Tote in Libyen: Drohnenangriffe gegen Ausreisewelle
Libyens Regierung lässt Küstenstädte bombardieren, um Migration übers Mittelmeer zu bremsen. Doch die Abfahrt von Booten verlagert sich.
Wer die Drohnen gesteuert hat, ist bislang unbekannt. Die Regierung in Tripolis wird von türkischen Militärberatern unterstützt. Mit dem Einsatz von türkischen Drohnen war zuvor die „Libysch-Arabische Armee“ unter Chalifa Haftar wieder nach Ostlibyen vertrieben worden. Die Türkei hat weiterhin Soldaten und Militärgerät in Tripolis stationiert.
Mit dem militärischen Vorgehen gegen die westlibyschen Schmugglernetzwerke will die Regierung von Premierminister Abdulhamid Dabaiba offenbar die für die nächsten Wochen erwartete Ausreisewelle nach Italien stoppen. Zu den vielen Arbeitssuchenden aus Westafrika, die in Westlibyen auf einen Platz in einem Boot warten, sind in den letzten Wochen mehrere Tausend Flüchtlinge aus dem Sudan hinzugekommen. Mit der für Juni erwarteten stabilen Wetterlage ist das Mittelmeer auch für kleine Boote passierbar.
Die Grenze zwischen staatlichen und privaten Strukturen ist in Libyen verschwommen. So ist der von der EU wegen Menschenhandel sanktionierte Milizenchef Abdelrahman al-Milad in Zawiya Chef der Küstenwache. Einige Geschosse haben auch Gebäude des Parlamentsabgeordneten Ali Buzriba getroffen, der ebenfalls eine unbekannte Zahl von Milizionären in Zawiya befehligt.
Der Angriff auf den regierungskritischen Milizenführer Shaabab Hadia zeigt zudem, dass Dabaibas militärisches Vorgehen auch seinen politischen Gegnern in Zawiya gilt. Diese haben die Angriffe mit der Besetzung der größten Ölraffinerie Westlibyens und der Blockade der Hauptstraße von Tripolis in Richtung des libysch-tunesischen Grenzübergangs Ras Ajdir beantwortet.
Opferzahlen steigen
Die Konkurrenz zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen in Zawiya war in den letzten Monaten immer wieder in Gewalt umgeschlagen. In Tripolis ankommende Migranten versuchen deshalb, in die tunesische Hafenstadt Sfax zu gelangen, die Zawiya als Hauptabfahrtsort für die Fahrt nach Italien abgelöst hat. In Sfax organisieren sich viele Gruppen aus Subsahara-Afrika mittlerweile autonom, um sich zu schützen.
Doch das Vermeiden der westlibyschen Städte hat einen Anstieg der Opferzahlen zur Folge. Die Fischer von Sfax bieten den Migranten und Flüchtlingen nur notdürftig zusammengeschweißte Metallboote mit flachem Boden an. Selbst bei leichtem Wellengang sinken viele der Boote nach Wassereinbruch innerhalb weniger Minuten. Zwar kommen auch in Libyen nicht seetaugliche Schlauchboote zum Einsatz, doch diese halten sich im Notfall zumindest noch einige Stunden über Wasser.
Migranten in Sfax berichteten der taz von täglich mehreren Booten, die zwar ablegen aber dann mitsamt den durchschnittlich 30 Menschen an Bord als vermisst gelten. „40 Prozent der ablegenden Boote sinken, ohne dass jemand etwas mitbekommt, denn die Unglücke passieren meistens außerhalb der Reichweite von Mobiltelefonnetzwerken“, schätzt der Sudanese Ali, der seit April auf eine Überfahrt wartet. „Ich habe bereits mehrmals aus Sorge um Freunde den geschätzten Standort von vermissten Booten mitgeteilt. Ich habe nie wieder von meinen Freunden gehört.“
Die Verlagerung der Migration von Libyen in das eigentlich sichere Tunesien hat das Mittelmeer aus Alis Sicht noch tödlicher gemacht. Auch nach UN-Angaben liegt die Zahl der bekannten Opfer mit mehr als 400 im ersten Quartal des Jahres höher als in den letzten sechs Jahren.
In den kommenden Wochen dürfte nun die Zahl der aus Sfax sowie aus den ostlibyschen Städten Bengasi und Tobruk abfahrenden Boote extrem ansteigen. Denn nach den Drohnenangriffen in Zawiya wird seit Sonntag auch in Tripolis gekämpft. Die regierungstreue Einheit 444 hatte einen Kommandeur der Rada-Miliz verhaftet, die wiederum mit Schmugglern aus Zawiya verbündet ist. Das Milizenchaos Westlibyens wird sogar für die Menschenhändler zu riskant.
Kritiker Haftars vermuten, dass die vielen aus Bengasi und Tobruk ablegenden Boote mit Migranten und Flüchtlingen aus Bangladesch, Syrien, Ägypten und Sudan nur mit dessen Einverständnis ablegen können. „Haftar nutzt die Migration, um Druck auf Europa aufzubauen“, sagt der Libyen-Experte Jalel Harchaoui. Offenbar mit Erfolg: Bei offiziellen Gesprächen mit Italiens Regierungschefin Anfang Mai wurde nicht über die Kriegsverbrechen von Haftars Soldaten gesprochen.
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