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Überhitzung der ErdeGaudi statt Klimakatastrophe

Bis auf ein paar verrückte Eichhörnchen betrifft die Hitzewelle kaum jemanden. Dabei belegt der Sommer, wovor Forscher lange warnten.

Rimini? Bibione? Von wegen! Der Timmendorfer Strand an der Ostsee Foto: dpa

Berlin taz | Der Sommer war groß, heiß und trocken. Bernburg an der Saale meldete 39,5 Grad, Frankfurt am Main hatte schon Ende Juli 24 Tage mit mehr als 30 Grad gezählt. Für die Monate April bis Juli ermittelte der Deutsche Wetterdienst „eine Temperaturanomalie“ von plus 3,6 Grad mehr als im Vergleichszeitraum 1961 bis 1990. Es war die „höchste Anomalie seit 1881“. Wie eine Glucke hatte sich die Hitze über weite Teile Europas gesetzt – und sie jeden Tag aufs Neue bebrütet.

Deutschland lag mehrere Wochen lang im Wärmekoma, mit nassgeschwitzten Bettlaken und vertrockneten Feldern vor der Tür. Viele Grünflächen wirkten wie afrikanisches Steppenland. Fehlte nur noch die Antilopenherde. Selbst die notorisch gut gelaunten Wetterfeen verzichteten bei den Vorhersagen auf die Floskel vom „anhaltend freundlichen Sommerwetter“. Und kein Wort mehr vom „Regenrisiko“.

In Schweden, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg brannten die Wälder. Finnland und Norwegen erlebten den heißesten Sommer ihrer Geschichte. Selbst nördlich des Polarkreises kletterte das Thermometer auf 34 Grad. Temperatur- und Trockenheitsrekorde wurden auch aus vielen Teilen Großbritanniens, der Schweiz oder Frankreichs gemeldet.

Außerhalb Europas registrierte Quriyat, eine an der Nordostküste Omans gelegene Stadt, eine „24-stündige Minimumtemperatur“ von 42,6 Grad, so die Hitzebilanz des Frankfurter Wetterdiensts. 24 Stunden lang war es nie „kälter“ als 42 Grad. Eine ähnliche Rund-um-die-Uhr-Hitze ist zuvor noch nie auf diesem Planeten gemessen worden. Außergewöhnlich heiß war es auch im Norden Sibiriens, in Südkorea mit neuem Allzeithoch, in Kanada, Algerien oder Kalifornien.

taz-Klima-Dossier zum Sommer 2018

Am Freitag endet der Sommer. Jedenfalls meteorologisch. Die Bilanz: Er war zu schön. Zu trocken. Und zu warm, um cool zu bleiben. Aber trotz der Hitze und Dürre macht die Regierung: nichts. Im taz-Klima-Dossier erklären wir, wie die Natur reagiert und was wir für den Klimaschutz tun können. Alle Beiträge zum Thema: taz.de/Schwerpunkt-Klimawandel

Saharasommer, Jahrhundertdürre, Katastrophenängste, Milliardenverluste in der Landwirtschaft – immerhin prima Steilvorlagen für die Klimapolitik in Deutschland und anderswo. Oder etwa nicht?

Nur leise Zwischenrufe

Leider nein. Bis auf einige schüchterne Zwischenrufe der Grünen regte sich in der politischen Diskussion der vergangenen Monate nicht mal ein laues Lüftchen. Kontrovers wurde es höchstens bei der Frage, ob die Nothilfeforderungen wehklagender Bauern angesichts der womöglich schlechteste Ernte des Jahrhunderts gerechtfertigt seien. In den Landwirtschaftsministerien hatten bis Mitte August acht Bundesländer die Schäden auf happige 3,3 Milliarden Euro addiert.

Dennoch beherrschten vor allem die Debatten über Migration, über sexuelle Übergriffe gegenüber Frauen sowie die Handelskriege von US-Präsident Trump den politischen Sommer. Die Hitze sorgte vor allem „im Vermischten“ für Schlagzeilen. Klima katastrophal – Eis- und Sonnencreme-Absatz blendend. Die Ulmer Firma E-Cooline verkaufte über 100.000 Hightech-Kühlwesten, es wurden deutlich mehr Dürreversicherungen abgeschlossen. Und die deutsche Weinernte, normal im Herbst fällig, begann Anfang August.

Während an ausgetrockneten Flüssen tote Fische wie Müll eingesammelt wurden und die Atommeiler ihre Leistung drosselten, warnten Mediziner vor unbekannten tropischen Zecken. Und in den Parks riefen irritierte Bürger nach der Polizei. Sie waren von aggressiven Eichhörnchen attackiert worden. Die dehydrierten Tiere waren verrückt vor Durst.

Die Deutschen brachten pflichtbewusst die Gießkanne in Stellung, wässerten Bäume und verstepptes Straßenbegleitgrün. Der Aachener Psychoanalytiker Micha Hilgers sieht die Menschen trotz gelegentlicher Kreislaufschwäche aber noch immer überwiegend im Fun-Modus: Baden, Biergarten und endlich wieder ein richtiger Sommer, diese Haltung sei weit verbreitet.

Spende für Sauerstoffinjektion

Im Raum Aachen konnten die Bürger Geld spenden, damit ausgezehrte Gewässer von der Feuerwehr eine Sauerstoffinjektion bekamen. Ein, zwei Euro und schon schoss unter allgemeinem Jubel eine Fontäne hoch. Gaudi statt Klimakatastrophe. Das Klimathema, analysiert Hilgers, „baut Spannungen auf, die Menschen fühlen sich dann unbehaglich, deshalb mag man nicht lange darüber nachdenken“. Viele seien davon überzeugt, dass die heftigsten Folgen der Erdüberhitzung erst in vielleicht 50 Jahren auftreten, „das geht sie dann sowieso nichts mehr an“.

Doch der Klimawandel ist da, schon jetzt. Der neueste planetare Check ist 270 Seiten dick; er kommt von der Amerikanischen Meteorologen-Gesellschaft AMS und heißt „State of the climate in 2017“. Vor wenigen Tagen veröffentlicht, belegt er mit einer Reihe brisanter Daten die zunehmend fragile Verfassung des Erdsystems. Die neuen Klimafakten sind hart, nicht nur Katastrophenroutine.

– Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre hat danach mit 405 ppm (parts per million) den höchsten Stand seit 800.000 Jahren erreicht. Die Zunahme um 2,2 ppm gegenüber dem Vorjahr signalisiert den weiter ungebremsten Anstieg. Vor Beginn der Industrialisierung wurden 290 ppm gemessen.

– Der Meeresspiegel liegt jetzt zudem 7,7 Zentimeter höher als vor 25 Jahren. Damals, 1993, hatten die Satellitenmessungen begonnen. Pro Dekade steigt das Meer um 3,1 Zentimeter. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts um 20 Zentimeter.

– Die letzten vier Jahre waren mit Abstand die wärmsten seit Beginn der regulären Temperaturmessungen am Ende des 19. Jahrhunderts.

– Die Zahl der weltweiten Hitzetage hat sich laut AMS stark erhöht. In den 1950er und 1960er Jahren schwankten sie zwischen 35 und 40 Tagen im Jahr. Seit 2010 werden jedes Jahr mehr als 60 Hitzetage registriert.

– An den Polen lassen die hohen Temperaturen das Eis immer schneller schmelzen. Die antarktischen Eismassen verzeichneten 2017 vier Monate lang einen neuen Negativrekord. Am Rande des Nordpolarmeers, in der Tschuktschen-See, wurde im August 2017 eine Wassertemperatur von elf Grad gemessen. Der Wert könnte dieses Jahr noch getoppt werden.

– In vielen Ländern überschreiten die Temperaturen jedes Normalmaß. Mexiko hat 2017 das vierte Jahr in Folge seine Temperaturrekorde gebrochen. Pakistan wurde am 28. Mai in Turbat von 53,5 Grad Hitze heimgesucht, eine Temperatur, die jede menschliche Aktivität zum Erliegen bringt.

Dramatischer Anstieg bei den Fluggastzahlen

Während die Sonne glüht und die Meteorologen staunen, kommen die Verkehrs-, Agrar- und Energiewende nur wenig voran – oder verzeichnen sogar Rückschritte. Weltweit boomen Solar- und Windkraft, doch gleichzeitig werden in China wieder neue Kohlekraftwerke gebaut, um die stärker wachsende Energienachfrage zu befriedigen. Im Verkehrssektor hat das Elektroauto in China, den USA und in Norwegen zwar stark zugelegt, doch weltweit dominieren mit einem Anteil von 98 Prozent weiter fossile Antriebe. Dramatisch sind die Zahlen beim Flugverkehr. Ausgerechnet das fürs Klima gefährlichste Verkehrsmittel legt kräftig zu. Allein in China wächst die Zahl der Fluggäste derzeit jährlich um sechs Prozent.

Zu den tristen Zahlen passt die Einschätzung der UN-Klimachefin Patricia Espinosa. Sie moniert, dass die bisher gemeldeten Zielvorgaben vieler Staaten zur Reduzierung der Klimagase längst nicht reichen, um das 2015 in Paris von 195 Ländern vereinbarte 2-Grad-Ziel noch zu schaffen. Selbst die Deutschen verpassen ihr Ziel, bis 2020 den Ausstoß der Treibhausgase um 40 Prozent zu senken.

Und ja, es gibt sie doch, die gute Nachricht: Die fehlenden acht Prozentpunkte wären leicht zu erreichen, wie aktuelle Hochrechnungen zeigen. Würden Braunkohlekraftwerke in ähnlichem Umfang abgeschaltet wie während der Jamaika-Verhandlungen von Schwarz-Grün-Gelb bereits vereinbart, wäre Deutschland ruck, zuck am Ziel – und neuer Klima-Musterknabe.

Kimawandel wird erlebbar

Auch der Analytiker Hilgers hat noch eine positive Nachricht parat. Der Hitzesommer, sagt er, habe den Klimawandel zumindest imaginierbar gemacht: „Man erlebt ihn und hat eine Vorstellung, was noch auf uns zukommt.“ Angstreaktionen hat er bei seinen Gesprächen indes nirgends festgestellt.

Das deckt sich mit dem Befund des Techniksoziologen Ortwin Renn. Der Wissenschaftler hat ein „Risikoparadox“ entdeckt und geht der Frage nach, warum wir uns immer „vor dem Falschen fürchten“. Seine Antwort: Systemische Risiken wie die Erdüberhitzung würden permanent unterschätzt, weil sie „schleichender Natur“ und extrem komplex seien. Der Mensch nehme plötzlich auftretende Katastrophen viel intensiver wahr. Dagegen seien „unsere intuitiv-kausalen Denkformen nicht auf die Analyse komplexer Ursache-Wirkungs-Ketten ausgerichtet“.

Immerhin hat es das Klima diesen Sommer in die Talkshows geschafft. Die Bauern als Hitzeopfer und -täter bei Anne Will. Den wichtigsten Satz sagte Klimaprofessor Hans Joachim Schellnhuber: „Wie will die Landwirtschaft eigentlich durch dieses Jahrhundert kommen?“ Eine Ecke weiter gedacht: Wie wollen wir alle eigentlich durch dieses Jahrhundert kommen?

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20 Kommentare

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  • Der Mensch denkt plastisch. Auch ich, dass gebe ich zu, habe mir ernsthaft erstmals dieses Jahr Gedanken über künftig wohl anaerobe Meere, insbesondere den Persischen Golf, gemacht, als hier in Münster der Aasee kippte und tausende Fische mit dem Bauch nach oben schwammen. Der Geruch war unerträglich. Er will aus meinem Kopf nicht mehr heraus.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...""Würden Braunkohlekraftwerke in ähnlichem Umfang abgeschaltet wie während der Jamaika-Verhandlungen von Schwarz-Grün-Gelb bereits vereinbart, wäre Deutschland ruck, zuck am Ziel – und neuer Klima-Musterknabe."



    Das stimmt so nicht.



    Schwarz-Gelb-Grün hatten sich auf eine Reduzierung um 40 Mio Tonnen geeinigt. Um die Klimaziele 2020 zu erreichen, von denen momentan selbst die Grünen nicht mehr sprechen, wäre eine Reduzierung um weit über 80 Mio Tonnen notwendig.



    Deutschland wäre auch mit Schwarz-Gelb-Grün nicht "am Ziel" und mit Sicherheit KEIN "neuer Klimamusterknabe".

