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Besonders Pfle­ge­r:in­nen gelten als Burnout-gefährdet Foto: Patrick Junker/laif

Tag der ArbeitsbelastungWenn die Arbeit immer dichter wird

Arbeitszeitverdichtung und psychische Belastung rücken ins Zentrum vieler Arbeitskämpfe. Vier Ar­beit­neh­me­r*in­nen erzählen von ihrem Arbeitsalltag.

A rbeitszeitverdichtung und psychische Belastung rücken aktuell ins Zentrum vieler Arbeitskämpfe. Lehrer*innen, Erzieher*innen, Pflegekräfte, Bus­fah­re­r*in­nen – sie klagen über die hohe Arbeitsbelastung und gehen dafür auch auf die Straße. Geld allein ist nicht die Lösung. In diversen Streiks kämpfen sie für bessere Arbeitsbedingungen. Wächst der Psychostress in der Arbeitswelt?

Das kommt auf die Branche an, weiß die Wissenschaft. Vor allem Berufe, in denen „Interaktionsarbeit“ geleistet werden muss, sind betroffen. Wer das Gefühl hat, den Stress nicht mehr kontrollieren zu können, trägt ein hohes Burnout-Risiko. Wenn Handlungsspielräume schrumpfen, sich Arbeit und Freizeit vermischen und die Führung ei­ne*n nicht wertschätzt, kann der Arbeitsplatz zum Alptraum werden. Ar­beit­neh­me­r*in­nen aus vier Branchen erzählen über Arbeitsverdichtung sowie die kleinen und großen Belastungen ihres Arbeitsplatzes.

„Ich wurde zynischer“

Matthias Kortig* arbeitete mehrere Jahre in einem Jobcenter, sowohl als Sachbearbeiter als auch als Führungskraft

Die Arbeit in den Jobcentern ist stark von politischen Entscheidungen geprägt. Gefühlt kommen ständig neue Aufgaben und Themen hinzu. Und zwar, ohne dass andere Aufgaben wegfallen würden oder es einen Personalausgleich gibt. Das frustriert. Hinzu kamen höhere Arbeitsbelastungen, etwa durch die Integration von Geflüchteten aus Nahost ab 2014/15 und später aus der Ukraine oder die Bürgergeldreform.

wochentaz

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Letztere hat das SGBII komplett auf den Kopf gestellt. Als 2015 so enorm viele Flüchtlinge ankamen, mussten wir uns in vollkommen neue Rechtsgebiete einarbeiten. Hinzu kamen die Anerkennungsberatung von Berufsabschlüssen oder das Thema Aufenthalt und wer überhaupt hier arbeiten darf. Auch der Personalschlüssel geht nicht auf. Deshalb können nicht alle Menschen in der gleichen Qualität beraten werden. Klar frustriert das, unter den eigenen Ansprüchen zu bleiben.

Als Mitarbeiter bewegt man sich immer in einem Spannungsfeld, die vorgegebenen Ziele und Kennzahlen der Geschäftsführung zu erreichen und zugleich dem betreuten Arbeitssuchenden das beste Ins­tru­ment an die Seite zu stellen. Zum Beispiel müssen geplante Plätze für Maßnahmen und Weiterbildung in der Regel besetzt werden. Da wird schnell an den Bedarfen des einzelnen Arbeitssuchenden vorbei vermittelt. Diese Abhängigkeit vom Erreichen der Kennzahlen habe ich immer als sehr frustrierend empfunden. Schafft man es, ist alles gut. Wenn nicht, wird alles infrage gestellt.

Ich habe den Job nicht wegen der Arbeitsbelastung aufgegeben, sondern hatte eine Chance zur Weiterentwicklung. Aber auch ich habe gemerkt, dass ich zynischer wurde. Im Jobcenter zu arbeiten ist psychisch anstrengend. Du belastest dich jeden Tag mit den Problemen anderer Menschen. Da muss man resilient sein.

