihre Sprache. Zynisch wäre es, der Sprache eine Schuld an dem Krieg zu geben oder alle Russischsprecher, darunter eben auch viele Ukrainer, mit den russischen Aggressoren zu identifizieren.



          Dass man der russischen Invasion etwas entgegensetzen musste, sehe ich auch so, bin auch nicht prinzipiell gegen Waffenlieferungen, aber das Problem ist ja momentan, dass die Ukraine unrealistische Kriegsziele verfolgt und keine Exit-Strategie hat, um sinnlose Opfer zu vermeiden.

          • @Günter Picart:

            „aber das Problem ist ja momentan, dass die Ukraine unrealistische Kriegsziele verfolgt“.



            Davon, dass sie das immer wieder schreiben, wird diese Aussage nicht richtiger.

      • @Günter Picart:

        Dass die Zeit gegen die Ukraine läuft, je länger der Krieg andauert und dass Putin von daher mit einer abnehmenden „Kriegsbegeisterung“ in den westlichen Bevölkerungen und Regierungen rechnen kann, ist klar. Jetzt, angesichts der ukrainischen Gegenoffensive, heißt die Parole der russischen Streitkräfte „Hold the line“. Die fast euphorischen Vorankündigungen dieser Offensive in den westlichen Medien (wie auch die Berichterstattung über die Ereignisse in der Grenzregion Belgorod), setzen die Ukraine unter enormen Erfolgsdruck und schaden ihr möglicherweise mehr als dass sie ihr nutzen.



        Was ist, wenn sich die ukrainische Offensive als ähnlicher Rohrkrepierer erweist wie die großspurigen Ankündigungen der russischen Seite zuvor? Bachmut gewonnen zum Preis des Verlustes der Offensivfähigkeit der eigenen Truppen? Im Gegensatz zur Situation vom Herbst letzten Jahres in den Regionen Cherson und Charkiw sind die Russen jetzt besser vorbereitet und haben in den letzten Wochen und Monaten gestaffelte Verteidigungsstellungen aufgebaut. Und schon prahlen sie über enorme ukrainische Verluste, auch über die Zerstörung westlicher Militärtechnologie.



        Der Krieg ist noch lange nicht entschieden, das spielt Putin in die Hände und dazu braucht es keine weiteren russischen Gebietseroberungen.

        • @Abdurchdiemitte:

          Deckt sich militärisch ungefähr mit dem Bild, das Oberst Reisner zeichnet.



          www.t-online.de/na...etzt-lage-ein.html



          Auch dieses Interview von vor drei Wochen ist noch aufschlussreich, besonders die Notiz, dass auf beiden Seiten die Profis schon weitgehend ausgefallen sind und nun vor allem Reservisten an die Front kommen.



          www.zeit.de/politi...er/komplettansicht



          Wobei er in dem gestrigen Interview auch beschreibt, dass die Ukraine durch Downplaying versucht, den schädlichen Effekt dieses Erfolgsdrucks zu neutralisieren.

          • @Günter Picart:

            Die Analysen von Reisner habe ich mir in den ersten Kriegsmonaten auch angeschaut, bin aber davon abgekommen. Ich will jetzt nicht sagen, dass er die österreichische Variante des Generals Vad ist, aber seine Analysen zeichnen sich durch eine systematische Überschätzung der russischen Armee aus. In den ersten Kriegswochen und Monaten ist das eine nachvollziehbare Haltung gewesen mittlerweile nicht mehr. Mein Eindruck ist, dass er die verfügbaren russischen Informationsquellen (CIT, Strelkov, den investigativjournalismus der russischen Exilpresse, die russischen Militärblogger u.a.m.) seit anderthalb Jahren komplett ignoriert. Vielleicht kann er kein Russisch, keine Ahnung.

            • @Barbara Falk:

              Ich wäre doch froh, wenn Reisner nicht richtig liegt mit seiner Einschätzung der militärischen Fähigkeiten der russischen Armee. Als Laie muss man ja zwangsläufig daran glauben, dass einem die „Militärexperten“ keinen Bären aufbinden, aber da hört man schließlich durchaus Unterschiedliches, was die Expertenmeinungen betrifft.



              So oder so, mich treibt eher um, dass es sich bei diesem Krieg weiß Gott nicht um einen Sonntagsspaziergang handelt, sondern um eine ziemlich blutige Veranstaltung. Je früher sie beendet wird, desto besser. Natürlich am besten mit einem Sieg der Ukrainer. Aber das liegt nicht in unserer Hand, fürchte ich.

  • Sehr unterstützenswerter Kommentar. Nur eine Korrektur: Die von Russland besetzten Gebiete liegen auf dem linken, nicht auf dem rechten Ufer.

  • Bei der Wasserversorgung leidet vorallem die Landwirtschaft auf der Krim. Das Russlands Wirtschaft Putin nicht besonders interessiert hat er im Zuge der Sanktionen gezeigt. Dieser Krieg ist jenseits der Rationalitäten die die Deutschen lieben.

    • 8G
      80410 (Profil gelöscht)
      @Machiavelli:

      Sehr schön gesagt. Krieg ist, bei aller Strategie und Analyse, wohl immer zu einem großen Teil jenseits der Rationalität. Sonst könnte man auch das, was viele verzweifelt versuchen: relativ klar vorhersagen, wie, wodurch und wann er endet.