Türkei-Wahl und EU: Kein Beitritt in Sicht
Die Türkei entscheidet bei der Stichwahl nicht nur über den Präsidenten. Es geht auch darum: Distanzierung von der EU oder erneute Beitrittsverhandlungen.
D ie türkischen Wähler*innen werden sich in der Stichwahl am 28. Mai nicht nur für ihren künftigen Präsidenten entscheiden, sondern auch entweder für eine verschärfte Distanzierung von der EU oder für eine mögliche Wiederaufnahme der seit Jahren ruhenden Beitrittsverhandlungen. Doch egal wie das Ergebnis ausfällt, eine Sache wird gleich bleiben, denn Ankara und Brüssel brauchen einander: das EU-Türkei-Abkommen.
Sowohl Recep Tayyip Erdoğan als auch sein politischer Gegner, Kemal Kılıçdaroğlu, wollen den Trumpf der Fluchtrouten in der Hand behalten und dafür die vereinbarten 6 Milliarden Euro kassieren. So oder so werden Flüchtlinge für den Erpressungsmechanismus der beiden herhalten müssen, nicht zuletzt, weil die Fluchtzahlen steigen und die 27 EU-Mitglieder für eine härtere Abriegelung der Außengrenzen eintreten.
Eine gewisse Verbitterung gegenüber dem Westen schwebt ohnehin im gesamten türkischen politischen Spektrum mit – auch wegen des – aus türkischer Sicht – ungerechten Umgangs mit Ankara innerhalb der Nato. Sollte Kılıçdaroğlu gewinnen, würde es allerdings sicher zu einer Normalisierung der diplomatischen Beziehungen und zu einer Vertiefung der strategischen Partnerschaft kommen.
Denn Brüssel braucht die Türkei, gerade auch mit Blick auf die Energiesicherheit und auf eine Stabilisierung der Lage im Nahen Osten. Kılıçdaroğlu hat sich zusammen mit seiner Koalition proeuropäisch positioniert, doch bei zahlreichen Themen sind sich die Partner uneins. Die Freilassung von Oppositionellen wurde versprochen, jedoch bleibt die To-do-Liste nicht allein in Bezug auf Menschenrechte – eine der Hauptforderungen der EU – extrem lang.
Doch auch ohne Erdoğan wäre ein Beitritt unter den 27 EU-Mitgliedsstaaten keinesfalls Konsens. Die bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland sind hoch angespannt. Wer wissen will, wie man eine Neumitgliedschaft blockiert, muss nur einen Blick auf Bulgarien und Nordmazedonien werfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit