Über Rassismus reden: Der Sprache ist zu misstrauen
„Political Correctness“ soll schuld daran sein, dass die Rechten triumphieren. Dabei galt es mal als links, Bestehendes infragezustellen.
Keine Ahnung, ob ich befugt bin, über Rassismus zu sprechen. Ich musste mich noch nie als Opfer irgendeiner Form von Diskriminierung fühlen – trotz unverkennbarer Obesität. Auch versuche ich, den Gebrauch sexistischer und xenophober Denkmuster zu vermeiden. Von daher fehlt mir jede Erfahrung. Und schweigen sei klüger und philosophischer – so sagt man. Denn ohne Sprache kein Rassismus, selbst wenn er sich mit roher Gewalt artikuliert. „Rasse“ gibt es nur als sprachliches Konzept. Jenseits von Sprache sind weder Fremde noch Feindlichkeit überhaupt denkbar. Also läuft nur, wer schweigt, nicht Gefahr, rassistisch zu reden.
Derzeit scheint es aber, als mache sich in besonderem Maße des Rassismus schuldig, wer diesen kritisiert. So gilt nicht etwa der grassierende Rassismus als Ursache dafür, dass mit Donald Trump ein bekennender Rassist und Chauvinist Präsident der USA wird. Nein, die Gegenseite soll zu penetrant eine diskriminierungsarme Sprache eingefordert haben – die als „Political Correctness“ diffamiert wird.
„Political Correctness“, dieser Ausdruck wurde schon im 18. Jahrhundert vom Supreme Court geprägt. Doch populär wurde der Begriff erst ab den 1970er Jahren. Seither habe es „nur Kampagnen gegen die sogenannte Political Correctess gegeben“, schrieb die Publizistin Moira Weigel kürzlich im Guardian. Es sei in den vergangenen 25 Jahren eine Lieblingstaktik der Rechten gewesen, mithilfe dieses Mythos einen vagen und sich stets wandelnden Feind zu beschwören. In Deutschland gilt das in noch stärkerem Maße. Hier war der Ausdruck stets nur Kampfbegriff der Reaktion, eine Diffamierung von Rücksichtnahme auf Minderheiten und Schwächere.
Daher befremdet es, zu sehen, wie er nun auch in die Rhetorik von SPD und Grünen Einzug hält. Diese Parteien hatten bis dato Wert darauf gelegt, wenn schon nicht als links, so doch wenigstens als emanzipatorisch zu gelten. Damit ist offenbar Schluss: „Wir dürfen es mit der Political Correctness nicht übertreiben“, sagte etwa der Star-Grüne Winfried Kretschmann. Polizeiliche Kriminalstatistiken verzeichnen eine Zunahme fremdenfeindlicher Gewalttaten, die Mitte-Studie eine Zunahme rassistischer Einstellungen in Deutschland.
Belege eher als Anekdoten
Doch die Belege für eine angeblich maßlose Political Correctness, die alle Leute ständig zwingt, ihren befreienden Rassismus bei sich zu behalten, verlieren sich im Anekdotischen. Meist beklagen sich männliche Professoren jenseits der 50, dass eines ihrer Seminare von Antira- oder LBGT-Aktivist_innen gestört wurde, mit denen zu diskutieren sie sich nicht getraut hätten. „Wir werden eingeschüchtert“, heißt es dann. Political Correctness kommt nur als Karikatur vor; als Zerrbild von Diskursen, die versuchen, die Mehrheitssprache zu kritisieren und die Gewalt und autoritäre Struktur der Mehrheitskultur anzugreifen. Der Streit für eine menschliche Sprache wird zum Witz, spiegelt man ihn nur in seinen exzessiven Kämpfen um einzelne Wörter oder einem Kantinenstreit in einem US-amerikanischen Elitecollege.
Es geht nicht darum, ob der Studierende, der ein original vietnamesisches Softbaguette für sein BanhMi fordert, kulinarisch im Recht ist oder ob auch durch und durch rassistische, antisemitische Literatur wie der „Merchant of Venice“ oder „Othello“ ein bedeutendes Werk ist. Es geht um das Recht, das infrage zu stellen, was einem vorgesetzt wird. Darum, die sprachlich strukturierte Welt verändern zu können. Das ist ein linkes, wenn nicht sogar das linke Projekt.
Maßlos scheint vor diesem Hintergrund nicht der wie auch immer kurios argumentierende Protest gegen ein Mensaessen, sondern dass ihm die New York Times einen großen Artikel widmet – der wiederum weltweit aufgegriffen wird: In Hunderten Artikeln belegt dieser singuläre Protest an einem kleinen Elitecollege, dass sie es mit der Political Correctness, dem Antirassismus und der Kritik an kultureller Aneignung in den USA übertreiben.
Die Debatte: Die Linke debattiert darüber, wie sich eine inklusive und gleichberechtigte Gesellschaft erreichen lässt. Es herrscht dabei große Uneinigkeit über die Strategien antirassistischer Arbeit. Wer hat welche Deutungshoheit, wer hat wie viel Macht? Und wer ist bereitzu teilen?
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„Die Sprache als Performanz aller Rede ist weder reaktionär noch progressiv“, hatte der französische Sprachphilosoph Roland Barthes vor 40 Jahren konstatiert, „sie ist ganz einfach faschistisch.“ Das ist sicher eine böse Pointe und hoffentlich eine Übertreibung: Wer das glaubt, dem bleibt nur die Wahl zwischen Faschismus und der Sprachlosigkeit der Subalternen. In seiner haltlos-romantischen Ironie macht Barthes’ Diktum das Dilemma deutlich: Der Sprache ist zu misstrauen. Noch jedes Gute lässt sich durch einen einzigen Handgriff zum Übel machen. Jeder Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit kann als Neid, jede Forderung nach Selbstbestimmung als nationalistisch, jegliche Solidarität als paternalistisch betrachtet werden.
Emanzipation durch Sprache
Jemanden der Lächerlichkeit preiszugeben war schon früher ein sehr wirksames Mittel der Zurechtweisung für ein die Norm störendes Verhalten. Der demütigende Charakter dieser Maßnahme hilft, nicht nur die sprachliche Ordnung wiederherzustellen, sondern sie zugleich zu stabilisieren. Und trotzdem: Es gibt historische Hinweise darauf, dass Versuche der Emanzipation durch Sprache Erfolg haben können – trotz heftiger Verspottung. Im 17. Jahrhundert wurden Frauen, die sich nicht nur als Fickfleisch auf dem Heiratsmarkt verstanden wissen wollten, als „Preziöse“ geschmäht. In ihren Salons forcierten sie die Ausbildung von Medien zum Ausdruck von Gefühlen und zur Darstellung von Intimität. Die Männerwelt des Hofs hat das schwer verstört. In seiner Farce „Les Précieuses Ridicules“ (1659) lässt es Molière witzig erscheinen, dass seine Figuren Cathos und Madeleine auf einem Mindestmaß an dialogischer Anbahnung beharren, statt sofort in die arrangierte Ehe einzuwilligen.
Am Schluss des Stücks weiß der Mann sich nur durch Prügel durchzusetzen. Wer schlägt, siegt – aber nur vorläufig. Den langfristigeren Einfluss auf Gesellschaft, Literatur und Auswirkungen sogar in die tiefen Strukturen der Sprache hinein aber hatten am Ende die Preziösen. Wichtiger aber als der Sieg einer Sprecherinnengruppe ist der Weg dorthin: der Versuch, Sprache durch Sprache hassfrei zu gestalten, sie brüchig zu machen. Dabei geht es weniger um Tabuisierung des einzelnen Ausdrucks als ums Prinzip: „Die PC-Norm fördert den freien Ausdruck von Ideen eher, als ihn zu behindern“, schlussfolgert etwa die ForscherInnengruppe um Jack Goncalo, Professor für Organizational Behavior an der Cornell University, New York.
Die Freiheit wächst durch Regeln des verträglichen Umgangs. Das gilt allerdings nur in heterogenen Gruppen. Wer Freiheit des Gedankens nur für sich und die will, die er für Gleichgesinnte hält, dem ist durch Political Correctness nicht zu helfen. Aber auch nicht ohne sie.
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