  • Klimaschützer?



    Klima kann man nicht schützen, sondern nur sinnvoll auf seine Entwicklung reagieren. Eventuell ist es möglich, Entwicklungen zu beeinflussen. Doch gerade dafür wird deutlich zu wenig Engagement gezeigt.



    Warnen ist offensichtlich bequemer als handeln und oft so schön schrill, vom Gruselfaktor mal ganz abgesehen.



    Wir warnen uns noch zu Tode.



    Oder wie der Satiriker Horst Evers so treffend formuliert: Hinterher haben es immer alle schon vorher gewusst.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Dass Klugheit und Weitblick noch nie auf Seiten der überwiegenden Mehrheit der Menschheit waren, zeigt sich auch in dieser Frage. Nietzsche sprach mit gutem Grund von vielen Menschen "als Pausen in der Synfonie des Lebens."

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Danke für diesen Bericht.



    jeder kann etwas tun, auch ihr in der TAZ Redaktion.



    Reist nicht zu irgendeinem Vortrag mit dem Flugzeug an. Bietet keine authentische Reise mehr per Flugzeug in entfernte Länder an.

    Schickt diesen Artikel mal an ARD und ZDF.



    Dort ist es immer noch das Traumschiff und 80jährige die um die Welt reisen.



    Es gibt Kochshows mit dem Verbrauch an riesigen Fleischbergen.....



    Schickt ihn an die Politiker in Berlin und veröffentlicht die Reaktionen.



    Nochmals danke für diese Zusammenfassung!

  • Alles richtig und wichtig. Es muss allen klar werden, dass zumindest ihre Kinder grosse Probleme haben werden.

    Dummerweise ist es auch richtig, dass schleichende Probleme kaum wahrgenommen werden. Und dann sind die auch noch so weit weg.

    Es gibt (leider) überhaupt keinen Aufschrei bei den jungen Leuten, die die in 30 Jahren die Konsequenzen zu tragen haben. Ganz im Gegenteil, die konsumieren völlig ungeniert. Natürlich gibt es auch Veganer unter denen und Leute, die in Grossstädte ohne Auto auskommen. Aber weder ist das die Mehrheit, noch liegt dem eine Problembewusstsein zu Grunde.

    Und ein letztes. Ja, wir können unseren CO2 Fussabdruck reduzieren. Aber wie in jüngsten Berichten klar wurde, haben es selbst engagierte Bürger nicht geschafft auf den weltweiten Durchschnitt zu kommen. Dafür ist unser derzeitiger Lebensstandard einfach zu hoch.

  • Das Wort „Agrarwende" trifft es meines Erachtens nicht ganz, es sei denn, der Autor möchte mit seinen Worten auf eine Wende hin zu einer bio-veganen Landwirtschaft hinaus ;-).

    Es sollte vor allem darum gehen, den Konsum an tierischen Produkten drastisch zu reduzieren. Schließlich stellte die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, 2013 fest, dass 14,5 % der durch den Menschen verursachten Treibhausgasemissionen auf die Nutztierhaltung zurückzuführen sind. Das ist sogar noch etwas mehr, als auf den gesamten weltweiten Verkehrssektor entfällt.



    Das Worldwatch Institute kommt in seinem Bericht "Livestock and Climate Change" sogar zu dem Ergebnis, dass die Nutztierhaltung für mindestens 51 % der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist.

    www.fao.org/3/a-i3437e.pdf

    www.worldwatch.org...imate%20Change.pdf

    • 9G
      99337 (Profil gelöscht)
      @Christina de Havilland :

      "Es sollte vor allem darum gehen, den Konsum an tierischen Produkten drastisch zu reduzieren."

      Das stimmt natürlich schon. Nur sollte man dabei nicht nur die soziale Komponente im Auge behalten (ökologische Ernährung ist teurer), sondern auch mal die genauen Zahlen anschauen.

      65% der gesamten CO2-Emissionen geht auf Rinder zurück (Quelle MDR). Von religiösen Motiven abgesehen, ist Rindfleisch mittlerweile ein Produkt der Besserverdienenden, weil ungleich teurer und wegen weniger Fett auch mehr Lifestyle als Schwein & Co. Schweine tragen 9% bei, Geflügel noch weniger.

