Terror-Ermittlungen in Norddeutschland: Kommando Heimatschutz
Reservisten wollen im Ernstfall das Land verteidigen. Aber was, wenn sie eine ganz eigene Idee davon haben, vor wem?
Es dämmert bereits, als Horst S. an einem kalten Herbstabend auf den Parkplatz des Bundeskriminalamts in Berlin einbiegt. Er parkt seinen schwarzen Volkswagen, steigt aus, holt eine Jacke aus dem Kofferraum. Unter seinem Nummernschild steht ein Zitat der Band Rammstein: „Manche führen, manche folgen“. S. geht mit forschen Schritten auf das Wachhäuschen zu. Er will die Sache endlich erledigen. „Guten Tag“, sagt er zum Pförtner. „Ich bin hier, um meine Asservate abzuholen.“
Horst S. lebt in Krakow am See, einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern. Er wohnt dort in einem roten Backsteinhaus, mit seiner Frau und einem Kater. Sechs Wochen vor diesem Herbstabend hatten Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) in dem Haus eine Razzia durchgeführt. Sie hatten Beweise gesucht – dafür, dass Horst S. mehr weiß, als er zugibt, über eine Gruppe, die schwere Anschläge geplant haben soll. Auf linke Projekte, Politiker, Aktivisten.
An dem Herbstabend in Berlin bringt ein BKA-Mitarbeiter ein Paket. Darin liegen zwei Festplatten, zwei USB-Sticks, ein Laptop. „Basierend auf den Absprachen mit Ihnen“, sagt er.
„Na ja“, antwortet S. „Absprachen.“
„Den Karton dürfen Sie gern behalten“, sagt der BKA-Mann. Dann kann Horst S. mit seinen Sachen gehen.
Horst S. gilt in den Ermittlungen nur als Zeuge, nicht als Beschuldigter. Es ist ein schwerwiegender Verdacht, den der Generalbundesanwalt am 28. August bekannt macht. An diesem Tag schickt er bewaffnete BKA-Einheiten nach Mecklenburg-Vorpommern, die Wohn- und Geschäftsräume von sechs Personen durchsuchen. Sie setzen Blendgranaten und Sprengstoffspürhunde ein.
Die Ermittler finden bei einem Anwalt mehrere Ordner mit Personendaten von mehr als 5.000 Menschen. Darunter über hundert Namen, Adressen und Fotos von Politikern, überwiegend aus dem linken Spektrum.
Verdacht der Ermittler
Der Vorwurf: In Chatgruppen sollen sich Männer darüber ausgetauscht haben, dass der Krisenfall eine Chance berge – dann könne man die Macht übernehmen, linke Politiker gefangen nehmen oder gleich töten. Im Juristendeutsch: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.
Die Beschuldigten sind ein Rechtsanwalt und ein Kriminalpolizist. Zu dem Netzwerk zählen zudem ein Malermeister, ein weiterer Polizist, ein Versicherungsvertreter und der Kommandant einer Reservisten-Kompanie. Das ist Horst S. Bei den Ermittlungen gelten diese Vier als Zeugen.
Die sechs Männer in Mecklenburg verbindet eine Idee. Es kann Krisen geben, denken sie, in denen der Staat seine Bürger nicht mehr versorgen kann. Schwere Stürme oder Stromausfälle. Oder Invasionen. Dafür trainieren sie. Man nennt solche Menschen Prepper. Abgeleitet ist der Begriff vom Englischen to be prepared, auf Deutsch: bereit sein. Anfang Dezember haben die Innenminister der Länder und des Bundes entschieden: Sie wollen mehr über Prepper wissen. Ist das eine Szene? Gibt es in ihr Radikalisierungstendenzen, vielleicht sogar Extremisten? Ähnlich wie bei den Reichsbürgern? Die Verfassungsschutzämter sollen nachforschen.
Wann wird jemand zu einem gefährlichen Rechtsextremen?
