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Tierquälerei im SportArme Säue überall

Nach dem umstrittenen Olympia-Ritt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Reiterin Annika Schleu. Gut so. Doch es wird nicht genug verändern.

Das Pferd von Annika Schleu bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Die Fünfkämpferin Annika Schleu, so viel Tiermetapher darf bei dem Thema erlaubt sein, ist derzeit eine arme Sau. Die Olympionikin, die nach aussichtsreichem Wettkampf beim Reiten in Tokio null Punkte holte, weil das ihr zugeloste Pferd nicht springen mochte, und auf das Tier eindrosch („Hau drauf, hau mal richtig drauf“, so berühmtermaßen Bundestrainerin Kim Raisner), wurde erst im Internet ob ihrer Tränen verhöhnt, dann wochenlang als Tierquälerin beschimpft und bedroht. Eine bis dahin kaum beachtete Randsportlerin, eine ganze Karriere reduziert auf eine fatale Entscheidung unter hohem Druck, eine Laufbahn zerstört durch ein Meme. Viele der neu entdeckten PferdefreundInnen hatten für diesen Teil der Tragödie wenig Empathie.

Der Zeit sagte Schleu über den Hass: „Es ist sehr schwer, sich davon zu erholen.“ Eine Gesellschaft, die völlig selbstverständlich ihre Wurstel aus qualvoll lebenden Schweinen in winzigen Ställen kauft, kann es nicht ertragen, ihre eigenen Überlegenheitsfantasien im Fernsehen zu sehen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen Sportlerin und Trainerin wegen Tierquälerei. Das ist prinzipiell sinnvoll. Aber es reicht nicht, um Grundlegendes zu verändern.

Die Debatte war schon einmal weiter. Da nämlich, als es über Sinn und Unsinn von Pferden im olympischen Sport ging. Der Fünfkampfverband war schnell dabei, Schleu und Raisner eine Individualschuld zuzuschreiben; menschliches Versagen ist bequemer als Systemdebatten. Im Fünfkampf wird den SportlerInnen ein Tier zugelost, das sie nicht kennen. Allein diese Praxis ist völlig verantwortungslos, sie widerspricht jedem Ethos von persönlicher Beziehung zwischen Mensch und Tier.

Würde jemand dem Tischtennisspieler Timo Boll zwanzig Minuten vor Beginn des Doppels einen Partner zulosen, mit dem er nie gespielt hat, und sich dann wundern, wenn die beiden frustriert aufeinander losgehen? Ganz unabhängig davon: Die AllesmacherInnen vom Fünfkampf, die oft eben keine spezialisierten ReiterInnen sind, in einer Stresssituation auf Tiere loszulassen, ist völlig idiotisch. Reiten gehört nicht in den Fünfkampf.

Sport, der quält

Das alles ist bei etwas Nachdenken relativ offensichtlich. Und doch sind da die anderen „Disziplinen“, die die Tiere im Leistungssport zu erfüllen haben. „Pferde zu zwingen, über derart hohe Hindernisse zu springen, entspricht in keiner Weise den natürlichen Bewegungsabläufen dieser Tiere“, stellt die Tierschutzorganisation Peta etwa in Bezug aufs Springreiten fest. Schwere Verletzungen seien häufig, außerdem Tierquälerei wie das Blistern, bei dem eine chemische Substanz den Pferden starke Schmerzen verursacht, sobald sie die Stangen berühren. Besonders notorisch gar für Todesfälle sind Disziplinen wie das Vielseitigkeitsreiten (ehemals treffender: Military) und der Rennsport.

