Terrorvorwurf aus Israel: „EU-Attacken sind Ablenkmanöver“
Israel beschuldigt die EU, Terror zu finanzieren. Israels Ex-Botschafter Ilan Baruch sieht darin eine Strategie, den Blick auf andere zentrale Themen zu verstellen.
taz: Herr Baruch, die israelische Regierung beschuldigt die EU in einem jüngst veröffentlichten Bericht, palästinensische Terrorgruppen zu finanzieren. Was hat es damit auf sich?
Ilan Baruch: Dieses „Money Trail“-Dossier ist eine oberflächliche Internet-Recherche. Einzelne Personen wurden vor Jahren mit Organisationen in Verbindung gebracht, die die israelische Regierung für terroristisch erklärt hatte – das ist nun die schüttere Basis dieses Dossiers für die Behauptung, dass die EU Terror finanziere. Es enthält keinen Nachweis, dass die EU Terroristen unterstützt.
Neben der Förderung von Terrorismus soll die EU auch BDS unterstützen, die Boykottbewegung gegen Israel. Ist das auch falsch?
Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der Europäischen Union, hat schon zu dem ersten „Money Trail“-Dossier (vom Mai 2018, d. Red.) das Nötige gesagt. Nämlich: Die EU unterstützt BDS nicht, aber sie setzt Organisationen, die BDS unterstützen, auch nicht auf eine schwarze Liste und sperrt jede Unterstützung für sie.
Wie stehen Sie zu BDS?
Ich unterstütze BDS nicht, im Gegenteil: Ich widerspreche energisch dem Ziel, Israel zu isolieren. Aber ich bin der Meinung, dass, wer BDS unterstützt, dies tun können sollte, ohne sanktioniert zu werden. Wir brauchen mehr Differenzierung in der europäischen Außenpolitik. Europa sollte konsequent zwischen Israel innerhalb der Grenzen von 1967 und den Siedlungen in der Westbank und Ost-Jerusalem unterscheiden.
69, war Botschafter Israels, zuletzt in Südafrika. In den neunziger Jahren war er an den Oslo-Verhandlungen zwischen Israel und der PLO beteiligt. 2011 trat er aus Protest gegen die Netanjahu-Regierung vom diplomatischen Dienst zurück. „Netanjahu bringt die israelische Demokratie an den Rand des Abgrunds, schrieb er zur Begründung. Heute ist Baruch Vorsitzender der Policy Working Group (PWG), die 2018 einen Bericht über zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume in Israel erstellte.
Die „Money-Trail“-Berichte kommen direkt von der Regierung: aus dem Ministerium für Strategische Angelegenheiten. Sie sind reine Propaganda?
Weitgehend ja. Es ist Hochstapelei, ein Ablenkmanöver. Die Vorwürfe gegen die EU und BDS sollen jede Kritik an dem Besatzungsregime disqualifizieren und als antisemitisch brandmarken. Die Regierung von Benjamin Netanjahu versucht mit den rhetorischen Attacken auf die EU die wirklich zentralen Themen von der Agenda zu wischen.
Nämlich?
Dass es einen palästinensischen Staat nur geben wird, wenn Israel die Siedlungen in der Westbank räumt. Das wird teuer, denn Israel hat viel in die Siedlungen investiert. Die Siedlungen zu räumen wird schmerzhaft. Ein anderes Thema, das verdrängt werden soll, ist: In der Westbank herrscht eine Form von Apartheid.
Das ist in Bezug auf Israel und Palästina ein sehr umstrittener Begriff. Warum benutzen Sie ihn?
Die Justiz in Israel hat kürzlich einem Siedler Recht gegeben, der Boden beanspruchte, weil er vor 1948 in jüdischem Besitz war. Er bekam Recht, obwohl dort seit 70 Jahren Palästinenser lebten. Es ist unvorstellbar, dass ein Palästinenser jemals solche Rechte geltend machen könnte. Das ist Apartheid. Ich weiß dafür kein anderes Wort. In Israel selbst existiert noch so viel Gleichheit zwischen den Ethnien, dass wir den Begriff Apartheid dort zurückweisen sollten. In der Westbank existieren aber mannigfache Beispiele, die an Südafrika erinnern. Es gibt Straßen, die nur Siedler benutzen dürfen. Für die Sicherheit, heißt es zur Begründung. Aber auch in Südafrika war Sicherheit für die Weißen ein Grund für die scharfe Trennung.
Apartheid ist nicht nur eine historische Erfahrung, sondern auch ein völkerrechtlich definierter Straftatbestand. Welche Kriterien des Apartheid-Begriffs sehen Sie in der Westbank wirklich erfüllt?
Es gibt im Westjordanland zwei Rechtssysteme. Die jüdischen Siedler haben volle staatsbürgerliche Rechte. Die Palästinenser hingegen können nur eine Regierung wählen, die höchstens teilautonom ist und unter Kontrolle Israels steht. Im früheren Südafrika waren die Weißen die privilegierte Minderheit, die Farbigen die diskriminierte Mehrheit. Die Ähnlichkeit zur Westbank ist unübersehbar und schmerzhaft.
Sie waren bis 2011 Botschafter Israels in Südafrika. Dann haben Sie den Dienst quittiert. Warum?
Weil unabweisbar klar war, dass die Regierung von Netanjahu und Avigdor Lieberman keine Zweistaatenlösung wollte. Prinzipiell nicht. Es macht einen großen Unterschied, ob Ungerechtigkeiten, wie sie in den besetzten Gebieten existieren, zeitlich begrenzt sind oder nicht. Nach Jahrzehnten konstanter Verletzung von Menschenrechten in den besetzten Gebieten diesen Zustand nun auf Dauer zu betonieren ist nicht akzeptabel. Wir müssten dann nicht mehr von Besatzung, sondern von Annexion reden. Die militärische Gewalt ist zur dauerhaften Notwendigkeit geworden, um diese Ungerechtigkeit aufrechtzuerhalten. Der Ausweg aus dieser Lage ist nach wie vor die Zweistaatenlösung.
Die gilt als kaum noch realisierbar. Glauben Sie wirklich noch daran?
Ja, und zwar unabhängig davon, wie politisch wahrscheinlich sie momentan erscheint. Wir haben die moralische Verpflichtung, an ihr festzuhalten.
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