Übernahme von Opel durch Peugeot: Die Import-Braut
Der Opel-Deal zeigt, dass das altbackene fossile Denken prächtig in Europas Autoindustrie lebt. Es bleibt wenig Zeit, das zu überwinden.
Mit Frankreich hat Opel eigentlich gute Erfahrungen gemacht: Urvater Adam Opel hatte Ende des 19. Jahrhunderts in Paris gelernt, wie man Nähmaschinen baut, später produzierte er auch schnittige Fahrräder. Es war der erfolgreiche Beginn einer langen Unternehmensgeschichte. Seine Söhne fertigten 1899 die ersten Autos, 1902 in Lizenz auch französische Darracq-Modelle.
115 Jahre später sind es schon wieder die Franzosen: Die traditionelle Rüsselsheimer Blitzmarke, in Glanzzeiten Nummer eins in Europa, wird von dem französischen Konkurrenten PSA (Peugeot, Citroën, DS) übernommen. Die alte Mutter GM wird die verlustreiche deutsche Tochter endgültig los. Eine neue überraschende Volte in der langen Opel-Leidensgeschichte. Die ist noch nicht zu Ende.
Alle von uns befragten Experten sind sich einig. Opel wird unter der neuen französischen Mutter Federn lassen. Für Peugeot ist die Übernahme Teil einer klassischen Expansionsstrategie mit Einspareffekt: Die eigene Fahrzeugarchitektur und die Entwicklungskosten werden auf mehr Modelle und größere Stückzahlen ausgedehnt. Das einzelne Auto kann damit billiger hergestellt werden, die Profitabilität steigt. Es ist das bekannte Spiel. Nach Verstreichen einer Schamfrist, so die Expertenprognosen, wird Peugeot „Doppelstrukturen“ ins Visier nehmen, also Standorte und Arbeitsplätze abbauen.
„Die Automobilindustrie befindet sich in einem mörderischen Konkurrenzkampf mit hohen Überkapazitäten“, sagt Stephan Krull, früherer Betriebsrat bei VW. Heute leitet er das Projekt „Zukunft der Automobilindustrie“ bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Haben die deutschen Opel-Standorte und die 18.000 Mitarbeiter eine gute Zukunft? Wohl kaum. Krull gibt Opel noch zwei Jahre Restlaufzeit, dann spätestens würden Arbeitsplätze abgebaut; „vernichtet“, wie Krull es formuliert.
Auch GM hatte sich nicht an Zusagen gehalten
Peugeot-Chef Carlos Tavares hat Kanzlerin Angela Merkel diese Woche eine Bestands- und Jobgarantie für die deutschen Standorte und Mitarbeiter bis Ende 2018 gegeben. „Das sind knapp zwei Jahre, das ist lächerlich“, sagt Krull. „Albern“ nennt auch der angesehene Verkehrsberater Axel Friedrich, die Peugeot-Zusage. Der ehemalige Beamte im Umweltbundesamt ist einer der Chefankläger der Autoindustrie im Zusammenhang mit der Abgasaffäre. Krull und Friedrich wissen: Auch GM hat sich nach der letzten großen Krise 2009 nicht an die Zusagen gehalten; das Opel-Werk Bochum wurde 2014 geschlossen und ist heute nur noch Ersatzteilzentrum.
Mit Peugeot-Opel entsteht der nach VW zweitgrößte europäische Autobauer. Doch Europa ist kein Wachstumsmarkt mehr. China ist heute der wichtigste Automarkt. Dort hat VW letztes Jahr 40 Prozent seiner Fahrzeuge verkauft. Peugeot ist in China denkbar schlecht aufgestellt und Opel war ohnehin in Europa gefangen, das wollte die GM-Mutter genau so. Für die Strategie einer stärkeren Internationalisierung hat die Übernahme also wenig Sinn.
Abschied vom Manta-Image
Für Axel Friedrich hat sie auch sonst keinen Sinn. Beide Marken würden mit ihren Modellen überwiegend dasselbe Segment bedienen, Kleinwagen und Mittelklasse. Es gebe ein stark überlappendes Produktspektrum „mit erheblichen Kannibalisierungseffekten“. Allenfalls sichere sich Peugeot mit der Übernahme noch ein wenig deutsche Ingenieurskunst und womöglich auch ein wenig technologischen Input, sagt der Kasseler Verkehrswissenschaftler Helmut Holzapfel. Im Vergleich zur Konkurrenz sind „die Kisten, die Opel derzeit baut, ja gar nicht so schlecht.“
US-Autobauer GM verzichtet mit Opel auf den Zugang zum europäischen Markt und damit auf den Anspruch eines echten Global Players. Weil Opel sogar im relativ guten Autojahr 2016 257 Millionen Euro Verlust eingefahren habe, sei die Geduld der Amerikaner, so die gängige Interpretation, zu Ende. Die Zahlen sind allerdings umstritten. Opel musste an die US-Mutter stets hohe Lizenz- und Patentgebühren zahlen, die Bilanzen und die Geldflüsse zwischen Detroit und Rüsselsheim „sind ziemlich undurchsichtig“, sagt Friedrich.
