Türkei und Europas Flüchtlingspolitik: Zugang zum Asylsystem geschlossen
Eine Studie zeigt: immer mehr Schutzsuchende werden an den türkischen Grenzen abgewiesen oder zurückgeschoben. Das sei mit dem EU-Recht unvereinbar.
Ihre 2021 begonnene Untersuchung zeigt: Viele Schutzsuchende werden heute direkt an den Grenzen der Türkei abgewiesen oder zurückgeschoben. Und wer ins Land kommt kann oder darf sich oft gar nicht als Flüchtling registrieren. Registrierunsbüros sind geschlossen, Menschen werden dort abgewiesen, viele rechtliche Beschränkungen machen Anträge oft unmöglich.
„Die Türkei hat den Zugang zu ihrem Asylsystem faktisch geschlossen“, sagt Mulis. Für jene, die es trotzdem ins Land schaffen sei die Folge „Lebensbedingungen, die für das Leben nicht reichen“. Denn wer nicht registriert ist, darf nicht arbeiten und bekommt keine Sozialleistungen und muss ständig mit der Abschiebung rechnen. Das gelte auch für Menschen aus Kriegsregionen wie Syrien oder Afghanistan, so Mulis.
Und es betrifft auch Menschen, die sich nach Europa flüchten. Denn seit der so genannten EU-Türkei-Erklärung 2016 gilt die Türkei als „sicherer Drittstaat“ – wer von dort etwa nach Griechenland flüchtet, hat es schwer, Asyl zu bekommen. 2021 verschärfte sich dies noch: Da beschloss die griechische Regierung eine so genannte Unzulässigkeitklausel: Wer aus Syrien, Afghanistan, Bangladesh, Pakistan oder Somalia stammt, dessen Asylantrag wird gar nicht erst angenommen, falls die Person über die Türkei eingereist ist. Ihnen droht die Abschiebung in die Türkei. „Aber dort sind sie eben nicht sicher“, sagt Mulis.
Sichere Drittsaaten – ein problematisches Konzept
Ihre Untersuchung zeigt, wie problematisch das Konzept der „sicheren Drittstaaten“ ist – Transitstaaten also, auf die die EU die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz abwälzen will. Das ist einer der Kernpunkte ihres neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS): Wer über einen „sicheren Drittstaat“ eingereist ist, soll künftig ohne Asylverfahren dorthin abgeschoben werden können.
Die EU hat der Türkei dazu mehrere Milliarden Euro gezahlt – auch, um die Aufnahmebedingungen vor Ort zu verbessern. Bei den Menschen kommt davon wenig an: Syrer:innen, die aus EU-Mitteln finanzierte Sozialleistungen erhalten, bekommen umgerechnet nur 14 Euro pro Monat – sofern sie überhaupt Zugang zu dem entsprechenden Programm bekommen.
Zudem häufen sich Berichte über illegale, gewaltsame Zurückweisungen an den Grenzen. Türkische Soldaten hätten Migranten dort „brutal misshandelt“, hieß es in einer Mitteilung der Organisation Human Rights Watch. Teils seien ihnen Knochen gebrochen, teils ihr Hab und Gut abgenommen worden, bevor sie sie zurück über die Grenze gebracht hätten. Ausweisungen ohne vorige Prüfung etwa einer Bitte um Asyl, sogenannte Pushbacks, sind nach internationalem Recht illegal.
Eine Kettenabschiebung, die nicht EU-rechtskonform ist
Italien, Griechenland und andere Länder hatten sich bei den GEAS-Verhandlungen im Mai mit der Forderung durchgesetzt, Migranten in sogenannte sichere Drittstaaten abschieben zu können. Dies soll auch dann möglich sein, wenn ein Geflüchteter lediglich durch den betreffenden Drittstaat durchgereist ist und sonst keine Verbindung zu ihm hat.
Der Fokus bei der Ankunft in der EU liegt dann nicht auf der Prüfung der individuellen Fluchtgründe einer Person, die beispielsweise aus Afghanistan vor den Taliban geflohen ist, sondern auf der Fragen, ob sie aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist, etwa der Türkei, und ob sie dorthin zurückgeschickt werden kann.
Im Fall der Türkei ist dies rechtswidrig, glaubt Mulis. Wenn die Abschiebung in einen Drittstaat etwa eine Kettenabschiebung zur Folge hat, sei diese mit dem EU-Recht unvereinbar.
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