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Tory-Parteitag in BirminghamNeue britische Übersichtlichkeit

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Großbritanniens Labour-Partei wirbt mit „Fairness“, die Tories wollen niedrige Steuern. Die Kontroversen zeigen, wie sich die Industrienation neu sortiert.

Premierministerin Liz Truss mit Ehemann am Mittwoch auf dem Parteitag in Birmingham Foto: Hannah McKay/reuters

G roßbritannien kehrt zur klassischen Rechts-links-Konfrontation zurück. Liz Truss hat mit einer sehr polarisierenden Rede zum Abschluss des Jahresparteitags ihrer regierenden Konservativen in Birmingham den kommenden britischen Wahlkampf markiert: Auf der einen Seite die Konservativen, die für „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ stehen, Steuern senken, Unternehmen fördern und den Menschen größtmögliche „Freiheit“ bieten wollen, auf der anderen Seite die „Antiwachstumskoalition“ aus allen anderen politischen Kräften und Interessengruppen, die immer nur alles blockieren und regulieren wollen.

Eine Woche zuvor zeichnete Labour-Oppositionschef Keir Starmer bei dem Parteitag seiner Partei ebenso deutliche politische Trennlinien: ein „faireres, grüneres Großbritannien“ unter seiner Führung gegen die Tories, „die nicht glauben, dass die Regierung arbeitenden Menschen helfen kann“.

Noch vor einem Jahr waren die Reden Keir Starmers und des damaligen konservativen Premierministers Boris Johnson kaum voneinander unterscheidbar gewesen. Aber die von dem rechten Tory-Flügel gestartete Revolte gegen Boris Johnson hat es seitdem geschafft, mit Liz Truss eine der ihren an die Macht zu hieven. Die Sozialdemokratisierung der Tories, mit der Boris Johnson 2019 viele Labour-Wähler für sich gewonnen hatte, ist damit vorerst beendet.

Was das für Großbritanniens nächste Wahlen bedeutet – sie könnten, wie auf dem Parteitag durchklang, im Frühsommer 2024 stattfinden –, ist völlig offen; aus den jetzigen desaströsen Umfragewerten der Tories und Labours Riesenvorsprung sollte niemand dauerhafte Schlüsse für die Zukunft ziehen.

Deutlich erkennbar aber ist, was das für den nächsten Wahlkampf bedeutet: Er wird ein politisch polarisierter inhaltlicher Wettstreit zwischen zwei klassischen großen Volksparteien um die Frage, welche Rolle der Staat einzunehmen und wie er sie auszufüllen hat. Das ist in den großen Industrienationen heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr. In den USA leben viele Republikaner und Demokraten in voneinander abgeschotteten Parallelwelten, unversöhnlich im Kulturkrieg verfeindet.

In Frankreich hat Macrons elitärer Zentrismus die populistischen Fliehkräfte rechts und links gestärkt. In Deutschland ist keine Kraft allein auch nur ansatzweise mehrheitsfähig, die programmatischen Unterschiede zwischen den großen Parteien verwischen zunehmend. Vielleicht werden jetzt in London die spannenden Kontroversen darüber ausgetragen, wie sich eine große Industrienation in einer ungemütlichen Welt neu sortiert.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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5 Kommentare

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  • Dieser Kommentar ist typisch: Man sieht nur die Parteien und nicht die aktuelle ökonomische Lage dahinter. Die Parteiensprüche sind Schall und Rauch, schließlich können Politiker (leider noch) nicht den Weltmarktpreis für Rohstoffe beeinflussen, nur den Fehler begehen, ihren Wähler*innen glauben zu machen, sie könnten es und ihnen damit Sand in die Augen zu streuen. Erst wenn 'Politik' dazu fürhrt, dass die Menschen sich selbst helfen können auf der Basis vorhandener nationaler Ressourcen, möglichst unabhängig von einem nur ausbeutenden 'Weltmarkt', dann werden Arbeit und Existenzen-auf niedrigerer ökonomischer Basis- neu verteilt. Einziges Ziel: Niemand sollte hungern und frieren und sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Dafür sollte es -übrigens überall in Europa- reichen.

  • Vielleicht war der Brexit auch für die Briten nicht die beste Idee . Ich bin immer noch etwas traurig, dass Sie uns allein gelassen haben. Da gibt es " Partnerländer" deren Abschied ich deutlich besser verkraften könnte .



    Die deutlich konservative Ausrichtung der Tories wirkt sich bei der nächsten Wahl hoffentlich positiv für Labour aus. Ein weltoffenes Großbritannien wäre mir deutlich sympathischer.



    Den Rückblick auf Deutschland und die mangelnde Unterscheidbarkeit der großen Parteien sehe ich anders.



    Klar, Merkel hat in der GroKo sozialdemokratische Politik gemacht .



    Merz und die Junge Union will aber konservativer werden.



    Die sehr rechten Sprüche des CDU Vorsitzenden weisen da schon in die zu erwartende Richtung.



    Vergleicht man das derzeitige Krisenmanagement mit dem reinen CDU Krisenmanagement z.B. der Widervereinigung werden die Unterschiede deutlich.



    Momentan steht der Verbraucher, Bürger, im Vordergrund, damals sollte es Wirtschaft und Markt regeln, mit nicht vorhandenem Erfolg .



    Truss eifert Maggie nach, unbeliebt macht sie sich schon jetzt.



    Kohl ist mit der wirtschaftsunterstützenden Wende klar gescheitert .



    Truss in gewisser Weise ja schon nach Tagen, bei dem Chaos, das derzeit herrscht.



    Schon bei vergangenen Krisen hat uns die Nachfrage gerettet, ich denke daher wir sind auf dem richtigen Weg.

  • Seit wann ist, post Thatcher, UK wieder eine "Industrienation"? Der Anteil des produzierenden Gewerbes am BIP wird 2015 mit 8.6% angegebenen. Deutschland liegt bei mindestens 30%. Dies begründet einen wichtigen grundsätzlichen Interessenskonflikt zwischen beiden Ländern.

  • Zu Liz Truss hatte John Olivers "Last Week Tonight" vergangenen Montag ein vielsagendes Segment.

  • Die UK sind ein Lehrstück dafür, dass Populisten zwar eine große Klappe haben und das blaue vom Himmel versprechen, aber die Probleme eines Landes auch nicht besser lösen als all die anderen Parteien. Nur ist eben der Preis für diese Erkenntnis für das Volk ein zu hoher.