Empfehlung:

Es gibt positiven und negativen Stress. Doch ab wann wird es zu viel und was sind die Schlüsselfaktoren für psychische Belastung am Arbeitsplatz? Lesen Sie über einen wissenschaftlicher Blick: „Wenn die Nerven immer dünner werden“

Es ist sehr gefährlich, die Leute hier dauerhaft zu überlasten. Das wird im Zweifel zu Krankheitsfällen und psychischen Erkrankungen führen. * Name geändert; Protokoll: Adefunmi Olanigan

„Die Problemlagen werden mehr“

Liliane Rosar-Ickler ist stellvertretende Landesvorsitzende der GEW Saarland und sozialpädagogische Leiterin an einer gebundenen Ganztagsgrundschule

Bei uns arbeiten Lehrkräfte und Er­zie­he­r*in­nen im Tandem. Hinter dem Konzept unserer Ganztagsschule steht die Idee, Unterrichtsinhalte mit pädagogischen Angeboten am Nachmittag zu verknüpfen. Beispielsweise nehmen die Kinder im Unterricht das Thema Wind durch, und mit den Er­zie­he­r*in­nen bauen sie in Kleingruppen eine Windmessstation. Das sind die schönen Momente unserer Arbeit.

Aber in letzter Zeit klappt das eher selten, wegen der Personalausfälle. Fast täglich reicht der Personalschlüssel nicht aus. Unser Träger hat zwar ein Springerkräftesystem, aber es kann die massiven Ausfälle nicht kompensieren. Und es wird immer schwerer, Fachkräfte zu gewinnen. Dann schafft man nur noch, die Aufsicht zu gewährleisten, den Alltag zu regeln. Das frustriert natürlich, das eigene Handwerk nicht ausführen zu können. Es ist auch ein Grund für die hohe Fluktuation in unserem Bereich.

Die Problemlagen werden mehr, aber die Ressourcen weniger. Die Einrichtungen werden größer, da immer mehr Plätze gebraucht werden. Hier spüre ich die Verdichtung auch im Administrativen. Hinzu kommen besondere Umstände, wie Corona. Andererseits sind da die vielen Päckchen, die die Kinder mit sich tragen: Flucht­er­fah­rung oder existenzielle Ängste in der Familie durch Armut. Ich arbeite in einem der ärmeren Stadtteile. Viele der Kinder und Familien haben Multi­pro­blem­lagen. Das hat sich zuletzt verstärkt.

Als Leitung vermittle ich auch in weitere Fachhände. Oft muss ich vertrösten, weil auch im Frauenhaus oder in der Jugendhilfe die Ressourcen fehlen. Der Versuch, Familien hier unter die Arme zu greifen, bindet extrem viel Zeit und potenziert sich mit den erhöhten Schü­le­r*in­nen­zahlen. Eigentlich bräuchten sie eine sehr viel intensivere Zuwendung, als wir sie bieten können. Dann vertraut sich ein Kind uns an, aber uns fehlt oft einfach die Zeit. Am Ende geht man mit schlechtem Gewissen und dem Gefühl nach Hause, dem Kind nicht gerecht worden zu sein. Protokoll: Adefunmi Olanigan

Teilzeit bei Frauen und im Sozialen hoch

Auch im vergangenen Jahr haben überwiegend Frauen in Deutschland in Teilzeit gearbeitet. Während jede zweite angestellte Frau einer Teilzeitbeschäftigung nachging, waren es bei den Männern nur rund 13 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Freitag auf der Grundlage des Mikrozensus berichtete. Insgesamt stieg die Teilzeitquote unter allen Angestellten erneut leicht von 30 Prozent im Vorjahr auf 31 Prozent.

Vor allem die Geburt eines Kindes war für viele Angestellte Anlass, die eigene Arbeitszeit zu reduzieren. Im vergangenen Jahr gingen zwei von drei Müttern minderjähriger Kinder einem Teilzeitjob nach, während das gleichzeitig nur auf jeden elften Vater zutraf. Gegen den Fachkräftemangel könnte die Aktivierung von Teilzeitkräften zur Vollzeit nur in einzelnen Branchen helfen, warnen die Statistiker. So gibt es in zahlreichen männlich dominierten Feldern wie Energietechnik, Heizungs-, Sanitär- und Klimatechnik oder auch am Bau meist nur sehr geringe Teilzeitquoten von gut 5 Prozent. Ausgeprägt hohe Teilzeitquoten wurden in den Bereichen Altenpflege (43 Prozent) und Gesundheit (39 Prozent) verzeichnet. Hier sei allerdings auch die Arbeitsbelastung außergewöhnlich hoch. (dpa)

„Wir müssen effektiver und schneller werden“

Christian Merder arbeitet seit 2014 in der Produktion von Volkswagen

Von Tag eins an bin ich in der Produktion, immer im selben Team. Ich verbaue bei der Arbeit das Cockpit, mein Team verlegt in dem Zuge auch die kom­pletten Kabelstränge im Auto. Das Ganze funktioniert nur, wenn ein Rad ideal ins nächste greift. Nur wenn der eine dem anderen hilft, eben als Team.

Seit ich 2014 angefangen habe, hat sich vieles verändert, weil die ganze Auto­mobilbranche sich komplett gedreht hat. Mit dem Thema Elektromobilität ist der Druck auf Volkswagen natürlich größer geworden durch sehr viel Konkurrenz, die man vorher im Verbrenner-Segment nicht hatte.

Deswegen erleben wir eine Arbeitsverdichtung. Wir müssen effektiver und schneller werden, mehr Arbeitsschritte schaffen. Und all das mit der gleichen Anzahl an Leuten. Es ist halt einfach so, dass die Fahrzeuge von heute viel hochwertiger ausgestattet sind. Man hat viel mehr elektronische Bauteile und braucht deswegen etwa mehr Kabel, mehr Steuergeräte.

Andere Unternehmen bauen ein Fahrzeug in 22 Stunden, ehe es beim Kunden ankommt. Zurzeit brauchen wir für unsere Fahrzeuge noch länger, auch weil unsere Modelle oft komplexer sind. Da versucht man natürlich, alles zu komprimieren, dass man so nah wie möglich an die Produktionszeit der Konkurrenz rankommt. Das ist nicht immer ganz einfach.

Aber es wird auch ein großes Augenmerk auf Ergonomie gerichtet, darauf, dass die Arbeitsbedingungen auch zu uns Mitarbeitern passen. Das ist wichtig, weil wir nur mit einer guten, beständigen Mannschaft auch gute Autos bauen können. Würden wir ständig das Personal austauschen, könnten wir die Qualität nicht gewährleisten.

Ich bin immer noch jeden Tag froh, hier zu sein. Auch wenn sich vieles verändert hat, ist Volkswagen der attraktivste Arbeitgeber, den wir hier im Umkreis weit und breit haben. Protokoll: Carlo Mariani

„Ich wurde geräuschempfindlich, bekam Schlafstörungen“

Luca Resonnek*, Ärzt*in, kündigte nach einem Jahr Krankenhaus wegen Überarbeitung, pausierte im Anschluss anderthalb Jahre und ist aktuell in einer ambulanten Praxis beschäftigt

Nach meinem Studium fing ich im Krankenhaus in der Chirurgie an. Nach drei Monaten war ich allein für ­Nachtdienste zuständig. Mein erster war besonders hart: Ich bin nur gerannt, Flexülen legen, Wunden angucken, Verbände wechseln, bei einer Notoperation assistieren, zwei Stationen und die Wachstation im Blick ­behalten, runter in die Rettungsstelle. Hingesetzt habe ich mich nach 16 Stunden das erste Mal, direkt vor der Übergabe.

Am schlimmsten waren die 26-Stunden-Dienste von Samstag auf Sonntag. Mal hat man geschlafen, mal nicht, meist zwei, drei Stunden. Offiziell heißt das „Bereitschaftszeit“, denn 24 Stunden durcharbeiten ist nicht legal. Als ich anregte, dass wir unsere tatsächliche Schlafzeit mal notieren, hieß es: Auf keinen Fall! Dann bricht das ganze System zusammen.

Aber wenn man so lange auf den Beinen ist, schwindet irgendwann die Konzentration. Einmal stand ich in der Rettungsstelle vor einer Frau, ihr Bauch war reflexhaft angespannt, ein Alarmzeichen, es könnte ein Organ geplatzt sein. Ich versuche also übermüdet zu verstehen: Wann fingen ihre Schmerzen genau an? Die Patientin redet, aber ich bin nicht mehr aufnahmefähig. Was tun? Irgendwie weitermachen, später heulen.

Zu Hause habe ich Entspannungsübungen und Schlafmittel ausprobiert. Ich wurde geräuschempfindlich, bekam Schlafstörungen. Man muss viel emotional verarbeiten, aber dafür ist keine Zeit. Ein Beispiel: Ich assistiere bei einer Operation, wir haben die Hände im Bauch eines Mannes, um eine Blutung zu stoppen. Irgendwann ist klar: Entweder er verblutet jetzt auf dem Tisch, oder wir nähen dieses Blutgefäß zu und er wird vermutlich daran sterben.

Direkt danach musste ich in die Rettungsstelle und mich um einen kleinen Riss am Po eines Patienten kümmern, es geht einfach weiter. Das muss man erst mal hinkriegen! Es gibt keine Supervision, keine Nachbesprechungen. Meine Kol­le­g*in­nen waren alle engagiert, gleichzeitig ist in diesem System kaum Raum für Empathie, nicht für Patient*innen, nicht für uns. Nach einem Jahr wusste ich: Ich kündige. Ich war ausgebrannt. Ich habe anderthalb Jahre gebraucht, um zu entscheiden, ob ich es noch mal ärztlich versuchen will. *Name geändert; Protokoll: Jasmin Kalarickal

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14 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • taz: *Nach meinem Studium fing ich im Krankenhaus in der Chirurgie an. Nach drei Monaten war ich allein für Nachtdienste zuständig. Mein erster war besonders hart: Ich bin nur gerannt, [...]. Hingesetzt habe ich mich nach 16 Stunden das erste Mal, direkt vor der Übergabe.*

    Hier kann man gut sehen, wer seit Jahren in den Krankenhäusern das Sagen hat - die Betriebswirte. Anstatt mehr Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger einzustellen, werden Krankenhäuser nur noch 'gewinnorientiert' betrieben. Das ist nicht nur für Patienten sehr gefährlich, sondern auch für das medizinische Fachpersonal ("Aber wenn man so lange auf den Beinen ist, schwindet irgendwann die Konzentration.", sagt die Ärztin). Gewinnmaximierung durch den Abbau von Pflegekräften und Krankenschwestern betreibt man in Deutschland ja schon seit der Einführung der Agenda 2010. Die beiden Zauberwörter, um Pflegekräfte aus dem Zylinder zu ziehen, heißen übrigens bessere 'Arbeitsbedingungen' und höhere 'Löhne'. Das geht aber natürlich nicht, denn dann würden ja die smarten BWL-Typen, die schon sämtliche Krankenhäuser mit dem "spitzen Bleistift" leiten, nicht mehr mit dem dicken Portemonnaie in der Gesäßtasche herumlaufen können.

    • @Ricky-13:

      Was tun? Irgendwie weitermachen, später heulen.



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      Und:

      "Zu Hause habe ich Entspannungsübungen und Schlafmittel ausprobiert. Ich wurde geräuschempfindlich, bekam Schlafstörungen. Man muss viel emotional verarbeiten, aber dafür ist keine Zeit."

      Ärzte u. Arztinnen sind auch nur Menschen. Da ist es aber erschreckend, dass selbst sie sich in der Vesuchung sehen, dem Druck durch Tabletten etc. zu entkommen. Da "lacht" die Pharmaindustrie - schrecklich.

  • Liebe Journalisten, Theoretiker und Gewerkschaftsideologen, die ihr hier eure akademischen Standpunkte verbreitet, redet doch einfach mal mit den Menschen, die es wirklich betrifft. Für die Allermeisten ist es vielleicht "nice to have", weniger fürs gleiche Geld zu arbeiten, aber ansonsten nur Bullshit.

