Tierquälerei im Sport: Arme Säue überall
Nach dem umstrittenen Olympia-Ritt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Reiterin Annika Schleu. Gut so. Doch es wird nicht genug verändern.
Die Fünfkämpferin Annika Schleu, so viel Tiermetapher darf bei dem Thema erlaubt sein, ist derzeit eine arme Sau. Die Olympionikin, die nach aussichtsreichem Wettkampf beim Reiten in Tokio null Punkte holte, weil das ihr zugeloste Pferd nicht springen mochte, und auf das Tier eindrosch („Hau drauf, hau mal richtig drauf“, so berühmtermaßen Bundestrainerin Kim Raisner), wurde erst im Internet ob ihrer Tränen verhöhnt, dann wochenlang als Tierquälerin beschimpft und bedroht. Eine bis dahin kaum beachtete Randsportlerin, eine ganze Karriere reduziert auf eine fatale Entscheidung unter hohem Druck, eine Laufbahn zerstört durch ein Meme. Viele der neu entdeckten PferdefreundInnen hatten für diesen Teil der Tragödie wenig Empathie.
Der Zeit sagte Schleu über den Hass: „Es ist sehr schwer, sich davon zu erholen.“ Eine Gesellschaft, die völlig selbstverständlich ihre Wurstel aus qualvoll lebenden Schweinen in winzigen Ställen kauft, kann es nicht ertragen, ihre eigenen Überlegenheitsfantasien im Fernsehen zu sehen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen Sportlerin und Trainerin wegen Tierquälerei. Das ist prinzipiell sinnvoll. Aber es reicht nicht, um Grundlegendes zu verändern.
Die Debatte war schon einmal weiter. Da nämlich, als es über Sinn und Unsinn von Pferden im olympischen Sport ging. Der Fünfkampfverband war schnell dabei, Schleu und Raisner eine Individualschuld zuzuschreiben; menschliches Versagen ist bequemer als Systemdebatten. Im Fünfkampf wird den SportlerInnen ein Tier zugelost, das sie nicht kennen. Allein diese Praxis ist völlig verantwortungslos, sie widerspricht jedem Ethos von persönlicher Beziehung zwischen Mensch und Tier.
Würde jemand dem Tischtennisspieler Timo Boll zwanzig Minuten vor Beginn des Doppels einen Partner zulosen, mit dem er nie gespielt hat, und sich dann wundern, wenn die beiden frustriert aufeinander losgehen? Ganz unabhängig davon: Die AllesmacherInnen vom Fünfkampf, die oft eben keine spezialisierten ReiterInnen sind, in einer Stresssituation auf Tiere loszulassen, ist völlig idiotisch. Reiten gehört nicht in den Fünfkampf.
Sport, der quält
Das alles ist bei etwas Nachdenken relativ offensichtlich. Und doch sind da die anderen „Disziplinen“, die die Tiere im Leistungssport zu erfüllen haben. „Pferde zu zwingen, über derart hohe Hindernisse zu springen, entspricht in keiner Weise den natürlichen Bewegungsabläufen dieser Tiere“, stellt die Tierschutzorganisation Peta etwa in Bezug aufs Springreiten fest. Schwere Verletzungen seien häufig, außerdem Tierquälerei wie das Blistern, bei dem eine chemische Substanz den Pferden starke Schmerzen verursacht, sobald sie die Stangen berühren. Besonders notorisch gar für Todesfälle sind Disziplinen wie das Vielseitigkeitsreiten (ehemals treffender: Military) und der Rennsport.
Es ist Ausdruck eines tieferen Skandals. Der heutige Sport, der Leistung als Körperleistung definiert, quält an der Spitze zwangsläufig. Er quält Menschen wie Tiere. Wie oft mag Annika Schleu ihren Körper gequält haben, um zu Olympia zu gelangen, was nimmt sie dafür in Kauf? Olympia-TeilnehmerInnen, zeigte jüngst eine Studie, sterben früher als die Normalbevölkerung. Und SiegerInnen sterben früher als bloße TeilnehmerInnen. Wo eigener Schmerz nicht zählt, zählt auch nicht der Schmerz anderer. Auch nicht jener der Pferde.
Es ist gewiss jedes Menschen persönliche Entscheidung, sich für den süßen Saft des Sieges in ein frühes Grab zu sporteln. Das kann man machen oder lassen. Pferde aber haben sich nie freiwillig dazu entschieden, diese Tortur aus Reisen, Training, Doping mitzumachen. Sie gehören nicht in den Sport, jedenfalls nicht in diesen. Aber vielleicht in einen anderen. Einen, wo für andere Dinge applaudiert wird. Wir sind, wofür wir klatschen. Wie könnte ein Sport aussehen, der das bedenkt?
Der Wille fehlt
Organisationen wie Peta schelten gern das gesamte Reiten als Zwang, als schädlich und unnatürlich, aber es macht natürlich für das Pferd einen Unterschied, ob man Rennsport betreibt oder im Schritt einen für das Pferd spannenden und schönen Ausritt im Wald macht. Oder Beziehungsarbeit macht. Das kann doppelt bereichern, für Menschen mit Behinderung oder psychischen Problemen etwa können Reittherapien eine große Hilfe sein. Und unnatürlich? Nun ja, ein Hundeparcours ist auch nicht gerade die natürliche Beschäftigungsform des Wolfs gewesen, Katzen saßen nicht immer auf dem Sofa. Die essenzielle Frage ist eher: Macht es dem Tier Spaß? Kann es selbst mit entscheiden?
Es fehlt gerade im Sport am Willen, das überhaupt herausfinden. In die Forschung über Wohlbefinden und Spaß aller zu investieren, so wie gerade an der körperlichen Leistung geforscht wird. Dafür muss sich der Sport selbst verändern.
Der Fall Annika Schleu zeigt vor allem eines: Die aktuelle Gesellschaft ist eine, die sowohl ihre Tiere als auch ihre Menschen wie arme Säue behandelt. Natürlich kann man anders Sport treiben. Man könnte die als SiegerInnen auszeichnen, deren Tieren es nach dem Sport besonders gut geht. Oder die, die eine besonders enge Beziehung zwischen Mensch und Pferd aufgebaut haben. Oder die, die Spiele erfinden, die beiden Spaß machen, Pferden und SportlerInnen.
Alternative Olympiaden
Das ist nicht schwer, ist aber nicht gewollt. Und wenn sich herausstellen sollte, dass dem Pferd nichts am Reiten Spaß macht, dann muss man halt runter vom Gaul. Sehr viele andere Olympiaden wären möglich: etwa eine nicht der Körperleistung, sondern des Glücks, wo alle möglichst zufrieden rausgehen sollen.
Von einem müsste sie sich verabschieden: von objektivem, fairem Wettbewerb. Aus Wohlbefinden kann man nur schwer ein neutrales Siegertreppchen erstellen. Aber den objektiven, fairen Wettbewerb, gab es den je? Annika Schleu würde wohl sagen: auf einem Pferd antreten zu müssen, das Angst hat, war auch kein fairer Wettbewerb.
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