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Trinkgeld bei KartenzahlungEin guter Tip? Kühlen Kopf bewahren!

Wie lassen sich Trinkgeld und Kreditkartenzahlung am besten vereinbaren? Die Gastro hätte da ein paar Vorschläge. Doch die gefallen nicht allen.

Studien zeigen, dass wir bei Kartenzahlungen im Durchschnitt weniger Trinkgeld geben als bei Barzahlungen Foto: Panthermedia/imago

P reisfrage: 8, 10 oder 15 Prozent? Nein, es handelt sich nicht um ein Tippspiel für das SPD-Zweitstimmenergebnis bei der Bundestagswahl 2029. Eine Variation der Frage lautet: 10, 15 oder 20 Prozent? Und spätestens da fängt für viele der Ärger an.

Die kryptischen Zahlen sind Trinkgeldvorschläge, man bekommt sie seit einigen Jahren in Restaurants und Cafés auf dem EC-Karten-Terminal angezeigt. Tendenz steigend. Und das gilt auch für die Berichterstattung darüber, die meist einen negativen Unterton hat. „Aufdringlich oder praktisch?“, fragt der BR. „Der neue Trinkgeld-Druck“, titelt das Boulevardblatt B.Z.. „Psychotricks an der Kasse: Wie mich ein Kartenlesegerät zum Trinkgeld zwang“, holt das Gastro-Magazin Falstaff aus.

Die Vorwürfe: Die vorgegebenen Optionen setzen uns unter Druck. Wir zahlen, wo wir es vielleicht gar nicht wollten, oder zahlen mehr als geplant, weil wir bei drei Zahlen gern die zweitgrößte wählen. Tatsächlich kennen Psy­cho­lo­g:in­nen unsere „Tendenz zur Mitte“, die auch Supermärkte bei der Preisgestaltung gern ausnutzen. Das übergeordnete Phänomen nennt sich „nudging“, also „anstupsen“; Menschen werden mit Hilfestellungen und Anreizen, aber ohne Druck, zu Handlungen gebracht.

Durchaus valide Argumente. Aber! Ich verstehe ja, dass man mit den Vorschlägen vor der Nase einen gewissen Druck spürt. Gleichzeitig erwarte ich von erwachsenen Menschen eben auch, diesem Druck standzuhalten, und, wenn sie nichts oder weniger geben wollen, auf die Optionen „kein Trinkgeld“ oder „eigene Eingabe“ zu drücken. (Dass diese im Screen-Design nicht unbedingt gleichberechtigt groß dargestellt werden, finde ich allerdings einen guten Kritikpunkt.)

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Und erinnern wir uns mal an die Zeit davor. Da musste man das Trinkgeld bei der Kartenzahlung ansagen, was leicht mal unterging („Ah, jetzt ist es schon zu spät? … na gut“). Oder es war technisch gar nicht erst möglich. Wer dann kein passendes Bargeld dabei hatte, gab nur ein entschuldigendes Lächeln, selbst wenn Essen und Service stimmten. Schade – fürs Personal. Denn dem Wirtschaftswissenschaftler Sascha Hoffmann zufolge zeigen Studien tatsächlich, dass wir bei Kartenzahlungen insgesamt weniger Trinkgeld geben als bar. Und der Kartenzahlungsanteil steigt.

Im Übrigen kann der Vorschlagmodus den Stress beim Trinkgeldvorgang sogar senken. Wer nicht gut oder gern kopfrechnet, kann jetzt viel einfacher 10 Prozent geben. Das hilft auch in Fällen, wo man im 10-Prozent-Korridor bleiben will, es sich aber auf keine sinnvolle Summe aufrunden lässt. Mit Karte kann der Endbetrag schließlich auch krumm sein. Ein guter Tip, oder?

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Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
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18 Kommentare

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  • Mit fällt gerade ein: Trinkgeld via Kartenzahlung hat einen ungeheuren Vorteil (für Vater Staat): Er kassiert davon die vollen Steuern und Sozialabgaben !!!

    Für ein Geschenk.



    Für mein Geschenk.



    Für mein Geschenk an den Service.

    Aber Wirecard und Com-Ex bekommen von mir solche Geschenke nicht!



    Basta !!!

  • Mal vorneweg: Ich gebe schon immer Trinkgeld, frage mich aber auch, was das denn bitte soll. Dafür, dass jemand seinen Job macht? Bestellung annehmen, an die Küche senden und Essen und Getränke bereitstellen. Das ist die Job Description und warum wird eine zusätzliche Vergütung nach Gutsherrenart erwartet für einen banalen und kurzen Vorgang? Und dann noch die Klofrau in der Kölner Brauerei, die allen Ernstes Trinkgeld haben wollte…Ich glaube, die spinnen, die Römer

    • @K2BBQ:

      Warum macht ein Kölner Autohändler Preise für Selbstabholer aus Rumänien und nennt die exorbitanten Überführungskosten erst nach Vertragsabschluß? Die Preise, die draußen aushängen, sollen niedrig aussehen. Wer einmal drin ist und sich gesetzt hat, geht in der Regel nicht wieder. Ich mag das auch nicht, aber sich als einziger gegen den Strom zu stemmen, kann sich kein Gastwirt leisten.

  • Warum kalkulieren die Unternehmer die Preise nicht so, daß die Arbeitnehmer angemessen bezahlt werden und Service und Essensqualität trotzdem passen? Sind die jetzigen Preise in der Gastro schon Nudging?



