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Tod von Menschen mit BehinderungAbleistische Gewalttat

Eine Mitarbeiterin eines Wohnheims in Potsdam soll vier Menschen mit Behinderung getötet haben. Betroffene äußern Kritik an der Berichterstattung.

Po­li­zis­t*in­nen suchen nach Spuren am Oberlin in Potsdam. Kri­ti­ke­r*in­nen meinen, das reicht nicht Foto: Filip Singer/EPA-EFE

Potsdam taz | Nach dem gewaltsamen Tod von vier Menschen mit Behinderung am Mittwoch in einem Potsdamer Wohnheim haben viele Menschen in den sozialen Netzwerken ihre Anteilnahme mit den Angehörigen der Opfer bekundet. Er­mitt­le­r*in­nen klären nun den genauen Tathergang. Das Amtsgericht Potsdam hatte eine Pflege-Mitarbeiterin des Wohnheims, die unter dringendem Tatverdacht steht, in ein psychiatrisches Krankenhaus in Brandenburg/Havel eingewiesen.

Während die Trauer über die entsetzliche Tat vorherrscht, äußern viele Menschen auch starke Kritik an der Berichterstattung über die Tat und fordern die Politik auf zu handeln und Gewalt in der Pflege zu thematisieren. Menschen mit Behinderungen seien täglich strukturellem Ableismus ausgesetzt.

„Handeln statt Blumensträuße!“

Alexander Ahrens, Geschäftsführer der Interessenvertretung „Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL)“ fordert in einer Pressemitteilung den „umfassende Gewaltschutz in den Einrichtungen“, der eigentlich durch das Teilhabegesetz verbessert werden sollte. „Statt Beileidsbekundungen und Blumensträuße braucht es endlich entschlossenes politisches Handeln und Konsequenzen“, so Ahrens. Nicht nur in der Berichterstattung fehle „das Thematisieren von strukturellem und institutionellem Ableismus, Behindertenfeindlichkeit und Gewalt in derartigen Einrichtungen“, heißt es weiter.

Ähnlich äußern sich andere Au­to­r*in­nen und Disability-Studies-Expert*innen. „Fassungslos, welche Fragen in der rbb abendschau Spezial NICHT gestellt wurden. Wie steht es um Gewalt in Heimen generell? Wie sind die Arbeitsbedingungen im Oberlinhaus? Stattdessen: Ein Werbefilm für's Oberlinhaus und danach „Ziemlich beste Freunde“, schreibt die freie Jour­na­lis­t*in und Fachautorin der Disability Studies Rebecca Maskos auf Twitter.

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Statt über die Opfer zu sprechen, wurde in der Abendschau über die Überforderung des Pflegepersonals gesprochen sowie ein Polizeipsychologe interviewt, der davon spricht, dass eine Motivation der Beschuldigten gewesen sein könnte „die Leute zu erlösen von Leiden, die vielleicht sogar unheilbar sind.“ Viele Menschen mit Behinderung und Ak­ti­vis­t*in­nen kritisierten die Aussage des Psychologen. „Das Einnehmen der Täter*innen-Perspektive entwertet das Leben derjenigen Menschen, die von der Gesellschaft behindert werden – in diesen Einrichtungen“, schreibt auch Ahrens.

Auch die Autorin Laura Gehlhaar äußert Kritik an den verwendeten Begriffen in der Berichterstattung: „Medien & Politik, hört auf von den „besonders Schutzlosen“ oder „Schwächsten“ zu sprechen. Das ist #othering und #ableismus in seiner Höchstform! Ihr macht eine Spaltung in IHR und WIR auf. Hört auf damit!“

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Gewalt in der Pflege ist Tabuthema

Die öffentliche Kritik nach der schlimmen Tat in Potsdam greift auch auf, dass Gewalt in der Pflege immer noch als Tabuthema behandelt wird. „Tagtäglich erfahren behinderte und pflegebedürftige Menschen in derartigen Abhängigkeitsverhältnissen Gewalt in ihrer unterschiedlichsten Form“, schreibt die ISL. Diese Gewalt werde weder groß wahrgenommen noch häufig ernst genommen, da „vieles ganz selbstverständlich unter dem Deckmantel der Fürsorglichkeit und Nächstenliebe stattfindet“.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert, Gewalt in der Pflege in Einrichtungen offen anzusprechen. „Wir brauchen auch in dieser Frage keine Tabuisierung, sondern eine Kultur des miteinander Redens und eine Kultur des Hinschauens“, sagte Vorstand Eugen Brysch.

Berichterstattung seit vielen Jahren stereotyp

Dass die Berichterstattung über Menschen mit Behinderung in vielen Fällen paternalistisch ist, kritisieren Ex­per­t*in­nen schon seit Jahren. Oft erschienen Texte ohne Stimmen von Betroffenen. Stattdessen würden Menschen mit Behinderungen fremd charakterisiert. Raul Krauthausen befand in seiner Diplomarbeit mit dem Titel „Zwischen Sorgenkind und Superkrüppel“ schon 2010, dass entweder über Menschen mit Behinderung berichtet werde, als wären sie Su­per­hel­d*in­nen, oder es wird eine „leidvolle Geschichte erzählt, wo gesagt wird, jemand „meistert tapfer sein Schicksal“, macht „trotz der Behinderung“ etwas“, so Krauthausen.

Dass die Berichterstattung auch aktuell noch häufig stereotyp und diskriminierend ist, bemängeln die Disabililty Studies und viele Ak­ti­vis­t*in­nen regelmäßig. Diese befeuere Berührungsängste zwischen Menschen mit und ohne Behinderung, statt sie abzubauen, so die Kritik. Auch nach der schrecklichen Nachricht aus dem Potsdamer Wohnheim hätten viele der Beileidsbekundungen von Po­li­ti­ke­r*in­nen und anderen Wörter wie „die Schutzbedürftigsten“ und „die Schwächsten“ verwendet. Das mache abermals ein „Die und Wir“ auf, kritisiert die Journalistin und Autorin Christiane Link.

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Die geeignetste Möglichkeit, wie Redaktionen einen sensibleren Themenumgang in Bezug auf Menschen mit Behinderung bekommen können und sie als selbstverständliche In­ter­view­part­ne­r*in­nen für vielfältige Themen einbeziehen und Klischees in ihren Artikeln verringern könnten, ist, den Zugang für Menschen mit Behinderung in den Journalismus zu erleichtern. Doch bereits in der Ausbildung gibt es Probleme. Etwa ist an Jour­na­lis­t*in­nen­schu­len das Lernmaterial bislang nicht barrierefrei, Menschen mit Behinderung werden dort bislang kaum ausgebildet.

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19 Kommentare

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  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Eventuell sollten Sie den vorangegangenen Kommentar lesen.

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Den hab ich gelesen, und Adriana Zessins Wut kann ich sehr gut verstehen. Ausserdem sind ist psychische Krankheit oder ein psychischer Ausnahmezustand etwas anderes als körperliche oder kognitive Beeintraechtigung - das kann man nicht mal eben so einfach als "Community" ueber einen Kamm scheren. Und daher "Verstaendnis" von Menschen mit Behinderung fuer die Moerderin als "ihresgleichen" zu fordern, ist entweder zynisch oder ein ganz schlechter Scherz! Übrigens sind auch psychisch Kranke nicht alle ueber einen Kamm zu scheren...

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @97287 (Profil gelöscht):

      An@ Volker Scheunert.

  • Ich habe „leider“ so gar kein Verständnis für einen solchen Mord.



    Nein, es ist k e i n. Todschlag, für den



    sie jetzt hoffentlich dort bleibt, wo sie



    jetzt ist. Das kann man von potenziellen Opfern wohl auch nicht erwarten. Oder sollten die Leute mit ausländischen Wurzeln für die Tat z. B. in Hanau etwa auch Verständnis haben? Das kann doch wohl nicht so gemeint gewesen sein . . .

  • Was genau ist mit "barrierefreiem Lernmaterial" gemeint? Barrierefreier ZUGANG zu Lernmaterial? Oder Lernmaterial in einfacher Sprache?

  • Das macht mich sehr bertroffen.



    Attentate; gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Kommunalpolitiker zusammengeschlagen weil er eine Party beenden wollte;



    sehr heftig alles.



    und wenn ich mal n Rollator brauche?

  • Diese Art von Herabsetzung kenne ich schon mein ganzes Leben. Das sowas wie das hier mal kommt, wußte ich.



    Als ich hörte, daß die Täterin in die Psychiatrie kam, habe ich nur gesagt:



    Das hat sie auch verdient.



    Die Rachegelüste eines kleinen bösen Krüppelchens Krüppelchens

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @Adriana Zessin:

      Das ist völlig normal, aber trotzdem sind diese Menschen auf die Hilfe der Gesellschaft und der Betreuer*innen angewiesen. Schön wäre es wenn es mal andersherum funktionieren würde. Übrigens, glaubt man den Pressemeldungen , wurde das Heim 1 Tag vor der Tat kontrolliert. Da die Täterin nun in der Psychiatrie ist, ist sie Teil der Community und ich hoffe dass die Behinderten auch Verständniss aufbringen. Man könnte natürlich diese Einrichtungen schließen wie damals in Bologna. Aber ich fürchte es werden wieder nur die caritativen Einrichtungen sein , die Care Arbeit leisten und die Menschen dann auf der Straße aufsammeln.

