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Trumps AmtseinführungDer Zauber der Räuspertaste

Trumps Auftritt bedeutet eine neue Herausforderung für die Medien. Beim zweiten Mal sprach der echtere Trump, da waren viele Medien aber schon weg.

„Nicht nur bei Trump müssen wir uns darauf einstellen, dass althergebrachte Konventionen und Terminpläne für den Arsch sind“ Foto: Julia Demaree Nikhinson/dpa/ap

A lle Menschen, die schon mal in einem Tonstudio waren, kennen sie. Die Räuspertaste, dieses kleine unschuldige Ding, das mal kurz den Ton ausschaltet, damit der Hustenanfall nicht gesendet wird. Oder man sich mal eben eine Regieanweisung oder spitze Bemerkung zurufen kann.

Womit wir bei Phoenix wären. Als am Montag Donald Trump bei seiner Rede vor An­hän­ge­r*in­nen im Capitol vom Leder zog, fragte der Simultandolmetscher die Regie: „Sag mal, wie lange wollt ihr bei dem Scheiß bleiben?“ Und natürlich sollte dabei die Räuspertaste gedrückt sein. War sie aber nicht. Das brachte den Ereigniskanal von ARD und ZDF ins Schwitzen. „Aufgrund einer technischen Panne war heute die Kommunikation zwischen Dolmetscher und Regie hörbar. Sie spiegelt selbstverständlich nicht die Meinung des Senders wider“, zerknirschte sich Phoenix.

Was aber wäre daran schlimm, solange es eine klare Meinung wäre, die auch als solche rüberkommt und als Kommentar gekennzeichnet ist? Nichts. Trumps Auftritt am Montag bedeutet aus einem anderen Grund eine neue Herausforderung für die Medien. Seine große Rede zur Amtseinführung fand de facto zweimal statt. Einmal offiziell im Angesicht diverser Vorläufer im Amt und mit Musikbegleitung in der Rotunde des Kapitols.

Und dann wenig später vor den nicht mehr in den Saal passenden Freun­di*n­nen und Un­ter­stü­tze­r*in­nen in einem anderen Raum. Beim zweiten Aufschlag sprach der echtere Trump. Und merkte ganz kokett an, er habe in der ersten Rede ein paar Dinge weggelassen, weil die ja „nice“ und versöhnlich klingen sollte. Das ZDF, das am Montag im Hauptprogramm für die Amtseinführung zuständig war, hatte da aber schon seine Liveberichterstattung beendet. Nicht nur bei Trump müssen wir uns darauf einstellen, dass althergebrachte Konventionen und Terminpläne für den Arsch sind.

Doppeltes Trumpchen

Wie wichtig die zweite „Address“ des doppelten Trumpchens war, zeigte der Nachrichtenkanal der BBC. Protokollgemäß sollte da der Abflug des scheidenden Präsidenten per Helikopter laufen, traditionell gibt es dabei noch ein Statement. Doch Joe Bidens letzte Worte waren zwar per Splitscreen zu sehen, fanden aber ohne Ton statt. Während Trump unter dem Jubel seiner An­hän­ge­r*in­nen die Axt an die Grundlagen der US-Demokratie legte und klarmachte, dass seine Grönlandfantasien kein Witz sind.

Flexibilität ist gefragt. Wozu natürlich gehört, nicht jeden Schrott zu bringen und auf Medienphänomene wie False Balance hereinzufallen. Ausgewogenheit um jeden Preis war noch nie richtig und wird jetzt richtig gefährlich. In solchen Fällen empfiehlt es sich, die Räuspertaste gedrückt zu halten. Wenn’s sein muss, auch länger. „Oder mit einer aktiven Pieptaste beziehungsweise weniger fortschrittlich doch zeitversetzt zu senden, um Scheiß zu filtern!“, sagt die Mitbewohnerin.

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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1 Kommentar

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  • "Ausgewogenheit um jeden Preis war noch nie richtig und wird jetzt richtig gefährlich." Wirklich? Nun ja, das schon seit Jahren typische und täglich praktizierte Selbstverständnis des linken Journalismus. Und was hat es gebracht? Das Erstarken konservativer Parteien und Positionen. Glückwunsch. Der linke Journalismus hat selbstverschuldet dramatisch an Glaubwürdigkeit verloren. Gerade jetzt wäre auf linker Seite ein idologiebefreiter, differenzierter, ausgewogener, Hintergrundinfos-und-Fakten-nicht-unterschlagender Journalismus angebracht, heute mehr denn je! Will man heutzutage differenziert, ausgewogen und gut informiert werden, ist man gezwungen konservative Medien zu lesen. Das ist nicht gut für Demokratie und Gesellschaft, wenn sich die eine Seite vom Journalismus verabschiedet und sich dem reinen Aktivismus hinwendet, zumal dieser fanatisierte Aktivismus das Gegenteil von dem erreicht, was er erreichen will (insbesondere an den Wahlurnen). Aber vermutlich prallt das Offensichtliche einfach ab am bockigen Ideologiepanzer der meisten Medienschaffenden auf linker Seite.