Tierschützer gegen Käfige für Schweine: Grüne sollen die Sau rauslassen
Aktivisten warnen die Grünen: Die Partei dürfe im Bundesrat die verbotenen, aber weit verbreiteten Sauenkäfige nicht legalisieren.
„Die Grünen haben immer behauptet, sie sind auch die Tierschutzpartei. Jetzt sind sie in der Verantwortung. Jetzt müssen sie auch mal liefern“, ergänzte Jasmin Zöllmer, Referentin bei der Organisation ProVieh. Von Freitag bis Montagnachmittag unterschrieben rund 370.000 Menschen einen Online-Appell von Campact und Foodwatch an die Grünen, das „Martyrium von Millionen Muttersauen jetzt zu beenden“.
Am Dienstag wollen sich Staatssekretäre und Ministerialdirektoren von Bund und Ländern bei einem Treffen im Agrarministerium in Berlin über eine Reform der Passage in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zum Kastenstand verständigen.
Bundesministerin Julia Klöckner (CDU) will die meist missachtete Vorschrift streichen, dass die Tiere im Liegen ihre Beine ausstrecken können müssen. Nach einer Übergangsfrist von bis zu 17 Jahren sollen die Kastenstände etwas größer und die Zeiten der Tiere darin von mehreren Wochen auf 12 Tage je Gebärzyklus reduziert werden.
Der Agrarausschuss des Bundesrats empfiehlt, die Ausstreck-Vorschrift beizubehalten, die Übergangsfrist auf 8 Jahre und die Fixierdauer auf 10 Tage zu begrenzen. Das Plenum, in dem die Stimmen anders als im Ausschuss verteilt sind, verschob die Abstimmung über die Empfehlung aber wegen zu großer Differenzen.
Jasmin Zöllmer, ProVieh
„Wir fordern die Grünen auf, an der Empfehlung des Ausschusses festzuhalten“, sagte ProVieh-Aktivistin Zöllmer. Tierschutzbund-Chef Schröder lehnte einen möglichen Kompromiss ab, die Ausstreck-Regel vor der Vergrößerung der Kastenstände durchzusetzen. „Eine grüne Bundesministerin hat das Staatsziel Tierschutz mit uns gefeiert und in Kraft gesetzt: Renate Künast. Es wäre ein Kuriosum, wenn die Grünen nun durch Druck der unionsgeführten Länder vom Staatsziel abweichen“, warnte Schröder.
Wie die Tierschützer verlangt auch die Verbraucherorganisation Foodwatch, Kastenstände sofort abzuschaffen. „Ein Bauer, der einen Kastenstand hat, der wird den so nutzen, wie er es arbeitsökonomisch für nötig hält, denn es gibt niemanden, der kontrollieren wird, wie lange die Tiere da drin stehen werden“, sagte Matthias Wolfschmidt, Internationaler Kampagnendirektor von Foodwatch, der taz. Die Veterinärämter würden mangels Personal nur selten jeden landwirtschaftlichen Betrieb überprüfen.
Er wies das Argument der Landwirte zurück, dass ohne den Kastenstand die Sauenhaltung komplett nach Polen oder Dänemark abwanderte, wo die Tiere dann doch im Kastenstand gehalten würden. Deutschland könne bei der Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken „vorschreiben, dass der Handel nur solche tierischen Lebensmittel zum Kauf anbieten darf, die mindestens die Anforderungen des deutschen Tierschutzrechts erfüllen“, sagte Wolfschmidt dazu.
Grünen-Chefs wollen Kompromiss
Die Bundesvorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock undRobert Habeck, schrieben Foodwatch zwar: „Wir Grüne wollen einen Abschied vom Kastenstand.“ Da die Partei in den Ländern aber nicht allein regiere, müsse sie einen Kompromiss finden. Die Grünen wollten die Vorschrift erhalten, dass die Säue auch im Liegen ihre Beine ausstrecken können müssen. Eine Übergangsfrist von 15 bis 17 Jahren sei „deutlich zu lange“. Die Fixierung könne auf 5 Tage verkürzt werden.
Renate Künast dagegen, jetzt tierschutzpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion teilte der taz mit: „Das Grundgesetz muss respektiert und das Magdeburger Urteil umgesetzt werden. Bis zum Aufruf des Tagesordnungspunktes im Bundesrat hoffe ich darauf, dass dieses geschieht.“
Die 1,8 Millionen Sauen in Deutschland werden meist monatelang in Metallgestellen gehalten, die nur etwa so groß wie das Schwein sind. Es kann sich nicht umdrehen und sich nur langsam hinlegen. Dies hat den Vorteil, dass die Jungtiere nicht so leicht erdrückt werden. Zudem erleichtert der Kastenstand dem Personal den Überblick, zum Beispiel, welche Sau schon besamt ist. Das Metallgestell spart auch Platz, denn außerhalb des Käfigs ist mehr Bewegungsfreiheit vorgeschrieben.
Tierschützer kritisieren jedoch, dass die Kastenstände oft Geschwüre im Schulter- und Hüftbereich verursachten. Es sei Tierquälerei, die Sauen ohne Kontakt zu Artgenossen und ohne Möglichkeiten zu halten, herumzulaufen, ihren Erkundungstrieb auszuleben oder sich zu suhlen. Wenn Sauen genug Platz hätten, würden ohne Kastenstand auch nicht wesentlich mehr Ferkel erdrückt werden.
Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung erlaubt Kastenstände zwar für einen begrenzten Zeitraum. Aber seit 1992 ist laut Verordnung vorgeschrieben, dass „jedes Schwein ungehindert aufstehen, sich hinlegen sowie den Kopf und in Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken kann“.
Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt verlangte deshalb 2015, dass der Kastenstand entweder mindestens so breit wie das stehende Schwein hoch ist oder ermöglichen muss, die Gliedmaßen ohne Behinderung in benachbarte leere Käfige zu stecken. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte 2016 das Urteil aus Sachsen-Anhalt.
„Für kleine Betriebe nicht machbar“
Kastenstände wie vom Gericht gefordert „sind kaum anzutreffen“, räumt das Agrarministerium in der Begründung seines Verordnungsentwurfs ein. „Praxisüblich sind derzeit Kastenstände mit einer Breite von 65 cm (Jungsauen) bzw. 70 cm (Sauen) und einer Länge von 200 cm, wobei in regional unterschiedlichem Ausmaß auch schmalere Kastenstände verbreitet sein können.“ Die durchschnittliche Sau hat aber Wissenschaftlern zufolge eine Körperhöhe von 90 cm. Demnach müsste der Kastenstand ebenso breit sein.
Klöckners Ministerium teilte der taz auf Anfrage mit, dass der Verordnungsentwurf den Tierschutz deutlich verbessern würde. Schließlich würden die Fixierzeiten erheblich verkürzt und die Kastenstände vergrößert. Kürzere Übergangsfristen wären „gerade für kleine Betriebe nicht machbar, ohne sie damit vor unlösbare finanzielle Schwierigkeiten zu stellen“, so das Ministerium. „Es ist wichtig, die Produktion in Deutschland zu halten und weitere Strukturbrüche zu vermeiden – denn nur in Deutschland haben wir konkrete Einflussmöglichkeiten auf die Haltungsbedingungen und somit das Tierwohl.“
Die Kastenstände würden künftig so breit sein, dass „die Tiere normal aufstehen und sich hinlegen sowie in Seitenlage liegen können.“ Sie dürften aber auch nicht so breit sein, dass sich die Sauen umdrehen und dabei verletzen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“