TikTok und Datensicherheit: Das nette chinesische Unternehmen
Der US-Präsident führt einen Privatkrieg gegen das soziale Netzwerk TikTok wegen angeblicher Spionage. Wofür es die Nutzerdaten verwendet, ist unklar.
B is zum 15. September soll die chinesische Unterhaltungs-App TikTok nach dem Willen des amerikanischen Präsidenten Trump an ein „nettes, amerikanisches Unternehmen“ verkauft werden. Das chinesische Unternehmen Bytedance, das Tiktok betreibt, verhandelt unter anderem mit Microsoft und Twitter, hat aber gleichzeitig gegen die Verkaufsauflage in den USA geklagt.
Auch die EU untersucht derzeit Tiktok, das vor allem bei Kindern und Teenagern beliebt ist. Und derzeit prüfen auch das Bundesgesundheitsministerium und die Landesregierung des Saarlands, ob sie den Kanal weiterhin nutzen wollen.
Das erscheint wie ganz schön viel Drama um eine Smartphone-App, die bis vor Kurzem vor allem als Superspreader für neue Tanzmoves und Teeniewitze bekannt war. Nun kann man sich zu Recht fragen, ob eine App, die ihre Nutzer mit einem ununterbrochenen Strom von Kurzvideos bombardiert, ein kultureller Fortschritt ist.
Tiktok wird aber nicht wegen der Verbreitung von Flachsinn international untersucht und geprüft. Die amerikanische Regierung wirft dem Unternehmen immerhin vor, dass die App die nationalen Sicherheitsinteressen der USA verletze. Donald Trump scheint aus taktischen Gründen während des US-Wahlkampfs geradezu einen Privatkrieg gegen Tiktok zu führen – eigentlich ungeheuerlich, dass sich ein amerikanischer Präsident so an einer Mobiltelefon-App abarbeitet.
Shadowban
Von anderer Seite wird die App dafür kritisiert, dass sie kontroverse Inhalte unterdrücken würde – besonders solche, die der chinesischen Regierung missfallen. Protestvideos aus Hongkong oder über den Genozid an den Uiguren würden von dem Unternehmen zwar nicht gelöscht, aber mit einem „Shadowban“ belegt – also den Nutzern selten angezeigt.
US-Präsident Donald Trump hat den Druck auf die chinesische Videoplattform Tiktok weiter verschärft. Am Freitag unterzeichnete er ein Dekret, das den chinesischen Mutterkonzern Bytedance dazu verpflichtet, innerhalb von 90 Tagen alle Daten von US-Nutzern zu vernichten und sich von seinen US-Geschäften zu trennen. Dazu wird der Kauf der App Musical.ly durch Bytedance rückwirkend untersagt. Es gebe glaubwürdige Hinweise auf eine Gefährdung der nationalen Sicherheit durch Bytedance, erklärte Trump zur Begründung. (afp)
Die Belege für den ersten Vorwurf sind dürftig. Zwar meldete das Wall Street Journal in der vergangenen Woche, dass Tiktok in der Vergangenheit Daten seiner Nutzer gesammelt habe, mit denen man den Standort ihrer Handys orten kann. Tiktok hat das allerdings bereits im November 2019 eingestellt; ähnliche Daten werden auch von anderen sozialen Medien gesammelt. Generell basiert das Geschäftsmodell von allen großen Internetunternehmen darauf, so viele Daten wie möglich von ihren Nutzern zu speichern. Das macht es nicht besser, aber Tiktok scheint dabei nicht aggressiver als andere Unternehmen vorzugehen.
Dass China das Unternehmen zwingen könnte, Nutzerdaten weiterzugeben, hat Tiktok-Gründer Zhang Yiming bestritten, denn die lägen auf Servern in den USA und Singapur. Aber die chinesische Regierung agiert mittlerweile wie die Mafia, die bekanntlich „Methoden hat, dich zum Reden zu bringen“. Dieses Versprechen ist also wenig wert, und persönliche Informationen in der Hand dieser durchdigitalisierten Diktatur sind in der Tat eine albtraumhafte Vorstellung. Allerdings wissen wir seit den Snowden-Enthüllungen auch, dass amerikanische Geheimdienste schon lange international Userdaten aus den sozialen Medien abgreifen.
Ansonsten hat sich Tiktok in der Vergangenheit meist mustergültig verhalten und den Forderungen entsprochen, die an chinesische Internetunternehmen zu Recht herangetragen werden. Zunächst einmal ist die App keine Kopie von amerikanischen Internetgeschäftsmodellen, wie das bei vielen anderen chinesischen Unternehmen der Fall ist. Der Erfolg von Tiktok beruht auf einem komplett originären Konzept.
Weiterhin hat Tiktok von Anfang an versucht, auf der eigenen Plattform durch Moderation ein Mindestmaß an Ordnung sicherzustellen. Andere soziale Medien wie Facebook, Youtube oder Twitter empfanden das jahrelang als unnötig. Sie behaupteten wahlweise, dass dies ein Eingriff in die Meinungsfreiheit sei oder wegen der Masse an Nutzerinteraktion schlicht nicht möglich. Erst unter dem zunehmenden Druck der Öffentlichkeit begann man zähneknirschend und nachlässig damit, wenigstens einigen der übelsten Lügnern und Hetzern das Handwerk zu legen.
Neonazis, Antisemiten und Spinnern wie dem selbst ernannten „Volkslehrer“ Nikolai Nerling in Deutschland oder dem Identitären-Quatschkopf Martin Sellner in Österreich wurde bei Youtube erst der Kanal weggenommen, als sie über die Plattform ihr Publikum gefunden hatten. Schwurbelkoch Attila Hildmann ist sogar bis heute regelmäßig bei Youtube aktiv.
Das Sündenregister ist kurz
In den USA konnten die Russen über Facebook und andere soziale Medien 2016 Einfluss auf die Präsidentschaftswahlen nehmen. In den Philippinen trug die Plattform zum Wahlsieg des diktatorischen Staatschefs Rodrigo Duterte bei. In Myanmar führten auf Facebook gestreute Propagandalügen zur gewaltsamen Vertreibung der Rohingya nach Bangladesch. Im Vergleich dazu ist das Sündenregister von Tiktok kurz.
Zwar ist dem Konzern in der Vergangenheit vorgeworfen worden, kontroverse politische Themen zu unterdrücken: Videos über den Polizeimord an George Floyd wurden zeitweise nicht verbreitet. Auf Protest hin hat das Unternehmen aber schnell reagiert, und inzwischen werden bei Tiktok viele politische Videos veröffentlicht.
Für die große Zahl der Teilnehmer an den Black-Live-Matters-Demonstrationen war die App zumindest mitverantwortlich. Die Covidioten, die Anfang August durch den Berliner Tiergarten zogen, dürften hingegen Absolventen der „Youtube-Uni“ gewesen sein, wo sie durch ein maßgeschneidertes Programm von Verschwörungsvideos radikalisiert wurden.
For You
Wer danach sucht, findet auch bei TikTok die netzüblichen Rassisten, Sexisten, Schwurbler und Spinner. Aber für viele Nutzer der App ist gerade die „For-You“-Seite der entscheidende Vorteil der Plattform, die komplett auf die individuellen Vorlieben maßgeschneiderte Videos liefert, sodass man nicht in derartige Blasen abdriftet, wenn man das nicht will – ganz anders als beispielsweise bei Youtube, wo man vom Algorithmus schnell ins Reich der Aluhüte befördert wird.
Zu den problematischsten Aspekten von Tiktok gehört, dass sich idiotische bis lebensgefährliche Wettbewerbe in Lichtgeschwindigkeit um den Globus verbreiten – wie etwa der „Superglue Challenge“, bei dem sich letzte Woche eine Schülerin in Mannheim mit Sekundenkleber an eine Stange geklebt hat und von der Feuerwehr befreit werden musste. Aber auch bei solch gefährlichem Unsinn schreiten die Moderatoren inzwischen meist schnell ein.
