Trigger Warnings an US-Hochschulen: Die Gewalt der Sprache
StudentInnen fordern Warnungen vor diskriminierendem Lehrstoff. Wörter, Texte und Kurse werden deshalb an Unis gestrichen.
Die Nordamerikanistik-Studierenden der HU Berlin sind bei ihrer Lektüre irritiert: Aufdringlich oft benutzt der Autor das Wort, bei dem sich alle sicher waren, es gehöre zum Gestern, aber garantiert nicht zum Heute. 19-mal kommt das N-Wort in der Eröffnungsszene von Eugene O’Neills Werk „The Emperor Jones“ vor, das die imperialistischen Unternehmungen der USA auf der Karibikinsel Haiti kritisiert. Das Drama des Literaturnobelpreisträgers stammt aus dem Jahr 1920, es ist ein Beispiel für den Einzug des Realismus in die Dramagattung. Deshalb reproduziert es auch eine Sprache, die heute als rassistisch gilt. Doch eignet es sich heute für ein Seminar, in dem auch People of Color sitzen?
„Für eine chinesische Studentin war das nicht auszuhalten“, erinnert sich Eva Boesenberg. Die Professorin für Nordamerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft hat das Drama in einem vergangenen Semester in einem Seminar behandelt. „Die Studentin sagte mir, sie könne das nicht lesen.“ Und eine Gruppe, selbst People of Color, habe sie gebeten, den Text nicht mehr zu verwenden. Boesenberg räumt ein: Sie hatte die Wirkung von „The Emperor Jones“ unterschätzt.
Das Beispiel zeigt, wie sich die Maßstäbe für Diskriminierung und Trauma verändert haben. Aus diesem Grund sprechen DozentInnen in den USA seit einiger Zeit sogenannte Trigger Warnings aus. Hinweise, die Lehrende geben, bevor sie Studierende mit bestimmten Lehrinhalten konfrontieren – zum Beispiel Gewaltdarstellungen in Filmen, aber auch rassistischer Sprache in Unterrichtstexten. Dadurch wird den Studierenden die Entscheidung selbst überlassen, ob sie sich damit auseinandersetzen möchten – oder nicht. In den USA tobt seit einiger Zeit eine Debatte darüber, ob solche Warnungen überhaupt sinnvoll sind. Manche Anliegen wirken für die Mehrheit übertrieben. Doch so einfach ist es nicht.
Viele teilen die Ansicht, dass Trigger Warnings ein geeignetes Instrument dafür sind, die Universität zu einem weniger diskriminierenden und traumatisierenden Raum zu machen, zu einem Ort, der stärker auf gesellschaftliche Minderheiten Rücksicht nimmt. Andere hingegen bangen um die Freiheit der Lehre, fühlen sich zensiert, bemängeln die Schaffung neuer – freiwilliger – Ausschlussmechanismen. Denn wer für sich befindet, eine bestimmte Diskussion nicht mitzuerleben, entzieht sich auch der Konfrontation, der Auseinandersetzung, der möglichen Debatte.
Viele arbeiten mit den Warnungen
Eine aktuelle US-Studie befragte Lehrende aus den Literatur-, Geschichts-, Kunst- und Sprachwissenschaften, ob Studierende schon von ihnen gefordert hätten, Trigger Warnings zu benutzen. 15 Prozent sagten Ja. In einer Umfrage des Radiosenders National Public Radio sagten sogar die Hälfte aller Lehrenden, sie hätten schon mit den Warnungen gearbeitet. Und in Deutschland?