Nur: Wenn solche Prepper gefährlich sind – warum ist dann auch vier Monate nach der großen Razzia in Mecklenburg bisher niemand festgenommen worden? Dahinter steht eine schwierige Frage: Wann wird jemand von einem gesetzestreuen Bürger mit einem etwas größeren Konservendosenvorrat zu einem gefährlichen Rechtsextremen mit Umsturzplänen?
Viele, um die es in dieser Recherche geht, wollen nicht sprechen. Andere haben Angst zu erzählen, was sie wissen. Deshalb finden wir Dokumente, die heimlich unter Tische fallen gelassen werden, und führen Gespräche, aus denen wir nicht zitieren dürfen. Wir sprechen mit Experten im Bundestag, Nachrichtendiensten, Ermittlern. Wir lernen Prepper kennen und eine Gruppe von Menschen, die den Staat nicht nur kritisiert, sondern ihm zutiefst misstraut. Was fünf der sechs Männer in der Chatgruppe verbindet: Sie sind Mitglieder im Reservistenverband, einer Gemeinschaft ehemaliger Soldaten.
Zum Beispiel Jan Hendrik H. Er ist der Rechtsanwalt, bei dem die Listen mit den Namen gefunden wurden. Er soll darüber fantasiert haben, Menschen zu töten, die ihm politisch nicht genehm sind. Er ist Beschuldigter.
Die Annäherung an Jan Hendrik H. beginnt im Bahnhofsviertel in Rostock. Hier reihen sich Villen in Rosé und Gelb aneinander. Arztpraxen, Versicherungsbüros und Kanzleien von Notaren und Anwälten residieren hier. Wenn H. aus dem Fenster seines Büros in einem Plattenbauhochhaus schaut, kann er die Villen sehen. Für die taz ist H. nicht zu sprechen. Auch nach mehrfachen telefonischen, schriftlichen und persönlichen Anfragen nicht.
Also treffen wir Personen, die ihn kennen. Freunde, Geschäftspartner, Menschen, mit denen er auf den Schießstand ging oder Politik machte. Sie erzählen Bruchstücke aus H.s Biografie. Zusammen ergeben sie die Geschichte einer Radikalisierung.
Geboren wird er 1971 in Eisenach, er macht eine Lehre auf dem Bau. Nach der Wende folgt das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, dann ein Jurastudium. 2009 tritt H. in die FDP ein, wird Landtagskandidat, 2014 dann Abgeordneter in der Rostocker Bürgerschaft, schließlich Vizevorsitzender der Fraktion, die den Oberbürgermeister stellt.
Eine Politikerin der Linkspartei nennt ihn stringent, streng im Haushalten, einer, der nicht mitkam, wenn andere noch ein Bier trinken gingen.
Er führt seine Gewehre in der Garage vor
Was viele über H. erzählen: Er ist einer, der gern Gäste einlädt – in seine Garage, die er umgebaut hat zu einem Ort zum Diskutieren. In dieser Garage trifft er auch einige der Männer, bei denen der Generalbundesanwalt ebenfalls die Wohnungen durchsuchen lässt. Nach der Razzia geht H. in die Offensive. Er ruft die Vorsitzenden der Fraktionen an, schreibt Briefe, bestreitet, dass es je eine „wie auch immer geartete Todesliste“ gegeben habe.
Diejenigen, die H. kennen, beschreiben, wie er sich nach und nach verändert hat. Immer häufiger streitet er sich mit seiner Partei. Er nennt sich Sympathisant der Pegida-Forderungen, schreibt von einer „gesinnungseinheitlichen“ Berichterstattung, die nur neurechte Medien durchbrächen. Als er dann noch in der Flüchtlingspolitik mit einem AfD-Politiker zusammenarbeiten will, berät der FDP-Kreisverband Rostock über ein Ausschlussverfahren. Dem kommt H. zuvor. Anfang 2016 tritt er aus der Partei aus.
Er beginnt, sich für Schießsport zu interessieren, wird Sportschütze und Jäger, legt sich ein halbautomatisches Gewehr und einen alten Karabiner zu. Bekannte, die ihn in seiner Garage besuchen, bekommen sie vorgeführt.