      Schön wäre auch, mal beim Flugverkehr genauer hinzuschauen. Ein Überseeflug verursacht um die 8000t (Quelle: Die Anstalt), wofür man immerhin ca. 7 Jahre ein (Kalbs-)Schnitzel essen kann.



      Beim Flugverkehr liegen wiederum jene als Nutzer weit vorn, die sich am meisten gegen den Klimawandel engagieren (Quelle: Studie der Luftfahrtindustrie): Wähler der Grünen, die als Besserverdiener oftmals innerhalb dieses kranken Systems aggieren und zur Linderung der eigenen Gewissensbisse ökologisch Bedenkliches oftmals teurer machen wollen, womit sie als Besserverdienende kaum Abstriche machen müssen, eine breite Masse hingegen kann sich dann vieles dann nicht mehr leisten.



      Das war bei der Energie so, die sich viele nicht mehr leisten können, das war bei der 5-Euro-Forderung für einen Liter Bezin so, das ist bei der Auseinandersetzung mit dem Flugverkehr so und das ist bei der Ernährung so.

      Wie wäre es also damit, mal wieder zur Vor-Schröder-Fischer-Erkenntnis zurückzukehren, dass grundlegende ökologische Reformen immer mit grundlegenden sozialen Reformen einhergehen müssen.

      Denn so, wie das bisher von links-ökologischer Seite verkauft wird, kann man keine gesellschaftlichen Mehrheiten gewinnen, sondern nur die breite Masse in eine oppositionelle Haltung drängen - denn vieles wirkt nicht nur elitär, sondern es ist es auch.

      • @99337 (Profil gelöscht):

        Dass Wähler der Grünen am häufigsten fliegen, habe ich auch schon gelesen. Ich persönlich lehne Flugreisen ab und fliege nie, obwohl die finanziellen Mittel durchaus vorhanden wären.



        Dennoch halte ich nichts davon, hier ein klimaschädliches Verhalten gegen das andere aufzuwiegen. Außerdem möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Milchprodukte, die, da werden Sie mir zustimmen, für jeden Konsumenten billig erhältlich sind, nach Rindfleisch die klimaschädlichste Kategorie darstellen. Dies geht auch aus dem verlinkten FAO-Bericht hervor (siehe S. 14).



        Der Konsum von tierischen Produkten trägt zudem nicht nur in gehörigem Ausmaß zum Klimawandel bzw. zur „Klimakatastrophe“ bei, sondern verursacht zudem in hohem Maße Tierleid, Umweltzerstörung sowie hohe Gesundheitsausgaben. Und, nicht zu vergessen: Es könnten bereits jetzt vier Milliarden Menschen mehr satt werden, wenn nicht ein Großteil der Soja- und Getreideernte an Nutztiere verfüttert werden würde.

        Darüber hinaus wäre die Mehrheit der deutschen Bevölkerung durchaus in der Lage, Bio-Produkte zu kaufen, das scheint mir eher eine Frage der Prioritätensetzung zu sein. Hülsenfrüchte stellen im Übrigen eine preiswerte und zudem gesunde Alternative zu Fleisch dar.

        Es dürfte generell schwierig sein, die breite Mehrheit für eine Maßnahme zu gewinnen, die ihr Verzicht abverlangt, wenn man bedenkt, zu welch einem Aufschrei bereits ein harmloser Veggie-Day geführt hat. Die Politik wäre dennoch gefragt. Als konkrete politische Maßnahmen wären z. B. denkbar:



        ...

        • 9G
          99337 (Profil gelöscht)
          @Christina de Havilland :

          "Dennoch halte ich nichts davon, hier ein klimaschädliches Verhalten gegen das andere aufzuwiegen."

          Stimmt, das war auch nicht meine Intention. Meine Intention lag eher darin, aufzuzeigen, dass Okologie und Soziales gegeneinander ausgespielt werden.

          Ich denke, viele Menschen hätten grundsätzlich nichts gegen Verzicht (beim Maß gäbe es sicherlich rege Diskussionen), nur müssen oft jene verzichten, die eh schon einen geringeren Lebensstandard haben - die Energiepreise, die insbesondere Arme bedrohen, sind ein gutes Beispiel. Ein weiteres Problem: Bisherige Maßnahmen waren kapitalimuskonform, bzw. haben zwar neue Märkte geschaffen, an denen Unternehmen gut verdienen, die aber am Problem wenig geändert haben (s. Emissionshandel).



          Die Frage sollte lautet, ob Ökologie, in einem Wirtschaftssystem, das auf stetigem Wachstum basiert, ohne das es in die Krise kommt, überhaupt möglich ist.

          "Darüber hinaus wäre die Mehrheit der deutschen Bevölkerung durchaus in der Lage, Bio-Produkte zu kaufen, das scheint mir eher eine Frage der Prioritätensetzung zu sein."

          Dann wäre die Frage, wie man diese Mehrheit dazu bringt, ohne den Lebensstandard der Minderheit (von mind. 20%) weiter zu drücken.







          "Außerdem möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Milchprodukte,"

          Stimmt, hatte ich nicht mit einberechnet. Liegt daran, dass ich kaum Milchprodukte nutze, so wie Sie halt nicht fliegen - ich übrigens auch nicht.

          "wenn man bedenkt, zu welch einem Aufschrei bereits ein harmloser Veggie-Day geführt hat."

          Ich glaube, das Problem war nicht die Idee an sich, sondern von wem die geäußert wurde. Die Grünen sind eine einst linke Partei der widersprüchlichen Besserverdienenden mit ausgeprägtem Hang zum Paternalismus. Was meinen Sie, warum die Neue Rechte genau immer dort punktet, wo die Grünen ihren Zeigefinger erheben.

          Die genannte Flugstudie ist übrigens ein gern von Neu-Rechten verwendetet Instrument. um gegen den grünen Umweltschutz zu wettern, so wie auch der Veggie Day.

          • @99337 (Profil gelöscht):

            Dass Ökologie in einem Wirtschaftssystem, das auf stetigem Wachstum basiert, möglich ist, glaube ich eher nicht, da jeder Effizienzgewinn sofort in Mehrproduktion umgesetzt wird. "Effizienzsteigerung gehört zum Industriekapitalismus wie Kapital und Arbeitskraft, sie ist eine Bedingung seines Funktionierens", so Harald Welzer in seinem sehr empfehlenswerten Buch „Selbst denken“. Aus diesem Grund ist auch das grüne Wachstum m. E. ein Irrweg: Der Fokus der Ökobewegung liegt eindeutig auf technologischer Erneuerung (Windenergie, Elektroautos, …) und nicht auf maßvollem Konsum oder gar Verzicht, doch auch Maßnahmen zur Effizienzsteigerung wie der Bau eines Passivhauses erfordern zunächst einen zusätzlichen Aufwand, und auch „grüne" Produkte müssen einmal entsorgt werden.



            Statt der Mär vom grünen Wachstum zu huldigen, sollten daher meiner Ansicht nach vielmehr Utopien entwickelt werden, wie ein gutes Leben fernab der grenzenlosen Steigerungslogik möglich wäre. Zu verheißungsvoll erscheint jedoch die Vorstellung, erneuerbar zu werden und doch expansiv zu bleiben …

            • @Christina de Havilland :

              Noch ein abschließender Gedanke in diesem Zusammenhang: Früher habe ich ein paar Mal an der Wir-haben-es-satt-Demo teilgenommen. Irgendwann störte ich mich jedoch daran, dass es auch nach Jahren noch ausschließlich darum ging, „Bio“ zu konsumieren, hingegen nie von einer Reduzierung des Konsums an tierischen Produkten die Rede war. Daher habe ich mich 2017 „zurückgezogen“.

        • @Christina de Havilland :

          Tierische Produkte mit ihrem tatsächlichen Preis (Treibhausgasemissionen, Wasseraufbereitung etc.) sowie erhöhtem Mehrwertsteuersatz versehen, Abschaffung umweltschädlicher Subventionen, Förderung des bio-veganen Landbaus, Bildungs- und Beratungsmaßnahmen zum Erzielen eines nachhaltigen Ernährungsverhaltens, Maßnahmen zur Entwicklung von Essensplänen mit drastisch reduziertem Angebot tierprodukthaltiger Speisen sowie jeden Tag ein rein pflanzliches Gericht in öffentlichen Einrichtungen wie Mensen, Kantinen oder Krankenhäusern zur Auswahl, wie dies in Portugal übrigens bereits der Fall ist. Hierdurch dürfte sich nicht einmal jemand bevormundet fühlen.



          Aber auch Flüge sollten drastisch verteuert werden, gar keine Frage.



          Finanzielle Anreize würden viel bringen, aber wo seitens der Politik kein Wille ist, ist auch kein Weg.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Christina de Havilland :

      Und ich komme zu der Schlußfolgerung, dass der Mensch zu 100% der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist.



      Das heißt: wenn sich die Zahl der Menschen nochmal verdoppelt, was wahrscheinlich ist, nutzt Veganismus nicht mehr. Dann hilft nur noch Kannibalismus.



      Oder vorher Vernunft walten lassen und drastische Maßnahmen zur Geburtenkontrolle treffen.

      • @4813 (Profil gelöscht):

        Was hat denn Ihre Vermutung, dass sich die Zahl der Menschen verdoppeln oder von mir aus auch vervierfachen könnte, mit unserem Konsum hier und jetzt zu tun? Fakt ist nun einmal, dass wir für ein gesundes Leben keine tierischen Produkte (oder von mir aus maximal 5 %) benötigen. Tatsache ist auch:

        Würde die gesamte Getreideernte zu Nahrungsmitteln verarbeitet und gar nichts mehr zu Futtermitteln für Rinder, Schweine oder Geflügel, dann könnten, so stellte die University of Minnesota 2013 fest, vier Milliarden Menschen mehr ernährt werden:

        www.spiegel.de/wis...hren-a-914457.html

        Eine interessante, aktuelle Studie des Weizmann Institute of Science zeigt darüber hinaus, dass durch die Umstellung auf eine rein pflanzliche Ernährung in den USA 350 Millionen Menschen zusätzlich satt werden könnten:

        www.spiegel.de/wis...gen-a-1200031.html

  • 8G
    84935 (Profil gelöscht)

    Schöne Zusammenstellung an Munition für Klimadiskussionen. Hab ich gleich gespeichert und lass was rüberwachsen...



    Danke!

  • Auch die Menschen in fünfzig Fahren werden feststellen, dass der Klimawandel erst die nachfolgenden Generationen etwas anginge.

  • "Würden Braunkohlekraftwerke in ähnlichem Umfang abgeschaltet wie während der Jamaika-Verhandlungen von Schwarz-Grün-Gelb bereits vereinbart, wäre Deutschland ruck, zuck am Ziel – und neuer Klima-Musterknabe."

    Ich hätte nichts dagegen, am globalen Trend ändert es aber gar nichts, ob Deutschland seine Klimagase ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger verringert.

    Vielen Menschen fehlt glaube ich das Verständnis dafür, wie winzig Deutschland im globalen Vergleich ist. Und ob Deutschland als Klima-Musterknabe ein Vorbild wäre, dem plötzlich alle nacheifern würden, bezweifle ich stark.

    China und Indien usw müssen vorrangig ihre stark steigende Energienachfrage befriedigen.

    • @modulaire:

      Die BRD dürfte am Gesamtschaden einen ein- bis zweiprozentigen Anteil ausmachen. Eventuell ein klein wenig mehr. Die Rolle der BRD ist also nicht ganz geringfügig und ein Einlenken auf das bessere Gleis macht absolut Sinn. Auch wenn z.B. weniger Ramsch gekauft wird und nicht jedes Jahr eine neue Smartphonegeneration begehrt wird, könnte man einiges ändern.

  • Die Redaktion leistet ihren Beitrag dazu, dass die aktuelle Bedrohung unserer Lebensgrundlagen von den Lesern nicht als solche erfasst wird. Sie schreibt immer noch beschönigend vom Klimawandel und nicht von einer Klimakatastrophe. Nennt die Dinge deutlich beim Namen, sonst können auch die engagiertesten Klimaschützer wenig erreichen! Immer mehr Gebiete werden für Menschen unbewohnbar werden und ob noch einzelne Menschen das nächste Jahrhundert lebend erreichen werden ist sehr fraglich. Innhaltlich ist der Artikel ansonsten eine sehr gute Zusammenfassung der aktuellen Lage. Danke für die Recherche!