Tiertransporte auf dem Mittelmeer: Kälber auf tödlicher Irrfahrt
Zwei Schiffe mit über 2.500 Stück Vieh irren seit zwei Monaten übers Mittelmeer. Die Tierquälerei ist Folge eines Kompetenzwirrwarrs.
Eigentlich sollten die Tiere an die Türkei verkauft werden. Die Lieferung wurde dort allerdings abgelehnt. Es bestehe der Verdacht auf Blauzungenerkrankung, lautete die Begründung – und das obwohl die Kälber alle gültige Gesundheitsatteste und Exportpapiere der spanischen Behörden hatten. Der Hintergrund des ganzen sei, so das spanische Landwirtschaftsministerium, dass die „türkischen Behörden das Konzept der Zoneneinteilung der EU ablehnen“.
Überall in der EU werden im Rahmen dieser Zoneneinteilung Produktionsgebiete ausgewiesen. Kommt es in einem dieser Gebiete zu einem Seuchenfall, darf aus dieser Zone nicht mehr exportiert werden. Angeblich stammen einige der Tiere aus einer Nachbarregion eines Gebietes, in dem erst kürzlich Fälle des Blauzungenvirus bekannt wurden.
Deshalb fuhr die „Karim Allah“ nach Libyen, um dort das Vieh loszuwerden. Doch der Ruf, verseuchte Tiere an Bord zu haben, eilte dem Schiff voraus. Auch die libyschen Kunden ließen das Geschäft platzen. Danach irrte das Schiff durchs Mittelmeer. Tunesien verweigerte Futter und Wasser. Erst auf Sizilien wurde das Schiff wieder versorgt. Letztendlich landete die „Karim Allah“ wieder im Ursprungshafen ihrer Fracht, im südostspanischen Cartagena an.
EU importiert keine Lebendtiere
Obwohl die Tiere aus Spanien stammen, dürfen sie aber nicht zurückimportiert werden. Denn die EU exportiert zwar Lebendtiere an Drittländer, importiert aber laut ihren Regularien keine. Ein erneuter Verkauf, der schließlich ebenfalls mit dem Schlachthof enden würde, ist offenbar nicht möglich. „Die tierärztliche Inspektion ergab, dass der Zustand der Kälber eine erneute Reise für den Export in ein Drittland unmöglich macht“, heißt es aus dem Agrarministerium.
Ein zweites Schiff, die Elbeik, die ebenfalls mit 1.776 Tieren seit über zwei Monaten auf dem Mittelmeer umherfährt, ist derzeit von Zypern nach Cartagena unterwegs, wo es am 8. März ankommen soll. Die Tiere wurden im Dezember im katalanischen Tarragona geladen, um nach Libyen verkauft zu werden. Der Deal platzte ebenfalls wegen des unbestätigten Verdachts auf Blauzungenerkrankung. Danach fuhr das Schiff über die italienische Insel Lampedusa nach Ägypten, ohne dort die Fracht löschen zu können. Die Odyssee begann. Wahrscheinlich droht ihnen auch die Einschläferung mit der Spritze.
„Wie der Gesundheitszustand der Tiere tatsächlich ist, wissen wir nicht“, sagt Iris Baumgärtner, Sprecherin der Animal Welfare Foundation (AWF) in Deutschland, die seit Jahren zum Thema Transporte von Lebendtieren recherchiert. Die spanischen Behörden hätten unabhängige Untersuchungen unterbunden. Auch sei nicht klar, wie viele Tiere auf der Irrfahrt bereits verstorben seien.
Laut Baumgärtner kommt es häufig zu Zwischenfällen bei den Tiertransporten. „Immer wieder stehen LKWs voller Tiere tagelang im Niemandsland zum Beispiel zwischen Bulgarien und der Türkei“, weiss sie zu berichten. Da der von der EU eigentlich versprochene Tierschutz bei Lebendtransporten in Drittländer nicht gewährleistet werden könne, forderte AWF eine völliges Verbot dieser Exporte.
Spanien als Drehscheibe für Lebendtierexporte
Spanien ist eines der Hauptexportländer für Lebendtiere aus der EU in Drittländer. Dort werden nicht nur heimische Tiere verkauft. LKWs aus der gesamten EU bringen Kälber kurz nach ihrer Geburt zum Mästen ins nordostspanische Katalonien. Die Fahrt aus Deutschland dauert über 20 Stunden.
2019 verschiffte Spanien rund 147.000 Rinder und rund 750.000 Schafe in Länder auf der anderen Seite des Mittelmeeres. Nur 24 Prozent der verwendeten Schiffe fahren – laut AWF – unter „Qualitätsflaggen“. Das gilt weder für die in Togo gemeldete „Elbeik“ noch für die „Karim Allah“, die unter libanesischer Flagge fährt. Die Schiffe sind meist völlig veraltet, Strom und Wasserversorgung an Bord mangelhaft. Bei der „Karim Allah“ handelt es sich um eine 1965 vom Stapel gelaufene Autofähre, die später zum Tiertransporter umgebaut wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles