Treffen zwischen Merkel und Erdoğan: Lobende Worte für den Präsidenten
In Istanbul verspricht die Kanzlerin Unterstützung beim Bau von Notunterkünften. Die Zukunft inhaftierter Deutscher bleibt unklar.
Am Morgen hatten Merkel und Erdoğan zunächst den nach jahrelanger Verspätung fertiggestellten Campus der deutsch-türkischen Universität in einem Vorort Istanbuls eingeweiht. Kurz danach traf die Kanzlerin Erdogan dann erneut zu einem Vieraugengespräch und am Abend zu einem Essen in größerer Runde. Merkel hatte eine lange Liste mit Themen abzuarbeiten, das wichtigste war die Flüchtlingsfrage. Bereits am Morgen bei der ersten Begegnung setzte sie dabei den Ton: „Die Leistung der Türkei angesichts der Aufnahme von mehr als 3 Millionen syrischer Flüchtlinge kann gar nicht hoch genug geschätzt werden“, sagte sie neben einem zufrieden dreinblickenden Erdoğan. „Sie verdient Anerkennung und sollte unterstützt werden“.
Das war genau das, was Erdoğan von seiner „geschätzten Freundin“, wie er Merkel nannte, hören wollte. Denn Erdoğan braucht Unterstützung bei der Bewältigung der syrischen Flüchtlingskrise. Nach offiziellen türkischen Angaben leben derzeit 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge im Land, angesichts der Wirtschaftskrise von immer mehr Türken als Belastung empfunden.
In Idlib, dem letzten Rebellenbezirk im Norden Syriens, rückt die syrische Armee mit russischer Unterstützung allen Waffenstillstandsabkommen zum Trotz immer weiter vor. Mit Bomben und Artillerie wird die Zivilbevölkerung aus dem südlichen Teil der Provinz nach Norden, Richtung türkische Grenze vertrieben.
Erst in den letzten zwei Tagen sind 36.000 Menschen vor den Angriffen geflohen. Wie Erdoğan erklärte, befinden sich bereits jetzt 400.000 Flüchtlinge auf der syrischen Seite der Grenze, die dort von türkischen Hilfsorganisationen notdürftig versorgt werden. Für die sollen nun feste Unterkünfte errichtet werden, an deren Finanzierung sich die Bundeskanzlerin beteiligen will.
Erdoğan drohte in der Vergangenheit mehrfach damit, Flüchtlinge nach Europa weiterzuschicken, wenn nicht mehr Unterstützung kommen würde. Die EU lehnt allerdings bislang eine Erhöhung der bereits zugesagten 6 Milliarden Euro ab, Merkel sagte nun zu, sich dafür einzusetzen, dass auch längerfristig über die 6 Milliarden hinaus Geld aus der EU für die Flüchtlingsintegration in der Türkei gezahlt werden soll. Außer den syrischen Flüchtlingen und dem anderen Krisenherd Libyen ging es vor allem um die Stärkung der ins Kriseln geratenen deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen.
Seit dem Fastabbruch der diplomatischen Beziehungen 2017 halten sich deutsche Konzerne in der Türkei mit Investitionen zurück. VW hat erst kürzlich den Bau einer neuen Fabrik in der Nähe von Izmir auf Eis gelegt, weil nach dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien die politische Lage als zu angespannt galt. Hier soll Merkel nun für neues Vertrauen sorgen, hofft zumindest Erdoğan. Dafür mahnte Merkel ein paar Zugeständnisse im Dauerkonflikt um inhaftierte deutscher Staatsbürger – nach offiziellen Angaben derzeit 59, zu denen sowohl politische wie normale Kriminalfälle gehören – an.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin