Grenze zwischen Türkei und Griechenland: Spitze Geschosse gegen Geflüchtete
Die Türkei heizt die Lage an der Grenze weiter an. Griechenland setzt das Asylrecht aus und schießt mit lebensgefährlichen Tränengaskartuschen.
Der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi kündigte an, dass alle nach dem 1. März in Griechenland festgenommenen Flüchtlinge zunächst in die nordgriechische Stadt Serres gebracht und dann ohne Asylverfahren in ihre Heimatländer abgeschoben würden. Auf den griechischen Inseln seien seit dem 1. März rund 1.700 Flüchtlinge angekommen.
Aktuell befinden sich rund 5.000 Menschen am Grenzübergang vor dem griechischen Dorf Kastanies. Wie schon in den vergangenen Tagen verbreitete die Türkei erheblich abweichende Zahlen: Innenminister Süleyman Soylu behauptete, seit Ende Februar seien mehr als 130.000 Migranten über die Grenze nach Griechenland gezogen, was vollkommen übertrieben sein dürfte.
Soylu warf Griechenland vor, in den letzten Tagen etwa 4.900 Migranten zurückgewiesen zu haben. Das verstoße gegen internationale Konventionen. „Sie sind verpflichtet, sie hereinzulassen und Asylbewerber aufzunehmen“, sagte Soylu.
Türkei bringt Griechenland in Nöte
Offenbar um den Konflikt weiter anzuheizen, schickte Ankara am Donnerstag 1.000 Spezialkräfte der Polizei an den Grenzfluss Evros. Diese sollen eine Zurückweisung von Migranten verhindern. „Mit Hilfe von Schlauchbooten werden sie die (zurückhalten), die Menschen misshandeln“, sagte Soylu. Griechische Polizisten haben verschiedenen Berichten zufolge schon seit Jahren Zehntausende Flüchtlinge illegale über den Grenzfluss Evros zurück in die Türkei geschoben.
Die Türkei werde noch viel mehr Migranten Richtung Europa ziehen lassen, sagte Soylu. Auch für die Menschen in der syrischen Krisenregion Idlib würden sich die Türen öffnen, „und letztendlich werden sich alle auf den Weg nach Europa machen“, sagte Soylu.
Wie sehr die Türkei es darauf anlegt, den ungeliebten Nachbarn Griechenland in Nöte zu bringen, zeigt sich an der bulgarisch-türkischen Grenze: Dort gebe es „keine Spannung“, sagte Bulgariens Verteidigungsminister Krassimir Karakatschanow. Die Türkei lasse keine Migranten in Richtung Bulgarien durch. Sollte sich das ändern und es „Ausschreitungen wie in Griechenland“ geben, wolle das Land notfalls „Gewalt anwenden“, sagte er.
Griechenland hat unterdessen Beschränkungen für den Schiffsverkehr in der Ägäis erlassen, um die „illegale Migration über das Meer“ zu bekämpfen, so das Verteidigungsministerium. Zunächst bis zum 12. März sollen kleine Schiffe und Boote das Seegebiet nicht befahren dürfen. Ausgenommen seien Handelsschiffe.
Geschosse mit scharfer Spitze
Am Montag und am Mittwoch gab es Berichte über zwei Tote durch Geschosse der griechischen Polizei. Jetzt berichtet die Investigativ-Website Bellingcat, Griechenland setze offenbar „potenziell tödliche“ Tränengasgeschosse an der Grenze ein. Dort seien Tränengaskartuschen „mit scharfer Spitze“ gefunden worden, so Bellingcat. „Normale Tränengasgeschosse“ hätten nur eine begrenzte Reichweite und verursachten eher keine schweren Verletzungen. Die gefundenen Geschosse hätten hingegen „deutlich mehr Wucht“. Durch ähnliche Geschosse seien zahlreiche Demonstranten im Irak schwer verletzt oder getötet worden.
Die Türkei hatte Griechenland am Mittwoch vorgeworfen, mit scharfer Munition auf Migranten und Flüchtlinge an der Grenze geschossen und mehrere verletzt sowie einen getötet zu haben. Athen wies dies als „Falschnachrichten“ zurück. Wegen des Tods eines Migranten will die Türkei den Internationalen Menschenrechtsgerichtshof anrufen.
Unterdessen sprach sich eine Mehrheit der Deutschen für eine Verteilung der Schutzsuchenden aus der Türkei auf die Länder der EU aus. Laut einer ARD-Umfrage befürworten 57 Prozent der Bundesbürger, dass die Flüchtlinge die Grenze zu Griechenland überqueren dürfen und anschließend auf die EU-Staaten aufgeteilt werden. 41 Prozent stimmen dieser Aussage eher nicht zu.
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