Es ist die Zeit einer großen Verunsicherung: Die Finanzkrise hat bei vielen den Glauben an die freien Märkte erschüttert, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz aktualisiert seine Katastrophenhinweise, an der EU-Ostgrenze demonstrieren Panzer die Stärke der Nato. Dazu die rasant gestiegene Zahl von Flüchtlingen im Jahr 2015.
Zu dieser Zeit gründet ein SEK-Beamter aus Westmecklenburg eine Chatgruppe für Prepper, in der über einen Messengerdienst namens Telegram verschlüsselt kommuniziert werden kann. Er gibt ihr den Namen „Nordkreuz“. Das Erkennungssymbol der Gruppe ist die Wirmer-Flagge; einst ein Symbol des Widerstands gegen Hitler, heute auf Pegida-Demonstrationen genutzt. Auch Rechtsanwalt H. tritt dieser Gruppe bei. Und er wird Mitglied im Reservistenverband. Wenn eines Tages die Katastrophe kommt, dann ist die Bundeswehr da oder auch nicht. Die Chatgruppe aber – das ist Heimatschutz konkret.
Der Politiker fantasiert darüber, einen Menschen zu essen
Den anderen Reservisten erzählt H., einer von wenigen hundert Kampfschwimmern der NVA gewesen zu sein, einer Eliteeinheit. Ein Sprecher des Ehemaligenvereins der Kampfschwimmer sagt, sie hätten den Namen Jan Hendrik H. noch nie gehört.
Über H. finden sich auch Kommentare in Chatprotokollen eines AfD-Politikers. Dieser ist Landtagsabgeordneter in Schwerin. Er hat die Fraktion seiner Partei im September verlassen, nachdem taz und NDR über Chatnachrichten berichtet hatten, in denen er sich die Exekution Linker ausmalte und darüber fantasierte, einen Menschen zu essen.
Über H. steht in eben jenen Chats des Landtagsabgeordneten: „Er hasst die Linken und hat einen gut gefüllten Waffenschrank.“ H. soll von „einer Menge Leute“ gesprochen haben, „die, wenn es wirklich auf eine Art rote Diktatur hinauslaufen sollte, zu allem entschlossen sind“.
Welche Rolle spielt der Reservistenverband bei der Herausbildung des Mecklenburger Netzwerks? Formal ist der Verband kaum etwas anderes als ein Handballklub, ein eingetragener Verein eben. Von der Bundeswehr ist er formal getrennt, aber der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern bekommt etwa auf dem Gelände der Kaserne in Schwerin zwei Büros und einen Raum für den Kopierer bereitgestellt. Und er darf auf den Truppenplätzen üben. Er soll auch helfen, die Reservistenkompanien zu bestücken.
Im Zuge der Bundeswehrreform von 2011 hatte sich das Verteidigungsministerium an eine alte Idee erinnert: Es hat Kompanien aus Reservisten eingerichtet, die das schrumpfende Heer im Ernstfall unterstützen sollen. Früher trugen solche Einsatztruppen den pathetischen Namen Heimatschutzbataillon, heute heißen sie sperrig „Regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanie“, kurz RSU. Sie sollen helfen, wenn Dämme brechen oder Hochwasser droht. Und sie sollen bereit sein, wenn ein Feind angreift.
Obwohl es diese Einheit in Mecklenburg-Vorpommern bereits seit 2013 gibt, sind nur zwei Drittel der 100 Planstellen besetzt. Dabei sind die Hürden nicht hoch: Wer in die RSU-Kompanie aufgenommen werden will, muss seine Eignung nachweisen und ein Führungszeugnis vorlegen.
Helge Stahn ist der Vorsitzende des Reservistenverbands in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Ehrenamt. Er wirkt wie ein Mann, der auch einem Handballverein vorstehen könnte. Aber Helge Stahn muss sich um andere Fragen kümmern: Darf ein Verband, der die Bundeswehr repräsentiert, auch nur die Anfänge extremer Ideen dulden?
