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Tarifstreit im öffentlichen DienstChance auf innovativen Tarifvertrag?

Am Wochenende ringen Verdi und Beamtenbund mit Bund und Kommunen um einen neuen Tarifvertrag. Die politischen Umstände könnten sich als günstig erweisen.

Verdi: bereit für den Kampf um einen neuen Tarifvertrag Foto: Jörg Halisch/dpa

Berlin taz | Flankiert von Warnstreiks steht beim öffentlichen Dienst das Ringen um einen neuen Tarifvertrag an. In der dritten Verhandlungsrunde kommen ab Freitag die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sowie der Deutsche Beamtenbund auf der einen und Vertreter von Bund und Kommunen auf der anderen Seite zusammen. Bisher haben die Arbeitgeber kein Angebot vorgelegt.

Betroffen sind rund 2,6 Millionen Beschäftigte in den Bereichen der öffentlichen Verwaltung sowie kommunaler Unternehmen, beispielsweise beim ÖPNV, der Müllabfuhr, den kommunalen Krankenhäusern und Kitas, bei Theatern und Flughäfen. Die aktuelle Tarifrunde steht unter dem Eindruck der letzten Tarifrunde 2023, die für die Beschäftigten recht gut abgeschlossen wurde und von breiten Mobilisierungen getragen war. Zurückgeführt wurde dies auch auf die Inflation, die sich stark im Geldbeutel der Arbeitnehmer bemerkbar machte. Zum ersten Mal seit Gründung im Jahr 2001 verzeichnete Verdi damals ein Mitgliederplus.

Die diesmaligen Forderungen der Arbeitnehmervertreter für den angestrebten Tarifvertrag mit 12-monatiger Laufzeit sind ambitioniert und komplex: Im Mittelpunkt stehen 8 Prozent mehr Lohn im Volumen, mindestens aber 350 Euro mehr, verschiedene Zuschläge für belastende Tätigkeiten, drei zusätzliche freie Tage plus einen weiteren für Gewerkschaftsmitglieder sowie ein „Meine-Zeit-Konto“, auf das Lohnerhöhungen eingezahlt und in mehr Freizeit umgewandelt werden können.

Gerade die Verknüpfung von Entgeltforderungen mit Vorschlägen zur Verkürzung der Arbeitszeit beziehungsweise mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten gilt als zukunftsträchtig. Zur demokratischen Erarbeitung dieser Forderung hatte Verdi bereits im vergangenen Frühsommer einen langen Befragungsprozess begonnen – circa 150.000 von Beschäftigten ausgefüllte Fragebögen wurden dabei ausgewertet.

Finanzielle Verluste

Wie viele Bestandteile der Forderungen durchgesetzt werden können wird sich in den nun anstehenden Verhandlungen zeigen, offen ist, ob Arbeitszeitverkürzungsaspekte zugunsten der Entgeltforderungen geopfert werden. Die derzeit stattfindenden Streiks an zentralen Schmerzstellen wie Flughäfen, bei denen die Arbeitgeber im Gegensatz zu Streiks in der Kita auch finanzielle Verluste erleiden, haben im Vorfeld die Verhandlungsposition der Arbeitnehmervertreter stärken sollen.

Von den betroffenen rund 2,6 Millionen Beschäftigten sind nur 154.000 beim Bund, der Rest bei den kommunalen Arbeitgebern angestellt. Eine entscheidende Rolle kommt also der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) unter Verhandlungsführung ihrer Präsidentin Karin Welge zu. Am Dienstag kritisierte Welge, die Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen ist, die Streiks in der WAZ als der Bevölkerung nicht vermittelbar und die Gewerkschaftsforderungen als nicht finanzierbar. Für den Bund ist kommissarisch immer noch Innenministerin Nancy Faeser Verhandlungsführerin, eine SPD-Parteifreundin von Welge.

„Letztlich ist es der Bund, der den Kommunen bestimmte Aufgaben aufbürdet, ihnen aber die erforderlichen Mittel dafür häufig verwehrt und sie dadurch in ihren personalpolitischen Handlungsmöglichkeiten einschränkt“, argumentiert ein Sprecher von Verdi für mehr Investitionen. In den letzten beiden Wochen wurde das Dogma der Schuldenbremse selbst von den Unionsparteien aufgeweicht. Die parallel zu den Tarifverhandlungen stattfindenden Koalitionsgespräche und die von CDU/CSU und SPD diskutierten Investitionsmilliarden in Infrastruktur eröffnen vor diesem Hintergrund für die Forderungen von Verdi und Beamtenbund ein politisches Möglichkeitsfenster.

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5 Kommentare

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  • Karin Welge tut so als sei sie arm, wie eine Kirchenmaus. Das ist ein idiotische und durchsichtige Strategie. Welge spricht so, als ob jede Forderung zu viel ist. Umgekehrt wissen die meisten ver.di-Mitglieder gar nicht, wie sie die Stadt Gelsenkirchen regiert, was sie überhaupt mit dem Geld macht, wie das FInanzamt dort Steuern einnimmt und gegen Steuer-Sünder vorgeht. Insofern sind ihre Äußerungen eigentlich irre-führend. Es gibt momentan eine Inflation von 2,4-2,6 Prozent, das bdeutet schon mal, dass der Abschluss dies ausgleichen sollte. Dann fehlt Personal im öffentlichen Dienst, der Anreiz der Arbeitsplatzssicherheit zieht momentan nicht besonders gut. Es gebe eben gute Gründe sich mit ver.die auf mindestens drei Prozent zu einigen.

  • Warum wird bei der Berichterstattung immer unterschlagen, dass die hier gemachte Tarifverhandlung danach fast immer stillschweigend auch auf alle Landesbeamten und Pensionäre angewendet wird. Zusammengenommen sind das mehr Empfänger als die Seite für die Verdi hier aktiv verhandelt.



    Verdi soll deshalb endlich aufhören um Prozente zu verhandeln sondern Einmalzahlungen für die unteren Lohngruppen



    aushandeln.

    • @Šarru-kīnu:

      Einmalzahlungen für die unteren Lohngruppen



      mag für Tarifbeschäftigte besonders sinnvoll sein, aber bei Beamten wird zunehmend das Abstandsgebot verletzt. Die Klagen sind bereits am Laufen.

      Ich würde mir als Beamter im Rahmen eines umfassenden Sparkurses (weg mit Mütterrente, Elterngeld, höhere MwSt.) mal eine Nullrunde wünschen.

    • @Šarru-kīnu:

      Dieser Tarif hat mit Landesbeamt*innen rein gar nichts zu tun. Das wäre der TV-L, dessen Ergebnisse von den Ländern in der Regel übertragen werden (keineswegs immer sofort und automatisch und auch nicht wie behauptet stillschweigend). Beamt*innen dürfen in Deutschland nicht streiken, aber der Arbeitgeber muss sie ordentlich alimentieren. Sie können aber solidarisch sein und in eine Gewerkschaft eintreten und somit auch die Streikkasse füllen.

      Einmalzahlungen nützen vor allem den Arbeitgebern. Die erkämpften Steigerungen der Tabelle bleiben. Die Erhöhungen des Tabellenentgelts sind rentenwirksam. Die Einmalzahlungen nicht. Gerade für die unteren Entgeltgruppen führen die Einmalzahlungen in die Altersarmut. Die gewerkschaftlichen Tarifkommissionen setzen sich normalerweise nicht das Ziel, Einmalzahlungen durchzusetzen.

  • Ekelhaft, dass Verdi das betreibt und dem Volk in den Rücken schießt