„Eine Debatte darüber gibt es derzeit in den Gender Studies, der Amerikanistik und der Europäischen Ethnologie“, sagt Eva Boesenberg. Fächer also, die thematisch nah dran sind an den USA oder sich ohnehin mit Diskriminierungskritik auseinandersetzen. Erst seit Studierende of Color in Deutschland anprangern, dass die Universität ein sehr exklusiver, weißer Raum ist, werde überhaupt darüber geredet, wie die Uni zu einem sichereren Ort für alle werden kann. Trigger Warnings helfen, ist sich die Professorin sicher, Wörter zu vermeiden, die bestimmte Menschen ausschließen. „Es geht nicht darum, Themen zu verbieten, sondern darum, wie wir über sie reden.“
Markus Kienscherf, FU Berlin
Einer, der das anders sieht, ist Markus Kienscherf. Der Soziologe lehrt am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. „Ich halte das Experimentieren mit Trigger Warnings für eine Nebelkerze“, sagt er. „Sie täuschen uns über die realen materiellen Umstände hinweg, und es geht die Möglichkeit abhanden, über Dinge zu sprechen.“
Angst vor der Positionierung
Ein Student der Gender Studies an der Humboldt-Universität pflichtet ihm bei. „Wenn es um Diskriminierungserfahrungen geht, müssen bestimmte Sachverhalte thematisiert werden, um voranzukommen. Trigger Warnings legen den Fokus auf Individuen. So wird ein individualisierter Diskurs über Sexismus und Rassismus geführt, wenn ein gesellschaftlicher nötig wäre“, sagt der 23-Jährige, der nicht möchte, dass sein Name in der Zeitung steht. Seine Vorsicht zeigt, wie schwer es Studierenden fällt, sich zu der sensiblen Frage zu positionieren. Es gibt die, die sich schnell angegriffen fühlen von bestimmtem Gedankengut. Andere kritisieren das. Und werden dafür wiederum kritisiert.
Ein Thema, das in diesem Zusammenhang oft genannt wird, ist sexuelle Gewalt. Laut einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus dem Jahr 2014 haben 35 Prozent der deutschen Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch eine andere Person erfahren. Wenn im Unterricht über dieses Thema gesprochen wird, könnte das auf Betroffene traumatisierend wirken. Im Magazin New Yorker schrieb die Harvard-Professorin Jeannie Suk Ende 2014, wie Studierende aus diesem Grund ihre KollegInnen darum gebeten hätten, das Sexualstrafrecht nicht mehr zu lehren und überhaupt davon abzusehen, das englische Wort für vergewaltigen („violate“) zu benutzen.
Ohnehin scheint es, als würde die Debatte in den USA rigoroser geführt. Woran das liegt, erklärt Martin Lüthe von der Freien Universität Berlin: „Das Zweiparteiensystem legt in den USA die Basis für eine größere Polarisierung der Gesellschaft. Das wird durch die Medien aufgegriffen und verstärkt. Zudem kommt dazu, dass die studentische Linke in Deutschland nach dem Terror der 70er Jahre Debatten mit weniger Schärfe geführt hat, würde ich sagen.“ In den USA habe es lange Zeit ein anderes politisches Bewusstsein in der Studierendenschaft gegeben.
Nur in kleinen Seminaren?
Abseits der Debattenkultur sieht sein Kollege Markus Kienscherf das Problem der Trigger Warnings woanders: „Traumatische Erfahrungen sind etwas sehr Persönliches und Subjektives. Ein Arbeiten mit Trigger Warnings kann grundsätzlich funktionieren, allerdings nur in kleinen Seminaren. Die gibt es aber in den heutigen, durchökonomisierten Universitäten immer weniger.“ Leistungsdruck, Seminare mit Vorlesungscharakter, kaum Diskussion – das seien die Merkmale heutiger Universitäten, besonders nach der Bologna-Reform.
Lann Hornscheidt vom Lehrbereich Sprachanalyse und Gender Studies an der HU Berlin hält nicht die Seminargröße für entscheidend, ob Trigger Warnings funktionieren, sondern den Inhalt der Lehre: „Mittlerweile glaube ich, dass es naiv ist, eine Warnung herauszugeben und zu glauben, alles ist gut. Wenn ich diskriminierende Inhalte benutze, auch in kritischer Distanz, reproduziere ich Diskriminierung.“ Erst wenn die Unis diese ständige Reproduktion von Diskriminierung in der Lehre änderten, etwa wenn sie stärker auf Diversität setzen, sei sensiblen oder traumatisierten Studierenden tatsächlich geholfen.
Das sieht auch Nordamerikanistik-Professorin Eva Boesenberg so. Den „Emperor Jones“ hat sie in ihren Kursplänen mittlerweile durch andere Texte ersetzt. „Ich dachte, da es sich um einen historischen Text handelt, hätte das N-Wort keine so heftige Wirkung wie in einem aktuellen Stück.“ Die Seminarerfahrungen haben Boesenberg gezeigt: Der Text wirkt nach wie vor traumatisierend. Und das will sie ihren Studierenden nicht zumuten – auch nicht mit vorheriger Warnung.
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