Der Verband hat aber ein Problem: Anders als die Bundeswehr kann er keine Stuben nach Devotionalien durchsuchen. Die Reservisten sind in der Regel nicht kaserniert. Und der Verband darf den Militärischen Abschirmdienst (MAD), den Geheimdienst der Bundeswehr, nicht um Erkenntnisse bitten. Der ist für Reservisten nicht zuständig, solange sie Zivilisten sind und nicht von der Bundeswehr eingesetzt werden.
Horst S. zerstört sein Telefon im Schraubstock
Anhand von Schriftwechseln lässt sich rekonstruieren, wie Stahn seit Wochen Brief um Brief verschickt: Mitte September teilt sein Landesverband den betroffenen Männern mit, dass sie fortan nicht mehr am Schießsport teilnehmen dürfen. Dann, dass beschlossen wurde, die Trainingsstunden der Schießsportgruppe bis auf weiteres auszusetzen.
Und: Der Landesverband bittet die Waffenbehörden in Rostock und Bad Doberan, dem Rechtsanwalt Jan Hendrik H. und Horst S. die Erlaubnis zum Waffenbesitz zu entziehen. Helge Stahn möchte diese Männer vom Reservistenverband fernhalten. Männer wie Horst S. Der war früher mal im Vorstand des Landesverbands.
An einem Tag im Juni, zweieinhalb Monate vor der Razzia, geht Horst S. durch seinen Garten in Krakow am See. Vorbei an seinen Apfel-, Kirsch- und Mirabellenbäumen zu der Treppe, die in den Boden führt. Er nennt den Bau unter seinem Garten „einen Keller“, sein Elektriker sagt Bunker dazu. Horst S. steigt hinab. Er spannt sein Smartphone zwischen die Backen eines grünen Schraubstocks und dreht so lange zu, bis die Platine in winzige Splitter zerspringt. Jetzt sind alle Daten zerstört. So erzählt er die Szene später. Warum er das gemacht hat? Er brauchte halt ein neues Handy. Dass er da sein altes zerstöre, sei doch klar.
Es ist genau die Zeit, in der es brenzlig für S. wird. Sein General hat ihn zu einem Gespräch vorgeladen, Herren von MAD und Verfassungsschutz wollen ihn sprechen.
Zwei Monate, nachdem S. sein Handy zerstört hat, und etwa zwei Wochen vor seiner Hausdurchsuchung sitzt er in einem Gebäude der Polizei in Neubrandenburg, ein kleiner Raum, ein Tisch, Stühle und ein Computer, wird er sich später erinnern.
Beamte vom BKA haben ihn hierher gebeten, sie sind eigens angereist, um ihn zu befragen. Wie gut kennen Sie denn den Rechtsanwalt H. aus Rostock? Haben Sie schon mal von einer Todesliste gehört? Kennen Sie jemanden, der sie gesehen hat? Viele Stunden geht das so. Dann aber fragen die Männer vom BKA noch weiter: Was für Chatgruppen haben Sie auf Ihrem Telefon? Und was steht da drin? Horst S. kann antworten: nicht viel.
Sein Telefon ist schließlich neu.
Horst S. stimmt einem Treffen mit der taz in einer Hotellobby in Rostock zu. Es folgen zwei weitere Treffen, etliche Telefonate, E-Mails, SMS. Geduldig schildert er die Hausdurchsuchung, erzählt von Befragungen und darüber, was ihn im Reservistenverband antreibt. Und warum er den Rechtsanwalt H. nicht in seine Kompanie aufnehmen wollte. Jan Hendrik H. hatte sich bei einem Bekannten aus der Nordkreuz-Chatgruppe um Aufnahme in die Kompanie beworben. Im April war Horst S. zu ihrem Kommandeur befördert worden. Neue Anwärter möchte er persönlich überprüfen, deshalb fährt er zu dem Rechtsanwalt nach Rostock.
Geplanter Einsatz beim G20-Gipfel
Was dann passiert, schildert S. so: Er setzt sich mit H. in die Garage. Der Anwalt zeigt ihm seine Waffen. Dann beginnt er, über Politiker zu schimpfen, darüber, dass Steuern verschwendet würden, dass linke Projekte zu viel Geld bekämen. Als H. eine Liste erwähnt, wechselt S. schnell das Thema.
