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Terror in Zeiten von CoronaSchleich di, du Oaschloch!

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Viel besser als mit dieser Wendung kann man den unverwüstlich-sturen Geist von Wien schwerlich einfangen. Terror UND Corona – es ist alles zu viel.

Polizisten beim Anti-Terroreinsatz in Wien am Abend des 2. November Foto: Roland Schlager/APA/dpa

F ür einen Novemberabend war es am Montag in Wien absurd warm mit knapp unter zwanzig Grad. Zugleich waren es die allerletzten Stunden vor dem neuerlichen Lockdown, der um Mitternacht beginnen sollte. Tausende nutzten die letzten Stunden noch einmal, um in den Gastgärten ein paar Gläser zu trinken, bevor man sich wieder in wochenlange Isolation begeben muss. Das allein hatte schon die Anmutung eines „letzten Walzers“ – vor allem angesichts der explosionsartigen Zunahme der Infektionen in Österreich.

Währenddessen machte sich ein Attentäter – ein 20-jähriger, in Wien geborener Anhänger des „Islamischen Staats“ mit österreichisch-mazedonischer Staatsbürgerschaft – bereit: mit automatischer Waffe, Unmengen an Munition, einer Sprengstoffgürtel-Attrappe. Auf Feiernde wurde geschossen, auf Passanten, auf junge Leute, die vor den Kneipen eine Zigarette rauchten. Die Innenstadt als Kriegs- und Sperrzone. Aus den anderen Gegenden der Stadt versuchten alle so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Verlassen Sie Ihre Wohnungen nicht, so der unmissverständliche Aufruf des Innenministers.

Diese groteske Kombination von Corona und Terror ist auch eine Metapher auf unsere Zeit. Das Virus, der Terror – schon eines würde reichen, eine Gesellschaft und urbane Gemeinschaft einem immensen Stresstest auszusetzen. Das eine verstärkt das andere: das Grundgefühl, dass der urbane Raum, dass „da draußen“ ein gefährlicher Ort ist. Und es addiert sich zu einem Gefühl der Überforderung.

Terror und die dschihadistische Kriegserklärung gegen eine heterogene Gesellschaft der Freiheit erregen den spontanen, emotionalen Wunsch, gemeinsam aufzustehen, ein massives Zeichen zu setzen, sich aber damit als Gesellschaft auch wechselseitig psychisch zu stützen. In Zeiten der Ansteckung wird es das aber nicht geben können. Wie schrieb eine Wiener Journalistin auf Twitter? „Zusammenstehen nach Terroranschlag – isolieren wegen Lockdown. Es ist alles zu viel.“

Schöne Momente in alldem? Gab es auch. Zwei austrotürkische Jungs stürmten in Todesverachtung im Kugelhagel in die Gefahrenzone, um einen schwer verletzten angeschossenen Polizisten zu bergen. Ein Passant rief dem Attentäter im breitesten Wienerisch nach: „Oaschloch“ oder „Schleich di, du Oaschloch“ („Hau ab, du Arschloch“). Ganz genau ist das im Video nicht zu hören, wird aber längst – ob völlig akkurat oder nicht – zur Parole des Tages in den sozialen Netzwerken. Viel besser kann man den unverwüstlich-sturen Geist von Wien schwerlich einfangen.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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13 Kommentare

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  • Nicht nur ein Anrainer, sondern auch ein Polizist hat während des Einsatzes den Terroristen als "A....loch" bezeichnet, als man nämlich nicht wusste, wohin man die Verletzten in Sicherheit bringen sollte, weil unklar war, wo der Attentäter sich aufhielt.

    m.oe24.at/oesterre...rletzten/452766807

    • @Doris Minatelli:

      Nun halb so löblich, schliesslich die Aufgabe des Polizisten. Dieser hing sowieso mittendrin. Und macht nur seinem Unmut Luft, den Täter (weitere..?) nicht zu fassen zu bekommen.

      • @BlackHeroe:

        Ich finde es nicht löblich, eher typisch für die Wiener/österreichische Mentalität. (Bin selbst Österreicherin)

        • @Doris Minatelli:

          Nun ohne das jetzt allgemein ver-vorurteilen zu wollen: Aber wie hätte denn die "deutsche Mentalitaet" reagiert ?



          Wahrscheinlich alle Türen und Fenster festverschlossen, auf notfälliges klingeln wäre keiner zu Hause. Dazu wären noch Augen (bin selbst Hesse) und Ohren fest verschlossen und insbesondere die "Pappen" gehalten worden.

  • Ich wiederhole mich ja nur ungern, aber:



    "Schleich di, du Oaschloch".

    Keine Duldung von vorverurteilenden Beleidigungen & Hetze, die schon immer der Wegbereiter für Faschisten und singuläre Gewalt jedweder Coleur waren und leider auch heute noch sind. Wo versucht wird eine Mauer aus Ignoranz zu bauen, haben wir alle die Verpflichtung dieser entgegenzutreten.

    Wie kann man denn mit auch nur ein bissl Restverstand, eine Akzeptanz pauschalisieren und vorwegnehmen, wie nicht sehen wollen, das sich auch Menschen verschiedener Ansichten und Herkunft teils unter Lebensgefahr einsetzen, wer wagt es bloss eine Schuldzuweisung an die Opfer herbeizurufen ?

  • 9G
    91751 (Profil gelöscht)

    Entsetzlich, was zurzeit wieder losgetreten wurde. Und unglaublich, was man in den heutigen Leserbriefen dazu finden kann: Da werden schräge Vergleiche mit Feuerwerkskörpern gezogen oder eine Herabwürdigung aller Muslime durch ein paar Karrikaturen herbeigeredet, am Ende sind Charlie Hebdo, Paty oder Macron Schuld.



    Krass, wenn ekelhafte Mörder auf so viel Verständniss treffen, als dürfte sich jeder "Grundsätze" wie [...] Mohammed ausdenken und jeden umbringen der es nicht so sieht.



    Wer bei diesen Anschlägen die Schuld ernsthaft bei den Opfer sucht hat meiner Meinung nach ein ernsthaftes Problem.

    Kommentar bearbeitet. Bitte beachten Sie die Netiquette.

  • Ob es wohl auch mitleids Bekennung und solidarität seitens der linken gibt? Wie bei jedem von rechten terror betroffenen opfern?



    Oder wird hier wieder bei Opfern hierachisiert?

  • "Schleich di, du Oaschloch"



    Plädiere dafür dies als neues geflügelte Wort zu etablieren. Dies ist als Antwort gut und klar zu verstehen.

  • ist das alles? Wer eine multikulturelle Gesellschaft möchte, der muss auch Antworten auf diese Fragen geben! Leider scheint die Akzeptanz dieser



    Taten weit über das öffentlich extremistische Milieu zu gehen.

  • Ich behaupte, der Autor ist nicht unparteiisch.



    :-)

  • Prima Beitrag!



    Erwähnenswert ist auch noch, dass die beiden Jungs, neben dem Polizisten, auch eine älterem Dame in Sicherheit gebracht haben.

    • @Günter:

      Das waren aber nicht die Einzigen, die tatkräftig und unter Lebensgefahr bei der Sicherung von Passanten und Verletzten teilgenommen haben.

      • @Doris Minatelli:

        Ja, Gott segne alle diese Menschen!