Teure TOEFL-Tests: Blechen für den Englischnachweis
Tausende Studierende absolvieren jedes Jahr den Englisch-Sprachtest TOEFL. Die „gemeinnützige“ Organisation dahinter macht damit Millionengewinne.
Seit mehreren Monaten hat sich der 28-jährige Student auf den „Test of English as a Foreign Language“ (TOEFL) vorbereitet: ein Englisch-Sprachtest, der von der US-amerikanischen Bildungseinrichtung „Educational Testing Service“ (ETS) entwickelt wurde und nach eigenen Angaben in mehr als 160 Ländern anerkannt wird.
Sprachtests sind mittlerweile Zulassungsvoraussetzung für die meisten nichtdeutschsprachigen Studiengänge, für Auslandssemester und Auslandspraktika. Wer als Student:in etwas von der Welt sehen möchte oder in Deutschland in einer anderen Sprache studieren will, kommt um sie nicht herum.
Raphael beweist seine Sprachkenntnisse für den englischsprachigen Masterstudiengang „Kognitive Systeme: Sprache, Lernen und logisches Denken“ an der Universität Potsdam. Um zugelassen zu werden, benötigen Bewerber:innen 95 von 120 Punkten. Er besteht auf den Punkt genau.
Das Zertifikat ist nur für drei Bewerbungen gültig
Raphael zahlte insgesamt 305 US-Dollar für den TOEFL. 265 Dollar gingen für die Prüfungsgebühr drauf und 40 Dollar für die „verspätete Anmeldung“. Das sind umgerechnet fast 290 Euro. Für ihn und viele andere Studierende ist das eine Menge Geld. Laut der Sozialerhebung des Studierendenwerks leben mehr als ein Drittel der Studierenden in Deutschland von weniger als 800 Euro im Monat. Trotzdem hat sich der Preis des Tests im Laufe der Jahre immer weiter erhöht. Zudem ist das Zertifikat nur zwei Jahre gültig und Studierende, die sich an mehr als drei Universitäten bewerben, müssen für jede weitere Institution zusätzliche 20 Dollar zahlen.
Der Testanbieter ETS ist in den USA als gemeinnützige Organisation registriert, weil er nach Einschätzung der US-Bundessteuerbehörde einem sozialen Zweck dient und einen öffentlichen Nutzen erbringt. ETS muss deshalb keine Steuern zahlen. Gleichzeitig macht die Organisation seit Jahren Millionengewinne und zahlte ihrem Präsidenten Walter MacDonald 2021 ein Jahresgehalt von 1,3 Millionen Dollar. Wie entstehen die hohen Gebühren für die Sprachzertifikate und wie rechtfertigt ETS sie?
Theoretisch hätte Raphael sich nicht für den TOEFL entscheiden müssen. Die Zulassungsordnung der Uni Potsdam sieht vor, dass er einen von vier verschiedenen Sprachnachweisen vorlegen kann. Raphael hatte die Wahl zwischen den international anerkannten Sprachtests TOEFL, „International English Language Testing System“ (IELTS), „Cambridge Advanced Certificate of English“ (CAE) und dem „UNIcert“-Zertifikat.
TOEFL und IELTS sind die bekanntesten Sprachtests und kosten jeweils mehr als 200 Euro. Die Kosten für das CAE hängen vom Sprachniveau und vom Prüfungszentrum ab. Raphael hätte 265 Euro zahlen müssen. Das UNIcert-Zertifikat ist die günstigste Option. Es kostet bis zu 40 Euro, je nach Universität, und kann an den Sprachenzentren der Hochschulen erworben werden.
Viele Studierende haben keine andere Wahl
Allerdings bieten nicht alle Sprachenzentren an Hochschulen UNIcert an. An der Technischen Universität Berlin etwa, an der Raphael zuvor studiert hatte, gibt es den Test nicht. An der Uni Potsdam wiederum kann Raphael den Test nicht ablegen, obwohl er sich dort für einen Studiengang bewirbt, weil Studierende ein UNIcert-Zertifikat nur an der Hochschule erhalten können, an der sie eingeschrieben sind oder waren.
Der TOEFL hingegen ist in Deutschland gut zugänglich. In vielen größeren Städten gibt es ein Sprachenzentrum, das die Prüfung durchführt. Seit der Pandemie besteht zusätzlich die Möglichkeit, den TOEFL von zu Hause aus zu machen.
Deshalb ist Raphael bei weitem nicht der einzige Studierende, der den TOEFL ablegt. Nach Angaben von ETS haben bereits mehr als 35 Millionen Menschen weltweit allein den sogenannten internet-based TOEFL-Test (TOEFL iBT) abgeschlossen – und der ist nur einer von mehreren Sprachtests, die die Organisation anbietet. Das macht ETS zu einem der größten Anbieter in der Branche. Die taz hat bei der Organisation nachgefragt, wie viele Tests in Deutschland absolviert werden und keine Antwort erhalten.
Laut dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gibt es in Deutschland mehr als 300 englischsprachige Bachelor-Studiengänge und rund 1.700 englischsprachige Master-Studiengänge. Die jeweiligen Zulassungsvoraussetzungen werden von den Hochschulen selbst festgelegt; in den meisten Fällen ist ein Nachweis englischer Sprachkenntnisse notwendig.
Es gibt keine bundesweite Auflistung, welche Sprachzertifikate in welchem Studiengang akzeptiert werden, da niemand regelmäßig die Zulassungsvoraussetzungen der einzelnen Studiengänge überprüft. Der DAAD hat aber auf Anfrage mitgeteilt, dass TOEFL und IELTS fast überall akzeptiert werden. Es ist also wahrscheinlich, dass viele tausend Studierende jedes Jahr den TOEFL in Deutschland ablegen.
Mehr als eine Milliarde Dollar Gewinn in 10 Jahren
Aus den öffentlich zugänglichen Finanzberichten von ETS geht hervor, dass die gemeinnützige Organisation im Jahr 2021 einen Gewinn in Höhe von rund 47,6 Millionen US-Dollar erzielt hat. Insgesamt hat ETS seit 2011 mehr als eine Milliarde Dollar Gewinn gemacht, den Großteil davon im Jahr 2018: Die Organisation erwirtschaftete fast 800 Millionen Euro, indem sie Vermögenswerte verkaufte.
Ansonsten erzielt ETS den größten Teil der Einnahmen mit den sogenannten program-services, die auch die Tests umfassen. Lediglich im Pandemiejahr 2020 gab es Verluste, deren Ausmaß vermutlich durch die Umstellung von Testzentren auf Home-Tests abgefedert wurde.
Die hohen Preise der Tests sind also nicht darauf zurückzuführen, dass die Organisation schlecht wirtschaftet und das mit erhöhten Einnahmen ausgleichen muss. Auf die Nachfrage der taz, wie der Preis von 265 Dollar in Deutschland zustande kommt, hat die Organisation nicht geantwortet. Liegt es vielleicht am Test selbst, dass die Kosten so hoch sind? Schließlich müssen die Tests ausgewertet und regelmäßig neu entwickelt werden.
Darauf gibt es keine klare Antwort. Die Abschnitte Hören und Lesen sind als Multiple-Choice-Fragen konzipiert, die Auswertung erfolgt automatisiert und die Teilnehmer:innen erhalten ihre Ergebnisse unmittelbar nach Abschluss des Tests. Die Abschnitte Schreiben und Sprechen werden laut ETS von Menschen mit Hilfe von Algorithmen ausgewertet. Wie hoch der Aufwand für ETS ist, neue Fragen und Texte zu entwerfen, ist schwer zu beurteilen. Seit 2011 machen die Kosten für Management und Personal knapp unter 30 Prozent der Gesamtausgaben aus.
40 Dollar erhält ein Sprachenzentrum pro Kandidat:in
Bleiben also noch die Sprachenzentren. Sie stellen Räume, Computer und geschultes Aufsichtspersonal zur Verfügung. Auch wenn der Test von zu Hause aus durchgeführt wird, ist eine Aufsichtsperson die ganze Zeit virtuell anwesend.
Die taz stand in Kontakt mit einem Sprachenzentrum in Westdeutschland, das den TOEFL anbietet. Es erhält pro Kandidat etwas weniger als 40 Dollar. Das sind lediglich knapp 15 Prozent der 265 Dollar, die die Prüfungsteilnehmer:innen an ETS zahlen.
Von diesem Geld bezahlt das Sprachenzentrum nach eigenen Angaben das Betriebssystem, das regelmäßig aktualisiert werden muss, die Computer sowie Strom, Heizung, Verwaltung, Steuern und eine Aufsichtsperson. „Nur einmal in 15 Jahren haben wir von ETS einen Zuschuss für die anfallenden Hardwarekosten erhalten“, berichtet eine Aufsichtsperson, die wegen möglicher Konsequenzen anonym bleiben möchte.
Bis 2020 wurde das Sprachenzentrum noch pauschal vergütet. Insgesamt erhielt es rund 450 Dollar pro Prüfung. So blieb die Einrichtung nicht auf den Kosten sitzen, wenn Kandidat:innen kurzfristig absagen. Mit der neuen Regelung drohe nun bei Absagen ein Verlustgeschäft, sagt die Aufsichtsperson. Mehrere Zentren, auch das aus Westdeutschland, betonen jedoch, dass ETS grundsätzlich ein verlässlicher Geschäftspartner sei.
Letztendlich bezahlen Studierende mit knapper Kasse viel Geld für ein Sprachzertifikat, weil sie keine andere Möglichkeit haben. Wie könnte man das ändern? Ruth Tobias, Leiterin des Sprachenzentrums der Freien Universität Berlin, erklärt das Problem aus Sicht der Universität: Da sich nicht nur Menschen, die bereits in Deutschland leben, sondern Interessierte aus aller Welt auf Studiengänge in Deutschland bewerben, sind international verfügbare, einheitliche Sprachzertifikate erforderlich.
Ruth Tobias findet allerdings, dass diese im Englischen zu teuer sind. Beispiele für andere Sprachen zeigen, dass es besser geht. So sind Sprachzertifikate für Spanisch oder Portugiesisch oft ein Leben lang gültig und wesentlich günstiger. Gemeinnützige Bildungseinrichtungen wie ETS haben es also selbst in der Hand.
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