Dabei hatte es für Opel in letzter Zeit gar nicht so schlecht ausgesehen. Das piefig-verstaubte Image war spürbar gelüftet worden, der Autobauer kam mit seinen neuen Modellen dynamischer und jünger daher. Und mit dem neuen Elektroauto Opel Ampera-e – weitgehend baugleich mit dem Chevrolet Bolt von GM – hat man einen der besten Stromer im Angebot. Selten hatte man Opel-Chef Thomas Neumann so gut gelaunt gesehen wie bei der Präsentation des neuen E-Mobils Anfang November.
Neumann sprach von einem Durchbruch, kündigte schnelle Ladezeiten, Akkukapazitäten für 500 Kilometer und damit das „Ende der Reichweitenangst“ an, eines der wichtigsten Gründe für den bisher schweren Stand von Elektroautos im Privatkundengeschäft. Im realistischen Alltagsbetrieb schafft der Ampera-e zwar höchstens 400 Kilometer, aber auch das ist ein deutlicher Sprung. Pech, dass Opels wichtigstes Zukunftsauto in weiten Teilen eine GM-Entwicklung ist, was künftig weiter hohe Lizenzzahlungen bedeuten dürfte.
Die Herausforderungen der Branche sind ohnehin gewaltig: gesättigte Märkte für fossile Fahrzeuge, der schwierige Systemwechsel zum Elektroauto, dazu autonomes digitales Fahren, erste Fahrverbote für Dieselfahrzeuge infolge von Dieselgate, flankiert vom Siegeszug des Carsharing und von einer jungen Generation, die zunehmend auf ein eigenes Auto pfeift. Mehr Umbruch war nie.
Peugeots Antwort ist eher altbacken
Und gerade die europäischen Autobauer scheinen schlecht gerüstet zu sein. Newcomer Tesla hat ihnen einen erheblichen Teil der Luxusklasse weggeschnappt und steht mit seinen Elektroautos zusammen mit Nissan und den chinesischen Herstellern BYD, BAIC und Zotye in der Poleposition. Die Antwort von Peugeot ist eher altbacken: die Einverleibung eines weitgehend fossil fahrenden Konkurrenten und Rationalisierung durch höhere Stückzahlen.
Für Stephan Krull ist noch offen, wer im beinharten weltweiten Konkurrenzkampf kapituliert und wer vorläufiger Sieger wird. Sichtbar ist aber, „dass sich das Kräfteverhältnis zugunsten Chinas verschiebt“. Und: „Der Untergang bisheriger Autoimperien ist absehbar.“
Für Opel geht es jetzt um den Erhalt der drei Standorte in Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern über 2018 hinaus. Der frühere Opel-Betriebsratschef in Bochum, Rainer Einenkel, sieht die deutschen Werke „akut bedroht“. Sein Rat: sich frühzeitig zusammenschließen und gemeinsam agieren. Vielleicht wird Peugeot aber auch zuerst eine der beiden britischen Fabriken in Ellesmere Port und Luton dichtmachen. Dass langfristig alle Standorte erhalten werden, glaubt jedenfalls niemand. Spätestens für 2019 wird ein harter Sanierungskurs erwartet.
Sie steigen aus. Jahrelang hatten Wolfgang Bosbach, Jan van Aken und Bärbel Höhn Macht und Einfluss im Bundestag. In der taz.am wochenende vom 25./26. Februar sprechen sie über das Innerste der deutschen Politik. Außerdem: Eine Reportage über das erste afrodeutsche Prinzenpaar und seine jecke Integrationswerbung im Karneval. Und eine Spurensuche: Die EU zahlt Milliarden für den Flüchtlingsdeal, aber wohin geht das Geld? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Genau ein Jahr später, ab 2020, soll Österreich nach Vorschlag des Wiener Umweltbundesamts keine fossilen Fahrzeuge mehr zulassen. Ab 2025 wollen die Niederlande und Norwegen, so die bisher diskutierten Pläne, die Ära der benzin- und dieselgetriebenen Fahrzeuge bei Neuzulassungen beenden. Andere Länder werden folgen. Vielleicht wird es nicht ganz so schnell gehen, wie die genannten Jahreszahlen verheißen. Doch das Ende des Automobils wie wir es kannten, scheint absehbar.
Peugeot und Opel haben wenig Zeit, Denkbarrieren zu überwinden und neue Strategien zu entwickeln. Mit viel Gebrumm zum Brötchenholen unter Ausstoß von reichlich Klimakillern und Stickoxiden? Das klingt genauso überholt wie Einspritzer, Doppelauspuffrohr und die vielen anderen Neurosezutaten der alten Automobilität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz