US-Wahlen noch nicht entschieden: Von „blauer Welle“ keine Spur
Noch hat Joe Biden eine rechnerische Chance, nächster Präsident zu werden. Aber für die Demokrat*innen ist die Wahl dennoch eine Riesenenttäuschung.
Nur die – mutmaßlich sehr viel häufiger von Wähler*innen des demokratischen Kandidaten Joe Biden abgegebenen – Briefwahlstimmen können das Ruder noch zu einem Biden-Sieg herumreißen, und in diesem Moment stellt sich Trump vor Anhänger*innen und Presse und erklärt, er habe die Wahl gewonnen, wolle sich beim Obersten Gerichtshof darum bemühen, dass keine weiteren Stimmen mehr gewertet werden und insinnuiert, dass da Wahlbetrug im Spiel sei.
Selbst Trumps Leib- und Magensender Fox News wies darauf hin, dass er die Wahl keinesfalls bereits gewonnen habe, CNN empörte sich über die Lügen und Drohungen des Präsidenten, und weltweit zeigten sich Beobachter*innen schockiert über Trumps erneutes Torpedieren des demokratischen Wahlprozesses – ohne dass aber jemand behaupten könnte, Trump werde die Wahl deutlich verlieren.
Die reinen Zahlen geben kein klares Bild: Würde sich der frühe Trend bestätigen, dass Trump nach Ohio und Florida auch die Rust-Belt-States Michigan, Wisconsin und Pennsylvania für sich entscheiden könnte, hätte er die Wahl klar gewonnen.
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Aber gegen fünf Uhr morgens der Washingtoner Zeitzone, elf Uhr deutscher Zeit, drehte sich plötzlich die Führung Trumps in Wisconsin: Nach Bekanntgabe der Stimmen aus dem klar demokratischen Milwaukee County lag Joe Biden in Wisconsin plötzlich mit 11.000 Stimmen in Führung. Ein Lichtblick für den demokratischen Kandidaten, der schon Stunden vorher seine eigenen Unterstützer*innen mit Durchhalteparolen aufgerufen hatte, noch nicht alle Hoffnung aufzugeben. Aber eben nur ein Lichtblick.
Kein Referendum über Trumps Coronapolitik
Denn die Nacht lief schlecht für die Demokrat*innen, viel schlechter als erhofft. Von der „blauen Welle“, die sich viele erhofft hatten, kann nicht die Rede sein, im Gegenteil. Die wichtigen Swing States Florida und Ohio (ohne die seit John F. Kennedy kein Kandidat mehr gewonnen hat) gingen an Trump, die Hoffnungen, in Texas mitspielen zu können, erfüllten sich nicht, in Georgia und North Carolina liegt Biden hinten, und auch der Senat scheint trotz zweier demokratischer Zugewinne in Colorado und Arizona unter republikanischer Kontrolle zu bleiben.
Und selbst wenn es für Biden zum Gewinn der Präsidentschaft letztlich doch noch reichen sollte – und es Trump nicht schafft, diesen Wahlsieg auf juristischem Wege zu torpedieren –, müssen sich nicht nur erneut die Umfrageinstitute fragen, was da eigentlich wieder falsch gelaufen ist, sondern auch die Demokrat*innen.
Ganz sicher ist: Ihr Versuch, die Wahl zu einem Referendum über die Coronapolitik des Präsidenten zu machen, ist gescheitert. In Nachwahlumfragen sagte zwar eine klare Mehrheit der Befragten, dass sie mit Trumps Umgang mit Corona nicht zufrieden sind und Biden da mehr zutrauen – aber es war bei weitem nicht ihr wichtigstes Thema. Das war die Wirtschaft, und da liegen Trumps Zustimmungswerte deutlich über Bidens.
Und: Für die meisten Trump-Gegner*innen ist er ein offen rassistischer Präsident – aber seine Zustimmungswerte unter Schwarzen und Latinos sind gestiegen. In Florida etwa holte Hillary Clinton vor vier Jahren 62 Prozent der Latino-Stimmen, Biden nur 52. Das Dauerbombardement der Trump-Kampagne, bei dieser Wahl gehe es um eine Entscheidung zwischen Freiheit und Kommunismus, scheint insbesondere bei der kubanischen und venezolanischen Community massiv verfangen zu haben.
Trump bei Schwarzen, Latinos und Asians besser als 2016
Landesweit verbesserte sich Trump bei Schwarzen (von 8 auf 12 Prozent), bei Latinos (von 28 auf 32) und bei Asian-Americans (von 27 auf 31 Prozent). Woran das im Einzelnen liegt, müssen weitergehende Analysen zeigen: Sicher scheint, dass die demokratische Gewissheit, Trumps rassistische Rhetorik würde ihnen die Stimmen quasi von allein zuspielen, sich keinesfalls bewahrheitet hat.
Und auch die alte Weisheit, dass hohe Wahlbeteiligung quasi automatisch zu demokratischen Wahlsiegen führt, sollte endlich ad acta gelegt werden: Am Mittwochmorgen schon hatten beide Kandidaten jeweils über drei Millionen Stimmen mehr erhalten als Trump und Clinton 2016. Trump hat die Dynamik gedreht: Hohe Mobilisierung nutzt ihm.
Sicher scheint auch, dass Trump zwar gute Chancen hat, wiederum die Mehrheit von über 270 Stimmen im Electoral College zu bekommen und damit im Weißen Haus zu bleiben, erneut aber keine Mehrheit der US-Amerikaner*innen von sich hat überzeugen können. In den frühen Morgenstunden des Mittwochs in den USA lag Biden beim – für den Wahlausgang unbedeutenden – „popular vote“, also den landesweit insgesamt abgegebenen Stimmen, gut zwei Millionen Stimmen vor Trump.
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