  • Seit dem Euro haben sich die Lebenshaltungskosten für Normalbürger mehr als ver-Vier-facht! (mehr als 400%) und in der gleichen Arbeitszeit erbringen Menschen heute



    40-70% mehr Arbeit, im Vergleich zu 1999.



    Das ist offensichtlich der Hauptgrund das sich die Krankheitstage wegen psychologischer Überlastung fast verdoppelt haben, genauso wie die Burnout Raten!!

  • Man kann da sicher viel rumdiskutieren aber eins ist klar:



    Die Steigerung der Löhne und Absenkung der Lebensarbeitszeit sind viel kleiner als der Produktivitätszuwachs der geleisteten Arbeitszeit.

    D.h. unterm Strich geht der kleine Mann (und natürlich auch die kleine Frau) mal wieder so gut wie leer aus.

  • Wir müssen frei nach Marx wieder mehr (auch) Dichter werden, als noch mehr zu verdichten, weil das ab einem gewissen Punkt nicht mehr nachhaltig ist.

    Miteinander reden und nachdenken gehört auch zum Leben, auf jeden Fall, wenn es bis Ende 60 gehen soll.

    • @Janix:

      , frei nach Marx, !?!



      Ohmanno

  • Diese "politischen Entscheidungen" müssen umgesetzt werden! Von wem und mit welcher Arbeitsintensität? Man spricht gerne von politischen Entscheidungsträgern und denkt dabei nicht an die Menschen, die diese Entscheidungen Tag für Tag - wie sehr gut beschrieben - versuchen, umzusetzen. Oft womöglich gegen eigene Bedenken - aber Gesetz ist halt nun mal Gesetz - und auf Kosten der eigenen Gesundheit. So bedarf es schon fast einer ideologischen Arbeitsmoral, um Menschen , die in diesem Hamsterrad arbeiten, daran zu hindern, ihre Disziplin zu verlieren und so die gesellschaftliche Ordnung zu bedrohen. Ich möchte da jetzt gar nicht weiter ausholen und in die Anfänge der Arbeiterbewegung zurück gehen.



    Jedenfalls ein Danke der TAZ für diesen Beitrag zum 1. Mai 2024!

  • Habe den Artikel noch nicht in Gänze gelesen. Aber die Worte des ehml. Jobcentermitarbeiters. Denn vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrung der Arbeitslosigkeit, halte ich es für wichtig, auch auf "die andere Seite des Schreibtisches" zu schauen. Die bekannte Aktivistin Inge Hanneman, ehml. Mitarbeiterin eines Jobcenters, die viel für die Erwerbslosen streitet, hat das auch immer wieder "angemahnt". Nicht um irgendwen dann nach dem Mund zu reden, sondern sondern um zu einem besseren Verstehen "der Lage" zu kommen.

    Aus meiner Beobachtung heraus kann ich sagen: Was Kortig sagt stimmt. Er benennt die strukturellen Bedingungen und ihre Auswirkungen auf die individuelle Arbeitssituation son knapp wie präzise. Das muss bei der Diskussion der Beschäfigngspolitik im Blick bhalten werden. Kortig hat ganz Recht: Das Bürgergeld stellt einmal mehr eine große zu bewältigende Aufgabe für die JC`s dar. Und das ist längst nicht das erste mal.

    Ich begrüße das neue Bürgergeld selbst in seiner kompromisshaften Realisierung immer noch sehr: Nchhaltige Vermittlung in Arbeit durch eigenmotivierte Qualifizierung.

    Kortig zeigt hier deutlich die Erfordernisse dafür auf. Die können nur bewältigt werden, wenn die Mitarbeiterschaft der JC`s mitmachen KANN. Denn es geht nicht allein um Verwaltungsvorgänge. Das oben genannte Ziel des Bürgergeldes im INteresse der Arbitslosen umzusetzen, das hängt ENTSCHEIDEND von der qualifizierten Arbeit der JC`- Mitarbeiterschaft ab. Und dafür brauchen sie gute Arbeitsbedingungen.