S. lehnt den Anwalt trotzdem nicht ab. Da ist ja noch der gemeinsame Freund, der den Rechtsanwalt für die Kompanie vorgeschlagen hatte und schließlich kennen sie sich ja alle aus den Chats in der Nordkreuz-Gruppe.
Es ist eher den Ereignissen geschuldet, dass Horst S. nie endgültig über den Antrag entscheidet. Seine Kompanie soll auch beim G20-Gipfel in Hamburg im Juli zum Einsatz kommen. S. und seine Männer kriegen den Auftrag, dort Gebäude der Bundeswehr zu sichern. Linke Autonome und Krawalle werden erwartet. Später werden im Fernsehen Bilder gezeigt, die genau so aussehen, wie manche es befürchtet hatten: nach Aufstand und einem drohenden Zusammenbruch des Staats.
Horst S. studiert im Vorfeld Wachpläne. Er begeht Gelände, trainiert mit seinen Männern in der Ausrüstung richtiger Soldaten. Sollten die linken G20-Gegner sie angreifen: Horst S. und seine Männer wären bereit.
Horst S.
Dann, knapp zwei Wochen vor dem Gipfel, kommt es anders: Am 21. Juni wird Horst S. zu seinem General im Landeskommando nach Schwerin einbestellt, Dienstgespräch. Der General teilt S. mit, dass er nicht nach Hamburg beordert werde und erteilt ihm ein sofortiges Uniformtrageverbot. Im Nachbarraum warten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und des MAD auf S. Sie wollen ein paar Dinge klären.
Es gibt Kriterien dafür, wann die politischen Ideen eines Menschen extrem rechts sind. Wenn er anderen die Menschenrechte abspricht beispielsweise, nur in Schwarz und Weiß denkt, Gewalt akzeptiert, nach einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft strebt. Kurzum: Menschen nicht als gleichwertig betrachtet.
Horst S. ist in dem Verfahren des Generalbundesanwalts nicht beschuldigt. Aber er ist eine Schlüsselfigur. Nicht nur, weil er in der Preppergruppe anderen beibringt, wie sie eine Krise mit sauberem Wasser und ohne Handy überstehen können. Sondern weil er der Kommandeur jener Reservisteneinheit ist, die die Heimat im Namen des Staats schützen soll, wenn es darauf ankommt.
Die soldatischen Tugenden der SS
S. ist ein Mann, der Frauen aus dem Mantel hilft und Männern zur Begrüßung sehr fest die Hand drückt. In seinem Garten pflanzt er alte Obstsorten und lässt sie von seinen eigenen Bienen bestäuben. Seine Geschichte ist nicht eine Geschichte der Radikalisierung, eher der Relativierung. Es ist eine typisch deutsche Geschichte. Meist beginnt sie bei den Großvätern.
Horst S. ist bei seinem Großvater aufgewachsen. Der war Mitglied der SS-Panzerdivision Wiking. Bis zum Tag der Kapitulation, bis zum 8. Mai 1945. Angehörige der SS-Panzerdivision Wiking ermordeten im Juni 1941 mehrere hundert Juden in der Ukraine als Vergeltung für das, was sie sowjetische Grausamkeiten nannten. Im März 1945 verübten Angehörige dieser SS-Division ein Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern in Österreich.
Als Kind hörte Horst S. Geschichten von der Front. Sie handelten von Euphorie und Entbehrung, von etwas, das er „soldatische Tugenden“ nennt. Im Gespräch sagt er, ihn treibe seit Langem eine Frage um: Die Waffen-SS – Eliteeinheit oder Kriegsverbrecher? „Ich wollte das wirklich eruieren.“ Die Frage, sagt er, müsse doch erlaubt sein.