Pferde aber haben sich nie freiwillig dazu entschieden, diese Tortur aus Reisen, Training, Doping mitzumachen. Sie gehören nicht in den Sport, jedenfalls nicht in diesen. Aber vielleicht in einen anderen

Es ist Ausdruck eines tieferen Skandals. Der heutige Sport, der Leistung als Körperleistung definiert, quält an der Spitze zwangsläufig. Er quält Menschen wie Tiere. Wie oft mag Annika Schleu ihren Körper gequält haben, um zu Olympia zu gelangen, was nimmt sie dafür in Kauf? Olympia-TeilnehmerInnen, zeigte jüngst eine Studie, sterben früher als die Normalbevölkerung. Und SiegerInnen sterben früher als bloße TeilnehmerInnen. Wo eigener Schmerz nicht zählt, zählt auch nicht der Schmerz anderer. Auch nicht jener der Pferde.

Es ist gewiss jedes Menschen persönliche Entscheidung, sich für den süßen Saft des Sieges in ein frühes Grab zu sporteln. Das kann man machen oder lassen. Pferde aber haben sich nie freiwillig dazu entschieden, diese Tortur aus Reisen, Training, Doping mitzumachen. Sie gehören nicht in den Sport, jedenfalls nicht in diesen. Aber vielleicht in einen anderen. Einen, wo für andere Dinge applaudiert wird. Wir sind, wofür wir klatschen. Wie könnte ein Sport aussehen, der das bedenkt?

Der Wille fehlt

Organisationen wie Peta schelten gern das gesamte Reiten als Zwang, als schädlich und unnatürlich, aber es macht natürlich für das Pferd einen Unterschied, ob man Rennsport betreibt oder im Schritt einen für das Pferd spannenden und schönen Ausritt im Wald macht. Oder Beziehungsarbeit macht. Das kann doppelt bereichern, für Menschen mit Behinderung oder psychischen Problemen etwa können Reittherapien eine große Hilfe sein. Und unnatürlich? Nun ja, ein Hundeparcours ist auch nicht gerade die natürliche Beschäftigungsform des Wolfs gewesen, Katzen saßen nicht immer auf dem Sofa. Die essenzielle Frage ist eher: Macht es dem Tier Spaß? Kann es selbst mit entscheiden?

Es fehlt gerade im Sport am Willen, das überhaupt herausfinden. In die Forschung über Wohlbefinden und Spaß aller zu investieren, so wie gerade an der körperlichen Leistung geforscht wird. Dafür muss sich der Sport selbst verändern.

Der Fall Annika Schleu zeigt vor allem eines: Die aktuelle Gesellschaft ist eine, die sowohl ihre Tiere als auch ihre Menschen wie arme Säue behandelt. Natürlich kann man anders Sport treiben. Man könnte die als SiegerInnen auszeichnen, deren Tieren es nach dem Sport besonders gut geht. Oder die, die eine besonders enge Beziehung zwischen Mensch und Pferd aufgebaut haben. Oder die, die Spiele erfinden, die beiden Spaß machen, Pferden und SportlerInnen.

Alternative Olympiaden

Das ist nicht schwer, ist aber nicht gewollt. Und wenn sich herausstellen sollte, dass dem Pferd nichts am Reiten Spaß macht, dann muss man halt runter vom Gaul. Sehr viele andere Olympiaden wären möglich: etwa eine nicht der Körperleistung, sondern des Glücks, wo alle möglichst zufrieden rausgehen sollen.

Von einem müsste sie sich verabschieden: von objektivem, fairem Wettbewerb. Aus Wohlbefinden kann man nur schwer ein neutrales Siegertreppchen erstellen. Aber den objektiven, fairen Wettbewerb, gab es den je? Annika Schleu würde wohl sagen: auf einem Pferd antreten zu müssen, das Angst hat, war auch kein fairer Wettbewerb.

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7 Kommentare

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  • Zugegeben, der moderne Fünfkampf muss über den Einsatz fremder, zugeloster Pferde nicht nur nachdenken, sondern diese Praxis auch ändern.

    Die Reiterin und die Trainerin deshalb zu verklagen, ist ein juristischer Aspekt. Er zeigt aber eines sehr deutlich: Die gelebte Schizophrenie in unserer Gesellschaft.

    Ich bin ganz auf der Seite der Autorin, dass über den überehrgeizigen Leistungssport mit Tieren (hier Pferden) reflektiert werden muss. Es fehlt die ein oder andere Regel.

    Pardon, ich erkenne aber hier keine Tierquälerei. Der Boxhieb der Trainerin, bitte, was soll das sein? Es wäre ratsam mal zu beobachten, wie eine Leitstute ihre Konkurrenz mit den Hufen auf der Weide vermöbelt. Wäre es nicht so bitter und traurig für die Athletin und die Trainerin, ich könnte darüber lachen.

    Lachen kann ich aber nicht, wenn ich an die Bilder denke, die ich nicht mehr loswerde.



    Wer Tierquälerei ruft, möge mal in einen ganz normalen Schlachthof gehen und in die Augen der Tiere schauen, die aus Gesundheitsgründen nicht sofort geschlachtet werden, sondern erst am Ende der Schicht an der Reihe sind. Schauen Sie sich dieses an, es wird Sie nicht mehr verlassen. Schauen Sie sich auch an, wenn der Fahrstuhl mit den Schweinen in die CO2-Kammer fährt. CO2 löst spontane Atemnot aus. Es ist ein zweiminütiger Todeskampf, den man nicht mitbekommt, wenn man die abgepackte Billigwurst kauft, die man sich beim Fernsehen der Reitsport-Veranstaltungen reinschiebt, sondern den man mitbekommt, wenn man vor Ort ist und in den Fahrstuhlschacht hinabschaut.



    Man könnte hier endlos weiter aufzählen und wird feststellen, dass das Leid hoch entwickelter Wirbeltiere eine ganz andere Dimension in einer ganz anderen Verbreitung hat, als dieses dagegen lächerliche Beispiel aus dem Pferdesport. Wirklich, ich möchte die Praktiken im Pferdesport nicht verharmlosen, aber einordnen, denn in der gelebten Schizophrenie sind wir perfekt.

  • Danke für diesen Artikel, ich hatte viele ähnliche Gedanken zu diesem Fall. Vor allem, neben der gesellschaftlichen Doppelzüngigkeit, hat es mich auch verwundert das die Trainerin aus meiner Sicht wesentlich weniger oft kritisiert wurde als die Reiterin selbst. Dabei beginnt die Qual im Sport oftmal erst unter der Fuchtel eines Trainers, ob der nun jugendliche Skispringer und Eisläufer in cholerischer Art dazu bewegt sich für eine Medaille auf Untergewicht runterzuhungern oder seine Traineee anweist das Tier bitte äußerst hart zu schlagen. Der Leistungsdruck und Leidensdruck steigt gefühlt exponentiell sobald jemand daneben stehtund im Deckmantel der Professionaliltät Grenzen überschreitet und körperliche Grenzüberschreitung ihrer Trainees als Standart und Ziel festlegt. Natürlich sind nicht alle Trainer im Sport herrschsüchtige Choleriker die ihren Wunsch nach Erfolg über die Gesundheit ihrer Schützlinge stellen, aber es ist für mich ein leider sehr häufig zu beobachtendes Phenomen.

  • Ich denke die Autorin meint olympische Spiele und nicht Olympiade.

  • Die Hauptschuld trifft den Verband des Modernen Fünfkampfes.

    1. Wie kann man eine Entscheidung treffen keinen Reittrainer zu Olympia mitzuschicken. Dann wäre die Situation gar nicht so eskaliert, den auch die Trainer war völlig überfordert.

    2. Der modere Fünfkampf hat eigene Regel, und hält sich nicht an die Vorgaben des internationalen Reiterverbandes FEI. Bsp. wer bei einem FEI Turnier herunterfällt ist automatisch ausgeschieden, bei dem Modernen Fünfkampf darf er wieder aufsteigen und weiterleiten. Genau das provoziert solche Vorfälle, wenn jemand im Parcour stürzt, dann ist es doch offensichtlich dass der Reiter oder das Pferd überfordert mit dem Parcour sind. Dann dürfen die bei der FEI aus Sicherheitsgründen auch nicht weiterleiten. Ebenso ist nach zwei Verweigerungen Schluss im modernen Fünfkampf darf das Pferd fünfmal verweigern. Wozu? Reicht den nicht zweimal aus, dass jeder merkt das Pferd will unter dem Reiter den Parcour nicht beenden! Warum passt der Verband des Modernen Fünfkampf noch nicht einmal seine Regeln den Regel des Weltverbandes der Reiter an. Bei der FEI gelten die Regeln für alle Springreiter ob Amateur oder Profi und das sogar mit den eigenen Pferden.

    Ich sehe die Schuld beim Verband , der lieber Funktionäre mitschickt, statt Reitrainer und der denkt das Stürze und Verweigerungen dem Zuschauer mehr Aktion bieten ………..als das Wohl der Reiter und Pferde im Auge zu haben

  • Die Hauptschuld trifft den Verband des Modernen Fünfkampfes.

    1. Wie kann man eine Entscheidung treffen keinen Reittrainer zu Olympia mitzuschicken. Dann wäre die Situation gar nicht so eskaliert, den auch die Trainer war völlig überfordert.

    2. Der modere Fünfkampf hat eigene Regel, und hält sich nicht an die Vorgaben des internationalen Reiterverbandes FEI. Bsp. wer bei einem FEI Turnier herunterfällt ist automatisch ausgeschieden, bei dem Modernen Fünfkampf darf er wieder aufsteigen und weiterleiten. Genau das provoziert solche Vorfälle, wenn jemand im Parcour stürzt, dann ist es doch offensichtlich dass der Reiter oder das Pferd überfordert mit dem Parcour sind. Dann dürfen die bei der FEI aus Sicherheitsgründen auch nicht weiterleiten. Ebenso ist nach zwei Verweigerungen Schluss im modernen Fünfkampf darf das Pferd fünfmal verweigern. Wozu? Reicht den nicht zweimal aus, dass jeder merkt das Pferd will unter dem Reiter den Parcour nicht beenden! Warum passt der Verband des Modernen Fünfkampf noch nicht einmal seine Regeln den Regel des Weltverbandes der Reiter an. Bei der FEI gelten die Regeln für alle Springreiter ob Amateur oder Profi und das sogar mit den eigenen Pferden.

    Ich sehe die Schuld beim Verband , der lieber Funktionäre mitschickt, statt Reitrainer und der denkt das Stürze und Verweigerungen dem Zuschauer mehr Aktion bieten ………..als das Wohl der Reiter und Pferde im Auge zu haben

  • Danke, Frau Schwermer, für diesen notwenigen Artikel.

    Weltweit gibt es nur wenige Ideologien oder Religionen, die das Wesen von Tiere würdigen ohne sie zu vermenschlichen.

    Der Buddhismus z. B. nennt Menschen wie Tiere "fühlende Wesen".

    Buddha: "Die Wesen mögen alle glücklich leben, und keines möge ein Unheil treffen! Möge unser ganzes Leben Hilfe sein an anderen. Ein jedes Wesen scheuet Qual, und jedem ist sein Leben lieb. Erkenne dich selbst in jedem Sein, und quäle nicht und töte nicht."

    Für mich liegt die besondere Betonung auf "Erkenne dich selbst in jedem Sein". Vielen Menschen gelingt dies spontan.

    Die meisten sind weit davon entfernt, deswegen geht diese elende Tierquälerei weiter und weiter.

    Vielleicht geht es bei Tierethik weniger um Philosophie sondern um die Sprache des Herzens.

    Besser noch um deren Verbindung.

    "Fühlende Wesen" drückt das sehr gut aus.

    "Fühlende Wesen" tötet man nicht. Man begegnet ihnen in Freundschaft.

    Das, Frau Schwermer, kommt in Ihrem Artikel gut rüber.

    Mir gefiel u. a. der Satz:



    "Und wenn sich herausstellen sollte, dass dem Pferd nichts am Reiten Spaß macht, dann muss man halt runter vom Gaul".

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