Überfischung in Nord- und Ostsee: Weggeworfen wie Müll
Fischer verstoßen massenhaft gegen das Verbot, ihren ungewünschten Beifang zurück ins Meer zu befördern. Bestraft wird das fast nie.
Dem Fischer verursacht dieser sogenannte Beifang Ärger, denn die zu kleinen Tiere darf er nur für die Fischmehlproduktion verkaufen – zu einem viel niedrigeren Preis als Speisefisch. Steinbutt und Scholle will er unter Umständen gar nicht, wenn er dafür etwa keine Quote mehr hat, weil er dieses Jahr schon mehr davon aus dem Meer geholt hat, als ihm die Behörden erlauben.
Viele Fischer werfen die Tiere, die nicht Ziel des Fangs waren, deshalb zurück ins Meer. Doch die meisten Tiere überleben das nicht. Wenn sie stundenlang im Netz mitgeschleppt werden, werden sie von der Last der anderen Fische erdrückt. Oder zumindest so stark verletzt, dass sie spätestens ein paar Tage nach dem Wurf zurück ins Wasser sterben.
Um das zu verhindern, hat die Europäische Union 2013 ein Rückwurfverbot beschlossen. Die Fischer müssen nun alle gefangenen Fische an Land bringen. Dann wird auch der Beifang von der Quote abgezogen, was die Fischer finanziell schmerzt. Das soll die Bestände davor schützen, zu stark genutzt zu werden. Denn nach den aktuellen Zahlen der Europäischen Union wurden 2016 rund 41 Prozent der Bestände im Nordostatlantik inklusive der Ostsee überfischt. Das heißt: Es wurde mehr gefangen, als nachwachsen oder zuwandern konnte. Im Mittelmeer ist die Lage noch schlechter.
Aber Daten des Internationalen Rates für Meeresforschung (Ices) zeigen: Viele Fischer in Nord- und Ostsee werfen immer noch große Mengen versehentlich gefangener Tiere zurück ins Wasser.
3.450 Tonnen Fisch weggekippt
Der Ices schätzt, dass Dorschfischer im östlichen Teil der Ostsee auch 2017 mindestens 11 Prozent des gesamten Fanges wieder über Bord warfen. Das bedeutet: Rund 3.450 Tonnen Fisch wurden zurückgekippt, obwohl das Rückwurfverbot hier im Januar 2015 inkraftgetreten ist.
Fangquote
Die EU legt jedes Jahr fest, wie viel von jeder Fischart in welchem Gebiet gefangen werden darf. Von dieser Menge erhalten die einzelnen Mitgliedstaaten eine Quote. Dieses System soll verhindern, dass die Meere überfischt werden.
MSC-Standard
Der Marine Stewardship Council (MSC) ist eine gemeinnützige Organisation, die das gleichnamige blau-weiße Siegel für Fischprodukte vergibt. Eine Bedingung: Die Fischbestände müssen in einem guten Zustand bleiben oder nachweislich wieder dorthin anwachsen. Das MSC verlangt auch, dass die Fischer alle Gesetze einhalten – also auch das Verbot der EU, Fische ins Meer zurückzuwerfen.
Logbücher
Fischer müssen in einem Logbuch festhalten, wie viel sie insgesamt und wie viel für den Verkauf als Lebensmittel zu kleine Fische sie gefangen haben.
Die tatsächliche Zahl dürfte noch weit höher liegen, sagt Christopher Zimmermann, Leiter des bundeseigenen Thünen-Instituts für Ostseefischerei. Denn in einigen Anrainerländern des Meeres sei es für die Fischereibeobachter des Ices zunehmend schwierig, an Bord zu kommen. Die Wissenschaftler können nur auf den Schiffen mitfahren, wenn der Kapitän einverstanden ist. Sie nehmen Stichproben, auf deren Grundlage der Ices die Fangmengen hochrechnet.
Der Meeresforschungsrat ist eine zwischenstaatliche Organisation, die alle Nordatlantik-Anrainer beauftragt haben, regelmäßig die Fischbestände zu untersuchen und Fangmengen zu empfehlen. Seine Wissenschaftler zeigen jedoch selbst keine Verstöße an, er beobachtet nur. Sonst würde kein Fischer die Forscher mehr mitnehmen.
Die Kontrolle funktioniert nicht
In der westlichen Ostsee wurden laut Ices im vergangenen Jahr fast 5 Prozent des Dorschfangs sowie in den Belten und Sunden dieses Meeres 16 Prozent des gesamten Schollenfanges zurückgeworfen. In der restlichen Ostsee waren es gut 38 Prozent.
Auch beim Kabeljaufang in der Nordsee werden die Vorschriften massiv verletzt. Für diese Fischart und diese Region hat der Ices 19 Prozent Rückwürfe errechnet. Zwar gilt das Rückwurfverbot hier bislang nur für bestimmte Fanggeräte und -gebiete. „Aber die Ausnahmen können kaum mehr als 10 Prozent der Rückwürfe erklären“, sagt Thünen-Forscher Zimmermann.
„Die Kontrolle des Anlandegebots funktioniert einfach nicht“, sagt Daniel Stepputtis, Fischereibiologe am Thünen-Institut. In diesem Jahr haben die in Deutschland zuständigen Bundesländer und die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung nach eigenen Angaben nur zwei Verstöße festgestellt. In den gesamten drei Jahren davor keinen einzigen. Ähnlich mau ist die Bilanz der anderen EU-Länder, wie die Europäische Fischereiaufsichtsagentur in ihrem aktuellen Jahresbericht für 2017 schreibt.
Es reiche eben nicht mehr, sagt Stepputtis, wenn der Fischmeister im Hafen steht und den Fang der Schiffe überprüft. „Das Anlandegebot muss auf See kontrolliert werden: entweder durch Beobachter auf den Kuttern oder – viel billiger – durch elektronische Überwachung, die Videokameras auf einem repräsentativen Teil der Fahrzeuge einschließen kann.“ Umweltorganisationen wie die Deutsche Umwelthilfe oder der WWF fordern deshalb, die Videoüberwachung vorzuschreiben. Die Kameras würden zeigen, wenn Fische über Bord geworfen werden.
Noch wichtiger als die Kameraüberwachung wäre nach Meinung der Thünen-Forscher, die Beweislast umzukehren. „Die Fischerei sollte nur dann die volle Quote bekommen, wenn sie nachweisen kann, dass sie keinen Fisch mehr über Bord wirft“, sagt Meeresbiologe Stepputtis. Aber auch dieser Vorschlag hat derzeit in Berlin keine Chance.
Die Fischerei zu überzeugen ist schwierig
Wenn die Behörden das Rückwurfverbot durchsetzen würden, hätten die Fischer auch mehr Anreize, nachhaltigere Fischerei zu betreiben, etwa Netze durch die Jungtiere entkommen können oder die vom Thünen-Institut entwickelte Methoden für weniger Beifang zu nutzen, erläutert Stepputtis. Dorsch-Fischer könnten etwa in ihre Netze unten einen Ausgang schneiden für Plattfische. Bei Versuchen von Stepputtis’ Team gingen so 90 Prozent weniger dieser nicht gewünschten Tiere ins Netz. Die Dorschverluste tendierten gegen null.
„Das Tolle ist, dass das so gut wie nichts kostet“, sagt Institutsleiter Zimmermann. „Jeder Fischer kann das selber machen mit einer Schere und ein bisschen Nähgarn.“ Aber Stepputtis klagt: „Die Fischerei zu überzeugen ist ein schwieriges Tagewerk. Das ist einfach ein sehr, sehr konservativer Haufen.“
Eine Lösung zumindest für den Kabeljau in der Nordsee könnte das Nachhaltigkeitssiegel der gemeinnützigen Organisation Marine Stewardship Council (MSC) bringen. Wenn eine zertfizierte Gruppe von Fischern eine wichtige Regel wie das Rückwurfverbot „so eklatant“ missachte, müsse sie das Siegel verlieren, erklärt Zimmermann, der auch Berater der Organisation ist. Kabeljau und Hering seien ohne Zertifizierung in Westeuropa aber kaum mehr verkäuflich.
Doch die Fischer scheinen diese Gefahr noch nicht erkannt zu haben. Der Deutsche Fischereiverband schreibt der taz, dass er nichts wisse über Verstöße gegen das Rückwurfverbot. Die Deutschen würden auch nur rund 10 Prozent der Fangquote für die betroffenen Bestände nutzen. Der Rest steht Fischern andere Staaten zu. „Demzufolge dürfte der Anreiz in anderen Ländern größer sein, gegen diese Regeln zu verstoßen“, so der Verband.
Kein Problem sieht auch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), die die EU-Fischereipolitik in Deutschland umsetzen soll. Sie kontrolliert die Logbucheinträge in denen die Fischer speichern, wie viel sie insgesamt und wie viel zu kleine Fische sie gefangen haben. Diese Daten würden, teilte das Amt der taz mit, „keine besonders hervorstechenden Auffälligkeiten hinsichtlich Verstößen gegen das Anlandegebot“ zeigen.
Forscher Zimmermann findet die Logbucheinträge aber sehr wohl auffällig, denn sie widersprächen den Stichproben der BLE auf See. Dabei würden die staatlichen Inspektoren zum Beispiel in der östlichen Ostsee feststellen, dass meist mindestens 10 Prozent der gefangenen Dorsche kleiner sind als für den Verkauf zum Verzehr zulässig. Aber in den Logbüchern würden die Fischer diesen Anteil nur mit 2,3 Prozent beziffern. Dass da etwas nicht stimmen kann, müsste eigentlich auch den Inspektoren der BLE auffallen.
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