    Schreibt ein Ex-Taxifahrer, der sich ausrechnet, was so ein Speisen- und Getränketräger in der Gastro - bei 10% Trinkgeld - zusätzlich zu Ihrem Lohn mit heim nehmen. Frei von Steuer- und Sozialabgaben. Zur Rente gibt's kein Trinkgeld mehr.

    • @0 Substanz:

      Weil die Unternehmer UND die Angestellten auf die höheren Preise und auf die höheren Löhne Steuern und Sozialabgaben zahlen müssten, während das Trinkgeld m.W. ohne Abzüge an die Mitarbeitenden geht. Diese Form der Bezahlung ist also subventioniert (letztlich vermutlich, weil das Trinkgeld sowieso sehr schlecht steuerlich erfassbar wäre, sondern im Zweifel ‚schwarz‘ eingesteckt würde).

      • @o_aus_h:

        Danke, jetzt hab ich es verstanden.

  • Der Autor hier spricht ja auch das hostile design der Trinkgelddialoge auf den Kartengeräten an. Schon aus diesem Grund sollte man darüber deshalb grundsätzlich kein Trinkgeld geben.



    Man kann auch überlegen, ob Trinkgeld in diesem Rahmen überhaupt zu Europa passt.



    John Oliver hat ein Segment der Sendung Last Week Tonight u.a. auch der Geschichte des Trinkgelds und der Funktion in den USA gewidmet. Fand ich sehenswert.

  • Wieso stehen dann nicht die Beträge, statt der Prozente da? Sollte technisch ja kein Problem sein.

  • Ist doch klar, beim Bargeld wurde großzügig aufgerundet, beim Plastikgeld muss ich erst wieder rechnen, was Ichlaut gerade durch‘s Aufrunden sparen wollte. Also, wer mein Trinkgeld möchte, muss Bares akzeptieren. Dadurch sollte mein Realgeld im Geldbeutel immer reichen.

  • Es stellt sich die Frage ob das Trinkgeld per Kartenzahlung überhaupt beim Personal ankommt.

    • @Joachim Idelberger:

      Und deshalb gebe ich Trinkgeld nur in bar. Ich weiss zwar auch nicht wie und ob es verteilt wird, aber zumindest hat das Personal dann kurzfristig den physischen Zugriff auf das Geld. Bei Kartenzahlung landet der Betrag auf irgendeinem Geschäftkonto und wird Teil der Unternehmensbuchhaltung.

      Ausserdem ist Bargeld belegfrei.

    • @Joachim Idelberger:

      Vermutlich mindestens so gut oder schlecht, wie Bargeld beim Personal ankommt (wenn der*die Chef*in das Kassieren übernimmt) – oder auch die Küche profitiert, wenn nur der Service weiß, wie viel Trinkgeld gegeben wurde.

  • So hat es in den USA auch angefangen.

    Trinkgeld sollte optional bleiben ohne irgendwelches "nudging." Wer Trinkgeld geben will über Kartenzahlung kann das einfach bei der Rechnungsstellung anmerken.

    • @Okti:

      Dort ist bekannt, daß die Bedienungen als Quasi-Subunternehmer praktisch nur vom Trinkgeld leben. Frankreich geht noch einen Schritt weiter. Ausgehängt werden nur die Preise der Speisen, die Miete für den Sitzplatz, das Besteck und das Geschirr werden extra berechnet.

  • Will mal so sagen: Die Gastronomen haben in den letzten Jahren mehr als draufgehauen! Mehr als reichlich. Die Coronakrise hat da sicher ihren Tribut gezollt aber wenn man mal eine alte (Speisen-)Karte irgendwo sieht ... mein lieber Scholli !

    Und da sitzt das (Trink)geld dann mal nicht so locker flockig.

    Erst recht nicht, wenn das ja nun eigens darauf abgerichtete Kartenterminal mir da was unterjubeln will.

    No go !

    • @Bolzkopf:

      Das kann ich verstehen und will mich gar nicht freisprechen davon. Für die jungen Leute, die sich neben dem Studium ohne Schlaf und Lernen die Nächte um die Ohren hauen, gilt es aber mindestens genauso. Und nicht nur die, die obdachlosen Schnorrer auf der Straße auch. Auch wenn ich jeden einzelnen Euro heute mehr spüre als wenige Jahre früher, versuche ich den Impuls so gut es geht zu unterdrücken. Den Gaststättenbesuch überlege ich mir zweimal, aber einmal dort spare ich nicht ausgerechnet am Trinkgeld und verzichte eher auf die Vorspeise oder den Nachtisch.

  • Trinkgeld gebe ich, wie es auch im Mutterland der Kartenzahlungen seit jeher üblich ist, grundsätzlich bar. Die Kartenzahlung ist praktisch und die personalisierte Meldung an den großen Bruder mag mit Name und Kontonummer nötig sein, um den Chef zum Steuerzahlen zu verleiten. Das Trinkgeld aber geht niemanden etwas an, als mich und den Empfänger. Eine faire Verteilung auch an den, der aufmerksam die leeren Wasserflaschen wechselt und Wein nachschenkt ohne je zum Kassieren zu kommen, setze ich dabei voraus. Wo nicht, garantiert sie auch kein Verfahren, das alle Trinkgelder zuerst in die Kasse des Chefs hineinspült und einigen Gerüchten zufolge in manchen Betrieben auch dort verbleiben läßt.

  • Ein herzliches Willkommen den dark patterns im real life.