Überfälliger Denkmalssturz: Ein Profiteur der Nazis

Ludwig Erhard wird bis heute gefeiert – dabei hat er eng mit Gauleitern und NS-Behörden kooperiert. Und bestens daran verdient.

ein alter, dicker Mann raucht eine Zigarre

Die Zigarre als Symbol des Wirtschaftswunders. Ludwig Erhard war aber schon vor 1945 gut im Geschäft Foto: dpa

BERLIN taz | Die Nachkriegszeit hat ein Gesicht: Ludwig Erhard. Vor siebzig Jahren wurde die erste Bundesregierung vereidigt und vor allem ihr Wirtschaftsminister ist unvergessen. In Deutschland sind Straßen, Festsäle und Schulen nach Erhard benannt. Erhard bediente, wonach sich viele Westdeutsche sehnten: Er inszenierte sich als politikferner „Professor“, der über den Parteien stand. Zugleich suggerierte Erhard, dass er zu NS-Zeiten eine Art Widerstandskämpfer gewesen sei. Doch diese Legenden sind falsch. Erhard war ein Profiteur des NS-Regimes und hat hochbezahlte Gutachten für Gauleiter und Himmler-Behörden verfasst.

Erhards NS-Vergangenheit ist historisch bestens dokumentiert, wird aber bis heute tatkräftig verschwiegen. Das neue Ludwig-Erhard-Museum in Fürth behauptet etwa, dass er die NS-Diktatur „in einer Art Nische“ überstanden hätte. Dieser ungebrochene Erhard-Kult zeigt beispielhaft, dass die Deutschen die NS-Vergangenheit noch immer nicht vollständig aufgearbeitet haben.

Gekürzter Auszug aus: Ulrike Herrmann: „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen“, Westend Verlag, September 2019

Erhard hat die meisten seiner Lügen wahrscheinlich selbst geglaubt, denn sie halfen ihm, schwere Niederlagen zu verbrämen. Dies begann bereits mit seiner Habilitation. Später hat Erhard behauptet, er hätte auf eine „akademische Laufbahn verzichten“ müssen, weil er kein Nazi gewesen sei. Dem italienischen Premier Aldo Moro erzählte Erhard beispielsweise, er sei zu Hitlers Zeiten „verfemt und geächtet“ gewesen und habe „seine Professorentätigkeit nicht ausüben dürfen“.

Die Wahrheit ist weniger schmeichelhaft: Erhards Habilitation scheiterte nicht am NS-Regime, sondern an seiner eigenen Unfähigkeit. Er brachte zwar 141 Seiten zu Papier, aber der Inhalt war so dürftig, dass Erhard das Werk lieber nicht einreichte. Die NSDAP war jedenfalls nicht schuld, dass Erhard nicht zum Professor aufrückte. Nürnbergs NS-Bürgermeister Eickemeyer wollte ihn sogar ohne Habilitation mit dem Titel ehren, stieß jedoch auf den Widerstand des standesbewussten bayerischen Kultusministeriums: Es fehle „ein umfangreiches wissenschaftliches Werk“, wurde aus München beschieden.

Herkunft Ludwig Erhard wird am 4. Februar 1897 in Fürth geboren. Die Eltern betreiben ein Fachgeschäft für Weißwäsche. Nach der Realschule absolviert Erhard eine Lehre in einer Textilhandlung in Nürnberg. Im Ersten Weltkrieg wird er so schwer verletzt, dass eine Kriegsbeschädigung zurückbleibt. Um die Genesung zu überbrücken, schreibt sich Erhard an der neu gegründeten Handelshochschule in Nürnberg ein, die kein Abitur verlangte.

Unternehmer 1925 promoviert Erhard in Frankfurt/Main beim Nationalökonomen Franz Oppenheimer, der an einer postmarxistischen Arbeitswertlehre forscht. Anschließend steigt Erhard als kaufmännischer Leiter beim Vater ein, kann aber die Pleite des Familienunternehmens nicht verhindern. 1928 wird er wissenschaftlicher Assistent beim Nürnberger Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware, das Marktforschung betreibt. 1933 rückt Erhard in die Geschäftsleitung auf – und knüpft vielfältige Kontakte zum NS-Regime.

Wirtschaftsminister Im Oktober 1945 macht die amerikanische Militärregierung Erhard zum bayerischen Wirtschaftsminister. Während seiner Amtszeit verschwinden Rohstoffe im Wert von mehreren Millionen Reichsmark. Der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss in der westdeutschen Geschichte konstituiert sich und spricht Erhard zwar frei, stellt aber fest, dass er sich als Minister nicht eignen würde. Im März 1948 steigt Erhard zum Wirtschaftsdirektor der Bi-Zone auf. Mit der Währungsreform am 20. Juni 1948 hat er nichts zu tun; Konzept und Durchführung liegt bei den Amerikanern. Erhard gibt allerdings die meisten Preise frei, was zu einer starken Inflation führt, die vor allem Arme trifft. Nach der ersten Bundestagswahl beruft Konrad Adenauer Erhard am 20. September 1949 als Wirtschaftsminister in sein Kabinett.

Kanzler Am 16. Oktober 1963 wird Erhard Nachfolger von Adenauer als Bundeskanzler. 1965 fährt er mit 47,6 Prozent für die Union einen Wahlsieg ein. Bald darauf schwächt sich das Wachstum jedoch ab. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Union fürchtet um ihre Mehrheit und zwingt Erhard am 1. Dezember 1966 zum Rücktritt. Bis zu seinem Tod am 5. Mai 1977 gehört Erhard dem Bundestag an.

Quellen

Bundesarchiv, R 49/893. Christian Gerlach: „Ludwig Erhard und die „Wirtschaft des neuen deutschen Ostraums“ (Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik). Volker Hentschel: „Ludwig Erhard. Ein Politikerleben“. Jürgen Lillteicher: „Raub, Recht und Restitution“. Karl Heinz Roth: „Das Ende eines Mythos“ (Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts). Clemens Wachter: „Ludwig Erhard als Wissenschaftler und Dozent“ (Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg).

Erhard war damals Geschäftsführer beim Nürnberger Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware, das eigentlich Marktforschung betrieb. Aber ab 1938 tat sich ein neues Thema auf, weil sich das Hitler-Reich Gebiete einverleibte – ob Österreich, das „Sudetenland“, das „Protektorat Böhmen und Mähren“, Lothringen oder das „Warthegau“: Es gab kaum ein Gebiet, über das Erhard keine Studie erstellte.

Aufträge von Gauleiter Bürckel

Besonders eng arbeitete Erhard mit Josef Bürckel zusammen, der erst Gauleiter in Wien und dann in Lothringen war. Zwei Expertisen stechen heraus: Anfang 1942 sollte Erhard die „Gesichtspunkte“ untersuchen, die bei der „Verwertung des volksfeindlichen Vermögens zu beachten“ seien. Damit war das Eigentum von deportierten Juden und missliebigen französischen Politikern gemeint.

Auch die zweite Expertise hatte mit diesem Themenkomplex zu tun: In den enteigneten Betrieben waren NS-Manager eingesetzt worden, die sich oft als extrem korrupt und unfähig erwiesen, so dass Erhard nun die „Problematik der kommissarischen Verwalter“ beleuchten durfte. Erhard war also bestens über die Judenverfolgung informiert – und gedachte davon zu profitieren, indem er Gutachten einwarb. Nach dem Krieg verbreitete Ludwig Erhard die Legende, er habe in Lothringen nur die Glasindustrie untersucht.

1940 tat Erhard zudem einen weiteren Großkunden auf – die „Haupttreuhandstelle Ost“, die im annektierten Polen tätig war. Mehrfach bereiste Erhard diese Gebiete und sprach dort mit den „verschiedensten und maßgebendsten Stellen“, wie er in einem Brief an Nürnbergs NS-Bürgermeister Eickemeyer herausstrich. Erhard kannte also das Grauen, das sich in Polen abspielte.

Massenmord als „Evakuierung“

Die polnische Elite war bereits im Herbst 1939 ermordet worden, um jeden Widerstand zu brechen: 20.000 Politiker, Priester, Professoren, Lehrer und Adlige wurden als Geiseln erschossen oder bestialisch niedergemetzelt. Diesen Massenmord umschrieb Erhard später in einem Gutachten euphemistisch als „Evakuierung der sogenannten polnischen Intelligenz“.

Die restliche Bevölkerung wurde ausgehungert und teilweise deportiert, weil die Gebiete möglichst schnell „eingedeutscht“ werden sollten. Bis Mai 1941 wurden 320.000 Polen aus dem Warthegau und aus Westpreußen in Züge gepfercht und in den Osten Polens abtransportiert, wo es für sie weder Nahrung noch Unterkünfte gab. Gleichzeitig wurden 160.000 Juden in das Ghetto von Lodz gezwängt und später ermordet.

Ludwig Erhard in einem Bericht 1941

„Der polnische Arbeiter hat sich ja als willig und fleißig erwiesen, wenn auch seine Leistung nicht an reichsdeutschen Maßstäben zu messen ist“

Erhards neuer Großkunde, die „Haupttreuhandstelle Ost“, war Teil dieser brutalen Gewaltherrschaft: Sie sollte die konfiszierten polnischen Betriebe verwalten, verwerten und an Deutsche übertragen. Allerdings zogen gar nicht genug qualifizierte „Volksdeutsche“ ins Warthegau um, so dass es mehr enteignete Firmen als deutsche Interessenten gab. Erhard sollte daher ein wirtschaftspolitisches Gesamtkonzept entwerfen, wie sich der „neue deutsche Ostraum“ entwickeln ließe.

Rassistische Klischees

Im Sommer 1941 war der Vorbericht fertig, in dem es nicht an rassistischen Klischees fehlte. So schrieb Erhard beispielsweise: „Der polnische Arbeiter hat sich ja als willig und fleißig erwiesen, wenn auch seine Leistung nicht an reichsdeutschen Maßstäben zu messen ist. Dies ist der Ausfluss mangelnder Erziehung und rassisch bedingter Eigenschaften.“ Erhard stellte daher fest: „Das polnische Volk hat weder die Gestaltungskraft noch den Gestaltungswillen, die es zu so wahrhaft kultureller Leistung befähigt.“ Erhards implizite Botschaft: Die Polen konnten froh sein, dass sie von den Deutschen unterworfen und enteignet worden waren, denn nun übernahm der germanische Sachverstand.

Ludwig Erhard dachte in völkischen Kategorien, daran besteht kein Zweifel. Dennoch lehnte er den mörderischen Vernichtungsrassismus ab, wie ihn etwa SS-Chef Heinrich Himmler verfolgte. Erhard blieb pragmatisch: Es war schlicht ineffizient, die Polen zu ermorden, zu vertreiben oder verhungern zu lassen, wenn sie doch als Arbeitskräfte und als Kunden benötigt wurden. Erhard plädierte daher dafür, dass die polnischen Arbeiter nicht viel weniger verdienen sollten als die deutschen: „Eine in materieller Hinsicht allzu starke Differenzierung zwischen Deutschen und Polen muss sich in einer Leistungsminderung niederschlagen und erhöht zudem die sozialen und politischen Spannungen.“

Kann jemand Rassist sein, der derart vernünftige Sätze schreibt? Erhards Anhänger glauben jedenfalls, sie könnten ihn exkulpieren: Erhard habe sich „überraschend couragiert für die Belange der einheimischen Bevölkerung eingesetzt“, schreibt etwa sein ehemaliger Mitarbeiter Horst Friedrich Wünsche.

Polen hatten Deutschen zu dienen

Diese Lesart beruht auf einem Missverständnis: Erhard interessierte sich nicht für die Polen – sondern für die Entwicklung des „neuen deutschen Ostraums“. Die Polen waren nur geduldet, solange man sie brauchte. Für Erhard war fraglos klar, dass die Polen keine Rechte besaßen und den Deutschen zu dienen hatten. Ihn interessierte nur, wie man sie möglichst produktiv einsetzen könnte.

Diese Haltung war nicht „couragiert“, sondern im NS-Staat weit verbreitet. Viele überzeugte Nazis waren höchst unglücklich, dass Hitler und Himmler dringend benötigte Arbeitssklaven in die Konzentrationslager schickten oder verhungern ließen. Erhards Vorbericht wurde breit gestreut, und besonders stolz war der Verfasser, dass sogar Hermann Göring einen Lobesbrief unterschrieben hatte: „Für Ihre erfolgreiche Arbeit spreche ich Ihnen meine ganze besondere Anerkennung und meinen Dank aus.“

Himmlers SS-Dienststellen hingegen monierten, dass bei Erhard jeder Hinweis fehlte, dass die Polen „zu einem bestimmten Zeitpunkt aus dem deutschen Volkskörper und aus der deutschen Wirtschaft ausgemerzt“ werden müssten. Diese Vorbehalte hinderten Himmlers Gefolgsleute nicht daran, im Mai 1943 noch einen „Ergänzungsbericht“ bei Erhard zu bestellen.

Pläne zur Vertreibung Hunderttausender Polen

Der „volkspolitische“ Anspruch war nun glasklar formuliert: Erhard sollte darstellen, wie sich das Warthegau entwickeln ließe, wenn „von der Forderung ausgegangen wird, dass die Ostgebiete völlig mit deutschen Menschen besiedelt werden“. Das Honorar betrug 6.000 Reichsmark, und für diese üppige Summe war Erhard gern bereit, einen Plan zu entwickeln, wie sich Hunderttausende Polen vertreiben ließen, ohne dass hinterher Arbeitskräfte fehlten: „Je mehr ich mir den von Ihnen vorgebrachten Gedanken überlege, desto mehr lockt mich die Aufgabe.“

Pech für Erhard: Seine Personalakte hat den Krieg überstanden.

Dieses Gutachten warb Erhard schon in eigenem Namen ein, denn 1942 verließ er im Streit das Nürnberger Institut. Auch diese Differenzen nutzte Erhard nach dem Krieg, um sich als Widerstandskämpfer zu inszenieren. „Dreimal“, und zwar „mit immer kürzerer Terminsetzung“, sei er aufgefordert worden, sich der Deutschen Arbeitsfront anzuschließen. Da habe er „mit sofortiger Wirkung“ seinen Dienst quittiert. Ungehemmt erklärte sich Erhard zum NS-Opfer: „So war ich, völlig vermögenslos – gewissermaßen über Nacht – auch noch arbeitslos geworden.“

Pech für Erhard: Seine Personalakte hat den Krieg überstanden. Nirgendwo findet sich der Hinweis, dass Erhard einer NS-Organisation beitreten sollte. Auch fiel Erhard keineswegs ins Nichts, nachdem er das Nürnberger Institut verlassen hatte. Unter anderem blieb er wirtschaftspolitischer Berater von Gauleiter Bürckel in Lothringen, wofür ihm der „Führer“ im Januar 1943 das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse verlieh.

Viele Reichsmark für wenig Arbeit

Zudem konnte Erhard familiäre Bande nutzen: Seine Schwester war mit dem Hauptgeschäftsführer der Reichsgruppe Industrie verheiratet, und dieser Schwager organisierte nun die Mittel, damit Erhard sein eigenes Institut für Industrieforschung gründen konnte. Dieses Institut bestand zwar nur aus Erhard und seiner Sekretärin, wurde aber üppigst dotiert. Jährlich wurden 150.000 Reichsmark bewilligt. Ein Arbeiter, zum Vergleich, verdiente damals knapp 2.000 Reichsmark im Jahr. Zudem musste sich Erhard nicht überarbeiten: So weit man weiß, hat er nur ein paar Erhebungen durchgeführt und eine größere Denkschrift verfasst.

Erhard sollte sich mit der Frage befassen, wie man die gigantischen Staatsschulden abbauen könnte, sobald der Krieg endgültig verloren wäre. Hitler hatte zwar untersagt, über eine Niederlage nachzudenken, doch daran hielt sich nicht jeder – auch nicht SS-Führer Himmler. Stattdessen waren die Eliten in Wirtschaft und NS-Staat eifrig damit beschäftigt, ihre Bastionen auszubauen und für das unvermeidliche Kriegsende vorzusorgen.

Himmler trachtete vor allem danach, Rüstungsminister Albert Speer wieder zurückzudrängen. Um diesen kommenden Machtkampf zu gewinnen, vertraute Himmler auch auf einige Getreue im Reichswirtschaftsministerium. Dazu gehörte Otto Ohlendorf, Chef des Sicherheitsdienstes Inland, der gleichzeitig Unterstaatssekretär im Wirtschaftsministerium war.

Das Treffen mit dem Massenmörder

Erhards Gutachten war ein höchst seltsames Dokument, denn er benötigte 268 redundante Seiten, um zu der simplen Erkenntnis zu gelangen, dass man die Staatsschulden faktisch annullieren muss, wenn eine Regierung ihre Kredite nicht zurückzahlen kann.

Am 16. November 1944 traf sich Erhard dann mit Ohlendorf, um seine Studie zu erläutern. Ohlendorfs hoher SS-Rang war allgemein bekannt, aber Erhard dürfte nicht gewusst haben, dass er sich mit einem Massenmörder traf: Ohlendorf ist 1951 als Kriegsverbrecher hingerichtet worden, weil er direkt dafür verantwortlich war, dass mehr als 90.000 Menschen „liquidiert“ wurden. Zu NS-Zeiten spielte Erhards Denkschrift dann keine Rolle mehr, weil die Reichsgruppe Industrie andere Konzepte bevorzugte. Nützlich wurde die Studie nur für Erhard selbst – nach dem Krieg. Denn ausgerechnet mit dieser Denkschrift wollte er belegen, dass er ein Widerstandskämpfer gewesen sei.

Erhards Fantasie wurde beflügelt, weil ein echter Widerstandskämpfer ihn tatsächlich lobend erwähnt hatte: Carl Goerdeler. Auf seiner Flucht vor der Gestapo hatte Goerdeler noch ein „politisches Testament“ verfasst, und dort schrieb er an seine Mitverschwörer: „Doktor Erhard […] hat über die Behandlung der Schulden eine sehr gute Arbeit geschrieben, der ich im wesentlichen beistimme. Er wird Euch gut beraten.“

Die Legende vom Widerstandskämpfer

Goerdeler dürfte von Erhards Denkschrift über Umwege erfahren haben, denn die beiden kannten sich kaum und waren sich nur ein einziges Mal 1935 dienstlich begegnet. Trotzdem dichtete Erhard nun eine enge Freundschaft herbei: Seine Denkschrift sei „in Zusammenarbeit mit Goerdeler“ entstanden, versicherte er immer wieder treuherzig. Ergriffen schilderte Erhard die Gefahr, in der er angeblich geschwebt hatte: „Ich bin mit Goerdeler oft zusammengekommen, wir haben auch Briefe gewechselt, wir haben uns in Berlin getroffen […] und ich war zu dem Zeitpunkt, als Goerdeler verhaftet wurde, durchaus darauf gefasst, auch mitgefangen zu werden.“

Ludwig-Erhard-Stiftung

„Wo er helfen konnte, half er“

Erhard sah kein Problem darin, fremdes Leid auszuschlachten. In der NS-Zeit hatte er Gutachten über „Arisierungen“ geschrieben, und nach dem Krieg war eben ein gehenkter Widerstandskämpfer nützlich. Erhard vermochte mühelos auszublenden, dass Goerdeler just in der Zeit von der SS gequält und gefoltert wurde, als er selbst seine Denkschrift mit SS-Brigadeführer Ohlendorf diskutierte.

Erhard konnte sein Gewissen auch mühelos ausschalten, wenn es galt, Beraterhonorare zu kassieren. Nach dem Krieg erhielt er jährlich 12.000 D-Mark von der weltbekannten Porzellanfirma Rosenthal AG, die zu den „arisierten“ Unternehmen gehörte. Als Firmenerbe Philip Rosenthal sich nach dem Krieg bemühte, den väterlichen Betrieb zurückzuerhalten, schrieb Erhard am 20. Juni 1949 einen höchst ungewöhnlichen Brief an die US-Militärregierung: Er legte den Amerikanern nahe, „den im Dritten Reich eingesetzten Vorstand der Rosenthal A.G. nicht abzusetzen“. Erhard wollte also genau jene Manager retten, die ab 1934 die Firma gewaltsam „arisiert“ hatten. Sein Brief blieb jedoch folgenlos, weil die US-Militärregierung den lukrativen Beratervertrag kannte – und Erhard für käuflich hielt.

Obwohl Erhard an den „Arisierungen“ bestens verdient hat, wird bis heute die Legende verbreitet, dass Erhard viele Juden unterstützt hätte: „Wo er helfen konnte, half er“, heißt es bei der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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