Letztlich genießt Tiktok wie alle anderen sozialen Medien eine Art Hausrecht; es macht bloß offensiver davon Gebrauch als andere Anbieter. Wenn die Firma ihre Plattform vor allem als Unterhaltungsangebot betreiben möchte, ist das ihr gutes Recht. Man kann das problematisch finden. Aber problematisch ist wohl vor allem, dass ein großer Teil der gesellschaftlichen Kommunikation inzwischen in Kanälen stattfindet, die profitorientiert sind und von internationalen Konzernen betrieben werden, über deren inhaltliche Entscheidungen man wenig weiß.
Abhörversuch oder Bug?
Das größte Problem bei Tiktok ist dasselbe wie bei allen anderen sozialen Netzwerken: Mangel an Informationen über ihre Funktionsweise. Wenn durch Zufall herauskommt, dass die App zwischengespeicherte Daten vom Smartphones an das Unternehmen übertragen hat, kann das ein Abhörversuch sein, wie von den USA behauptet. Oder aber einfach ein Fehler im Programm, wie Tiktok sich verteidigt hat. Man weiß es einfach nicht. Niemand außerhalb des Unternehmens weiß, wie die Algorithmen von Tiktok programmiert sind oder warum sie ihren Nutzern bestimmte Videos zeigen. Niemand weiß, wie Tiktok die Daten verwendet, die die Firma sammelt. Niemand weiß, wie es seine Nutzerregeln erstellt und wie es diese durchsetzt.
Darum müsste man von dem Unternehmen verlangen, seine Software als Open-Source-Programme im Netz öffentlich zugänglich zu machen. Die Methoden der Datenerfassung und -verarbeitung müssten ebenso transparent sein wie die internen Richtlinien für die Moderation von Inhalten. Den Nutzern von Tiktok müsste wie bei einer Genossenschaft über gewählte Vertreter Einfluss auf Geschäftsentscheidungen und inhaltliche Entwicklung eingeräumt werden, denn von ihnen stammen sämtliche Videos, die bei Tiktok gezeigt werden. Und wenn man schon mal dabei ist, müsste man diese Regeln auch gleich auf Facebook, Youtube und Co anwenden.
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Die Internetunternehmen würden wohl einwenden, dass solche Algorithmen und Prozesse geschützte Geschäftsgeheimnisse seien – wie die Formel für Coca-Cola. Aber Limonade ist im schlimmsten Fall für schlechte Zähne und Übergewicht verantwortlich. Die sozialen Medien hingegen beeinflussen die öffentliche Meinung und verstopfen immer mehr Nutzern den Kopf mit Propagandalügen und hanebüchenem Unsinn über Impfungen, Immigration und Echsenmenschen. Wer mit Verdummung und gesellschaftlicher Polarisierung sein Geld verdient, kann sich in einer demokratischen Gesellschaft nicht hinter dem Copyright verstecken.
Wichtig wäre auch die Einrichtung von „Datencontainern“. Diese Idee stammt von Tim Berners-Lee, dem Erfinder des WorldWideWeb, der dafür das gemeinnützige Unternehmen Solid gegründet hat. Mit deren Hilfe sollten Nutzer ihre persönlichen Daten von einem Internetanbieter zum nächsten mitnehmen können. Denn im Augenblick basiert die Macht der gängigen Plattformen vor allem darauf, dass sie so viel über ihre Nutzer wissen.
Wenn man sich mit denselben Daten statt bei Facebook oder Instagram auch bei alternativen sozialen Netzwerken wie Diaspora oder Ello anmelden könnte, wäre das auch ein Beitrag zum Wettbewerb im Internet. Denn im Augenblick führt die Datensammelei der großen Plattformen absurderweise auch noch dazu, ihre Monopolstellung zu festigen.
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