UN-Beauftragter für Libyen: Der Vermittler schmeißt hin
Ghassan Salamé tritt zurück. Damit zieht er die Konsequenz aus dem Scheitern des Berliner Friedensprozesses für Libyen.
„Ich habe über zwei Jahre lang versucht, die Libyer wieder zusammenzubringen, die ausländische Einmischung zu stoppen und die Einheit des Landes zu sichern“, schrieb Salamé.
Im vergangenen Jahr hatte der 69-jährige Angela Merkel gebeten, sich aktiv in die Friedensbemühungen für Libyen einzuschalten. Der von deutschen Diplomaten entworfene „Berliner Prozess“ mündete schließlich im Januar 2020 in eine Libyen-Konferenz in Berlin, auf der zahlreiche Länder einem 51-Punkte-Plan zur Befriedung Libyens zustimmten, aus dem so gut wie nichts geworden ist.
Salamé übernahm die Leitung der UN-Unterstützungsmission für Libyen (Unsmil) im Juli 2017 vom deutschen Diplomaten Martin Kobler. Beide vereint, mit hohem persönlichen Einsatz einen Friedensprozess angestoßen, aber nicht zu Ende gebracht zu haben. Unter Kobler war die amtierende libysche Einheitsregierung von Premierminister Fajis Sarradsch in der Hauptstadt Tripolis ins Leben gerufen worden.
Spätestens seit dem aktuellen Konflikt in Libyen, bei dem der abtrünnige General Chalifa Haftar große Teile des Landes unter seine Kontrolle gebracht hat, ist klar, an was die libyschen Kriegsparteien glauben: eine militärische Lösung des Libyen-Konfliktes.
Die UN-Mission erscheint ähnlich machtlos wie die Sarradsch-Regierung in Tripolis, die zwar international anerkannt ist, aber tatsächlich nicht einmal ganz Tripolis kontrolliert. Wie Sarradsch sind auch Salamé und seine mehr als 300 UN-Mitarbeiter schon bei Fahrten durch die libysche Hauptstadt vom guten Willen der Milizen abhängig.
Auf beiden Seiten der Front wird trotz des geltenden UN-Waffenembargos und der Beschlüsse von Berlin aufgerüstet wie nie zuvor. Salamé beklagte immerhin die Doppelzüngigkeit der internationalen Partner der libyschen Kriegsparteien lauter als viele andere.
Zuletzt hatte seine Mission die sogenannten „5 plus 5“-Gespräche in Genf geleitet, die Offiziere der „Libyschen Nationalarmee“ (LNA) von Haftar und der mit der Einheitsregierung verbündeten westlibyschen Stadtmilizen an einen Tisch bringen sollte. Zwar fanden die ersten beiden Runden statt, doch in getrennten Räumen; zu persönlichen Treffen waren die Delegationen noch nicht bereit. Nach wiederholten LNA-Raketenangriffen auf den Flughafen von Tripolis setzte Regierungschef Sarradsch schließlich die Teilnahme seiner Delegation aus.
Libyen ist gespaltener denn je
Mit der aktuellen militärischen Eskalation ist auch der Berliner Prozess in Gefahr. Denn ohne einen schriftlichen Waffenstillstand erscheint eine Friedenskonferenz, wie in Berlin anvisiert, unmöglich. Politiker, Stammesälteste, Aktivisten oder Offiziere werden in Libyen als Verräter gebrandmarkt, wenn sie moderate Äußerungen über die Gegenseite wagen. Wohl nie war Libyen gespaltener als jetzt.
Salamé genoss in Libyen Respekt; er fand als ehemaliger libanesischer Kulturminister oft die richtige Ansprache und als Angehöriger der griechisch-katholischen Minderheit setzte er oft die richtigen Akzente, denn auch in Libyens Machtkampf geht es um Rechte von Regionen und Minderheiten.
Doch für eine Friedenskonferenz fehlte Salamé die internationale Unterstützung der Staatengemeinschaft. Die Golfstaaten, Russland, die Türkei, Frankreich und Italien haben aus dem Streit um Afrikas größte Öl- und Gasvorräte einen Stellvertreterkrieg um die Macht in Libyen gemacht.
Stunden bevor Salamé zusammen mit UN-Generalsekretär António Guterres am 4. April 2019 eine Friedenskonferenz in Tripolis verkünden wollte, startete Haftar seine Offensive auf die Hauptstadt. Elf Monate später hat Ghassan Salamé aus seiner Ohnmacht die Konsequenzen gezogen.
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