„Mein Großvater“, sagt Horst S., „ist kein Nazi gewesen. Er ist ein überzeugter Soldat gewesen.“ Und: „Ich mag es nicht, dass man denjenigen das Gedenken verwehrt.“
Im Prinzip, sagt S., wolle er doch nur etwas über diese Zeit lernen. Bei einem der Treffen mit der taz zeigt er Fotos von seiner Büchersammlung. Ein Bildband über die Waffen-SS, eine historische Analyse der Waffen-SS, daneben Bücher über Bäume. S. hat sie nach der Größe sortiert. In einem Buch steht in Sütterlinschrift: „Mein lieber Junge, zur Erinnerung an deinen Opa“. Das Buch heißt: „Panzerkampf im Bild“.
Horst S. liest und bestellt viele Bücher. Zum Beispiel „Ein Samurai aus Europa“, ein Buch des französischen Rechtsterroristen Dominique Venner. Oder ein Buch über die Waffen-SS aus dem Verlag Nation Europa, der bis 2009 eine rechtsradikale Zeitschrift herausgab. Für seine Recherchen über die Waffen-SS kauft der Kommandeur der Reservisten-Kompanie bei Verlagen, die der Verfassungsschutz beobachtet.
„Wenn ich Literatur kaufe aus einer frei verfügbaren Quelle, dann kann ich das machen“, sagt S. „Glücklicherweise leben wir in einem Land, wo der Artikel 5 des Grundgesetzes gilt: Ich kann mich aus jeder frei verfügbaren Quelle informieren.“
S. liest auch Russia Today, Politaia, den Honigmann-Blog. Manches, sagt er, sei da auch mit Vorsicht zu genießen. Russia Today ist ein Propagandakanal des Kremls. Politaia ist ein Blog, dem Antisemitismus vorgeworfen wird. Der Honigmann ist ein Imker – und ein wegen Volksverhetzung verurteilter Reichsbürger.
Das Gewehr, das er nicht haben durfte
Einmal spendet Horst S. auch Geld, an eine neuheidnisch-völkische Gemeinschaft, gegen die wegen Volksverhetzung ermittelt wird. Es ist das Thule-Seminar. Darauf angesprochen sagt S., das sei keine Spende gewesen, es sei vielmehr als Dank gedacht gewesen, für die Hilfe bei seiner Recherche.
Irgendwann bekommt er dann eine Einladung zu einem Thule-Seminar. Er sagt, er wollte nicht hingehen und gibt die Einladung weiter, an einen Freund aus seiner RSU-Kompanie. Der geht hin.
Horst S. kann alles erklären. Auch, dass die Sache mit der Waffe nur ein Versehen war oder, er zwinkert dann, na ja, es nicht böse gemeint war.
32221/RÜ 01-17: Das ist das Vorgangszeichen zu seinem Fall in der Waffenbehörde des Landkreises Rostock. Hier hat Horst S. eine Waffenbesitzkarte für ein Jagdgewehr bekommen, das er als Sportschütze gar nicht nutzen darf. Die Sachbearbeiterin schreibt ihm, als sie den Fehler bemerkt. Er muss das Gewehr verkaufen. Das Schreiben legt nahe, dass Horst S. von seinem Regelbruch wusste.
Zuvor hatte er schon einmal versucht, über den Reservistenverband, eine Berechtigung zu beantragen. Er hatte gefälscht aussehende Unterschriften für Schießtrainings vorgelegt. Der Schießsportleiter schreibt ihm, die Voraussetzungen lägen nicht vor.
Inzwischen besitzt Horst S. eine Pistole, ausgestellt von der Waffenbehörde, Kaliber 9 Millimeter.
Die Spenden und die Bücher von Horst S. interessieren schließlich auch den Verfassungsschutz, über die Waffe hat die Waffenbehörde zu entscheiden.
Es gibt noch zwei weitere Indikatoren für Rechtsextremismus: Glorifizierung der NS-Zeit. Und natürlich: Fremdenfeindlichkeit. S. spricht von „kriminellen Elementen“, wenn er straffällige Ausländer meint, erzählt von Krankheiten, die Osteuropäer einschleppen. Er sieht sich aber als Demokrat. „Daran besteht überhaupt kein Zweifel“, sagt er.
Der beschuldigte Kriminalkommissar ist seit der Razzia vom Dienst suspendiert. Jan Hendrik H. lässt sein Bürgerschaftsmandat in Rostock ruhen. Er hatte kurz nach der Razzia einen Herzinfarkt.
Die Bundeswehr hat am 10. Oktober die Beorderung von Horst S. zurückgenommen, er ist nicht länger Chef der RSU-Kompanie. „Aus organisatorischen Gründen“, heißt es in einem Brief an S.
Spielwiese für Rechte und Rechtsradikale
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst haben eine gemeinsame Arbeitsgruppe „Reservisten“ gegründet. Deren Ziel ist, sagt ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, „die lückenlose Fallbearbeitung der Überprüfung von Reservisten sicherzustellen“.
Der Reservistenverband prüft, ob bei dem Mecklenburger Netzwerk „Gründe, die eine Kündigung rechtfertigen, nachgewiesen werden können“.
Mecklenburg-Vorpommern ist seit Jahren eine Spielwiese der Rechten. Rund um Krakow am See, dem Wohnort von Horst S., leben völkische Siedler. Hier probierte die NPD ihre Kümmerstrategie aus und saß jahrelang im Landtag. Jetzt ist die AfD stark. Wie sehr fallen da ein paar Männer ins Gewicht, die bisher nicht straffällig geworden sind und die vielleicht nie angeklagt werden?
Es gibt zwei Chatkanäle, über die sich die Männer und Frauen in Mecklenburg austauschten. Über Nordkreuz wurden Informationen geteilt, administriert, von zentraler Stelle. Diskutiert wurde in einer anderen Gruppe mit dem Namen: „NORD Com“. Die Mitglieder dieser Gruppen, die mit der taz reden, erzählen, in den Chats schrieben Ärzte und Beamte, Polizisten und Soldaten. Menschen, die Jobs haben, die wichtig für das Funktionieren und die Sicherheit des Staates und des täglichen Lebens sind. Einige von ihnen glauben, diesen Staat und dieses Leben könnte es so bald nicht mehr geben.
Ihre Diskussionen drehen sich um Terroranschläge und die Bedrohungslage in Europa, ein Arzt schreibt, wenn Impfstoff knapp wird. Einmal, sagt Horst S., habe er die anderen zum Gästeschießen des Reservistenverbandes eingeladen. „Alles ganz harmlos.“
Nur zeigen will einem diese Chats niemand. Chatgruppen wie diese gebe es nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, auch im Osten, Westen und Süden Deutschlands, in der Schweiz und in Österreich. So erzählt es jemand, der in der Mecklenburger Chatgruppe dabei ist. Ein Über-Administrator, den er persönlich nicht kenne, habe Zugriff auf all diese Chatnetzwerke. Dessen Nickname sei „Hannibal“.
Es ist bislang nicht möglich, bei einer deutschen Sicherheitsbehörde eine Antwort auf die Frage zu erhalten, ob sie Hannibal kennen. Nicht von der Bundesanwaltschaft, vom BKA oder vom Militärischen Abschirmdienst. Hannibal könnte irgendjemand sein, ein Spinner, ein Niemand. Er könnte aber auch ein Beamter sein wie die anderen. Er könnte auch ein Soldat sein.
Gibt es eine Verbindung zu Franco A.?
In einer dieser Chatgruppen, im Süden Deutschlands, so erzählt es dieselbe Person, die von Hannibal berichtet, sei auch Franco A. aktiv gewesen. Der Bundeswehrsoldat, der festgenommen wurde, als er am Flughafen in Wien eine dort von ihm zuvor versteckte Pistole mitnehmen wollte. Auch er soll laut Bundesanwaltschaft zusammen mit zwei anderen Männern Namenslisten geführt haben. Die Berliner Linke-Politikerin Anne Helm und der damalige Bundespräsident Joachim Gauck standen darauf. Am vergangenen Dienstag hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Franco A. wegen Terrorverdachts erhoben.
Horst S. sitzt in einem Restaurant an der A19. Bei der Frage nach Franco A. bleibt er ganz ruhig. „Hier“, sagt er, „gucken Sie doch, ob ich seine Telefonnummer habe.“ Dann reicht er uns sein Telefon. Natürlich ist da nichts drauf.
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