      • @97287 (Profil gelöscht):

        "Da die Taeterin nun in der Psychiatrie ist, ist sie Teil der Community und ich hoffe dass die Behinderten auch Verstaendnis aufbringen." Geht's noch?!

  • Das eigentliche Thema heißt Macht. Wo ein Machtgefälle besteht, sind Gewalt und Missbrauch nicht fern.



    Leider wird das ausgeblendet. Man muss sich nur mal die auf Hochglanz getrimmten "Leitbilder" der Einrichtungen ansehen. Die Wörter Gewalt und Gewaltmissbrauch wird man vergeblich suchen.

    • @Wondraschek:

      es ist etwas einfach alles mit Macht zu erklären. aber sicher bequem

  • Besonders an Ihrem Beitrag gefallen hat mir Ihre Aufforderung, dass Betroffene zu Worte kommen:



    Hier kommt ein Betroffener zu Wort:



    www.youtube.com/watch?v=vtS91Jd5mac

  • 2G
    22305 (Profil gelöscht)

    Ich bin sehr froh, diesen Artikel gelesen zu haben. Auch sog. Behinderte, die nicht in einer Pflegeeinrichtung leben, sind täglich Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Die Mörderin ist in die Psychiatrie gekommen. Das lenkt natürlich davon ab, dass Ableismus keine psychische Krankheit ist, sondern ein in dieser Gesellschaft fest verankerter Herrschaftsmechanismus.

  • Wäre es zu viel verlangt bestimmte Fachausdrücke, die nicht allen geläufig sind, einfach zu übersetzen. Es macht keine Freude, immer nachgoogeln zu müssen. Ansonsten guter Artikel.

    • @Klaus Waldhans:

      Das ist ja der Sinn solcher Artikel. Der 08/15 Normalotto, der keinen tieferen Zugang zu Sozialwissenschaften und ihrer Termini hat, soll sich ertappt fühlen, dass ihm dieser Begriff vollkommen abgängig ist und dieses erst nachschlagen muss und nun Gewissensbisse bekommen soll, ob seiner Ignoranz.

    • @Klaus Waldhans:

      Stimmt. Wenn man des Englischen nicht mächtig ist, ist es nicht so leicht, die Bedeutung einiger Begriffe aus dem Kontext zu erschliessen.

      Hier zeigt sich wieder die Sinnhaftigkeit von Artikeln in einfacher Sprache.

    • @Klaus Waldhans:

      Nein! Denn nur durch einen erklärungslosen Einsatz von Begriffen wie #Othering und #Ableismus kann man jenes diskursive Machtgefälle aufbauen, das man in anderen Lebensbereichen permanent anprangert. Die sprachliche Barrierenbildung dient dazu eine begriffskennende In-group von tumben Rest, dem Plebs abzugrenzen und zu erhöhen. In-group als intellektuelle Hohepriesterkaste darf den Diskurs führen, während der Plebs als peinlicher, informierter, uneingeweihter Bodensatz bei der kleinsten Wortmeldung unangenehm auffällt und damit gesellschaftlich mundtot wird. Diese Methode hat sich mittlerweile in vielen Bereichen bewährt. Und so führen wir Ignoranten, die eure nicht wissen, was Ableismus ist, ein fröhliches stumpfes Leben zwischen verpöntem Fleischkonsum, Kleingarten-Vereinsfesten ohne Gästen der PoC-und LGBTQ+WTFXGDAKFZ-Community, klimaschädlichen Flugreisen nach Malle (klimaignorante Arbeiterschicht) vs. Flugreisen zu den Kultstätten von Angkor Wat mit CO2-Ausgleicb (klimabewusste Intellektuellenreisen mit Dr. Tigges) und lassen unsere Kleinen mit Indianerkostüm zur Kinderfasnacht.

      • 1G
        15833 (Profil gelöscht)
        @SofA:

        Oder es sorgt ganz einfach dafür das ich mich viel weniger damit beschäftige.

        Ist wie der Klassiker, Tür der Boutique steht auf kommen mehr Menschen aus Neugier rein als wenn sie zu ist.

        Einfach mal weniger Kauderwelsch, das erreicht mehr Menschen