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Theater in Zeiten von Corona„Wir heulen“

Ein abgesagtes internationales Festival und eine Premiere in der Schaubühne in Berlin: Ein trauriger Rahmen um ein trauriges Stück Dystopie.

Zurück zur Natur, wörtlich genommen. Szene aus „Die Affen“ mit Robert Bayer, Genija Rykova Foto: Arno Declai

Manchmal erinnert das Theater an einen müden Fernsehabend. Das ist kein gutes Zeichen. Erst eine deprimierende Doku über die Zerstörung der Erde, dann eine alte Science-Fiction-Serie, in der eine karriereorientierte Wissenschaftlerin andere Leben opfert, um Wissen über zukünftig zu besiedelnde Planeten zu erwerben, schließlich, als Trostpflaster, der Tierfilm: Wir beobachten eine kleine Gruppe Menschenaffen, in der die beiden männlichen Mitglieder einen tödlichen Kampf um die Führung ausfechten.

Die Traurigkeit, die über dem Theaterabend „Die Affen“ in der Schaubühne lag, war aber schon da, bevor die Inszenierung von Marius von Mayenburg überhaupt begann. Von Mayenburg ist der Schaubühne als Autor und Regisseur seit vielen Jahren verbunden, oft mit Stücken, die gewitzt aktuelle Themen in absurden Szenen verarbeiten. Diesmal sollte sein neues Stück „Die Affen“ das Festival Internationaler Neuer Dramatik (FIND) am Mittwoch eröffnen, mit neun internationalen Gastspielen, darunter von Kirill Se­re­bren­nikov, Angélica Liddell, Édouard Louis, Toshiki Okada.

Aber den „Vorgaben der Kulturverwaltung zum Umgang mit dem Coronavirus folgend, können wir es in der jetzigen Situation nicht verantworten, die Gefährdungslage zu ignorieren“, informiert das Theater in seiner Presseerklärung zu Absage des Festivals am Mittwoch.

„Mit dem Ziel, die dynamische Verbreitung des Corona-Virus zu hemmen, habe ich entschieden, dass in den staatlichen Theatern, Opern und Konzerthäusern die geplanten Veranstaltungen in den Großen Sälen ab morgen, dem 11. März, vorerst bis zum Ende der Osterferien, also bis zum 19. April 2020, nicht mehr stattfinden. Ich empfehle auch den großen Privattheatern so zu verfahren“, hatte der Berliner Kultursenator Klaus Lederer am 10. März verfügt. Bei Sälen bis 500 Teilnehmern obliegt die Risikobewertung dem Veranstalter selbst. Die Säle der Schaubühne umfassen zwar weniger als 500 Plätze, aber, da FIND auf mehreren Bühnen parallel gespielt werden würde, kämen schnell 1.000 Leute und mehr zusammen.

Die Dramaturgen, die monatelang an der Vorbereitung gearbeitet haben, sind ebenso traurig wie die Künstler

Am Dienstag, am Tag der Entscheidung, so erzählte der Intendant der Schaubühne, Thomas Ostermeier, im Radio Eins, bauten die russischen Mitarbeiter von Serebrennikov schon dessen Bühnenbild auf. Die Dramaturgen, die monatelang an der Vorbereitung gearbeitet haben, sind ebenso traurig wie die Künstler. Dem Theater entgehen mit der Absage natürlich auch Einnahmen. Wie sie die Künstler und deren Reisekosten, die kaum noch umsonst storniert werden können, jetzt bezahlen, dafür muss eine Regelung erst gefunden werden. „Wir heulen“, sagte Ostermeier.

Also viele Gründe für verhaltene Stimmung bei der Premiere von „Affen“ im Saal C mit 270 Plätzen, die stattfand. Ebenso werden die Repertoirestücke in den kleineren Spielstätten weitergehen. So verfahren auch andere Theater, großer Saal geschlossen, Programm in den Nebenspielstätten geht weiter, im Deutschen Theater und im Gorki. Man tauscht sich aus im Foyer. Im Berliner Ensemble, da spielt man auch im großen Haus weiter, schließen aber die Ränge. Den Trick finden manche unsolidarisch.

So lief das größere Drama um einen Virus und den Schutz vor ihm an diesem Abend vor der Tür. Eine vermüllte Erdkugel hing dann über der Bühne, darunter saß ein trauriger Mann.

Zerstörte Welt

Es war der Schauspieler Robert Beyer, der an diesem Abend erst einen Ehemann spielt, der mit seiner Frau (Jenny König) zunächst nicht mehr redet, dann ihr gegenüber eine wütende Rede hält, über die Unvernunft des Menschen, der seine Umwelt zerstört. Eine weitere Frau (Genji Rykova) und ein weiterer Mann (Mark Waschke) mischen sich ein, streiten sich um die beste Strategie, in einem Nationalpark im Kongo nach Öl zu bohren und die Politik auf ihre Seite zu bringen. Sie überbieten sich in zynischen Tricks. Und man weiß, dass alle diese Verbrechen schon verübt wurden.

Das hält man nicht aus. Das hält auch der ältere Mann nicht aus, und – „gehe zurück, wenn der Weg nach vorn versperrt ist“ – beginnt die Mutation in einen Affen, mit dem dann noch so dies und jenes veranstaltet wird.

Verklärung Vergangenheit

Es war viel Text, den die Schauspieler raushauen mussten, angestrengt redend. Die Energie, den Redeschwällen zu folgen, verliert sich bald, der Regisseur von Mayenburg scheint ermattet in die Knie gesunken vor dem Autor von Mayenburg.

Man kann sich durchaus vorstellen, was zu dem Text geführt hat. Denn die Frage, ob es überhaupt noch einen Weg zu einem vernünftigen Haushalten mit den Ressourcen der Erde gibt, führt ja auch zu Überlegungen, wie weit ein Zurück zu Lebensformen, die noch nicht vom Raubbau geprägt waren, möglich ist. Dass dabei ein schöngefärbtes Bild der Vergangenheit mitschwingt, im Retro romantische Verklärung liegt, der Text parodiert es in gewisser Weise, indem es gleich zurück bis zu den Menschenaffen geht. Dass auch die nicht nur friedlich miteinander waren, erzählt das letzte, lange, textfreie Bild von der Affenhorde.

Der ein oder andere Satz über die Vernunft des Menschen, auf die er sich so viel einbildet und die dann doch vor allem zur Zerstörung geführt hat, bringt allgegenwärtige Reflexionen gut auf den Punkt. Aber irgendwie bleibt vor allem das Theater selbst auf der Strecke, wie eine Aufgabe, die es zu bewältigen gilt, ohne Spaß, ohne Spannung, ohne doppelten Boden.

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