    • @Moon:

      *Die bekannte Aktivistin Inge Hanneman, ehml. Mitarbeiterin eines Jobcenters, ...*

      Inge Hannemann - die 2013 den taz Panter-Preis für Zivilcourage bekam - ist natürlich für ihr soziales Engagement sehr zu danken. Frau Hannemann hat nämlich nicht nur auf Missstände in den Jobcentern aufmerksam gemacht, sondern auch, dass seit Jahren in diesem Land durch das Hartz-System die prekäre Beschäftigung samt Leiharbeit und Werkverträgen gefördert wurde. Sogar Heiner Geißler (1930 - 2017), der in der CDU war, sagte einst über Frau Hannemann: „Es ist ein Glücksfall, dass endlich jemand aus dem BA-Bereich die Missstände aufdecke, die seit Existenz der Agenda 2010 dort eingerissen seien.“

      Das war dann aber für die Bundesagentur für "Arbeit" zu viel des Guten, und da hat man Frau Hannemann dann vor die Jobcentertür gesetzt, denn was die wahre Aufgabe der Jobcenter ist, das wissen wir ja. Es geht ja auch gar nicht um die Hartz5/Bürgergeldempfänger, sondern um die Arbeitnehmer, denn denen will man klar machen: "Wenn ihr bessere Arbeitsbedingungen fordert und sogar noch eine Lohnerhöhung verlangt, dann werden wir euch auch ganz schnell in Hartz5/Bürgergeld stecken."

      • @Ricky-13:

        Inge Hannemann wurde für die Jobcenter „untragbar“, weil sie sich weigerte, Sanktionen zu verhängen – und obendrein mit ihrer Arbeit unter Beweis stellte, dass man sie auch anders u. besser leisten konnte.

        Es geht also nicht um das Beschwören von Harmonie. Die Jobcenterbelegschaften hatten und haben die jeweils geltenden Gesetze u. „Jobcenterpolitiken“ umzusetzen. Siehe: „Sanktionsquoten“ zu erfüllen und Ermessensspielräume bei der Anwendung der Gesetze entsprechend auszulegen. Und/oder z. B. siehe oben, Maßnahmen „aller Art“ mit Kunden aufzufüllen, ob sinnvoll oder eher nicht.

        Als Arbeitnehmer u. Arbeitnehmerinnen haben sie aber Rechte auf gute Arbeitsbedingungen, diese Solidarität soll ihnen nicht abgesprochen werden.

        Wie sieht es umgekehrt aus, weil ich ja behaupte, die positive Umsetzung des Bürgergelds wird wesentlich auch von den Jobcenterbelegschaften abhängen?

        Eine erste, NICHT repräsentative Umfrage bei Jobcentern in NRW stimmt pessimistisch:

        www.diw.de/de/diw_...erbesserungen.html

        *Bürgergeld statt Hartz IV: Jobcenterbeschäftigte sehen kaum Verbesserungen

        Pressemitteilung vom 24. April 2024







        DIW-Studie in Kooperation mit der Universität Bochum liefert erste empirische Analyse des Bürgergelds – Jobcenterbeschäftigte bewerten neue Regeln mehrheitlich skeptisch – Positiv beurteilt wird vor allem das verbesserte Coaching-Angebot Langzeitarbeitsloser – Versachlichung der Debatte gefordert.*

        Was STRUKTURELL SCHIEF LÄUFT in der Kommunikation Kunde/JC zeigt die Studie:

        „Folgsamkeit herstellen“

        Dazu ein Interview mit Autorin:

        "Folgsamkeit der Klienten als Ressource" - Interview mit Bettina Grimmer über Jobcenter als Disziplinierungsinstitutionen.

        lisa.gerda-henkel-...source?nav_id=8010

        • @Moon:

          Danke für den Link L.I.S.A., denn das kannte ich noch nicht. Aber ob man das jetzt streng "akademisch" aufbereitet oder das 'Kind' ganz ungeniert beim Namen nennt, ist doch egal, denn ein 'Disziplinierungsinstrument' ist Hartz IV immer gewesen (und das wird jetzt mit dem Bürgergeld einfach so fortgeführt), denn nur so konnte Deutschland - hinter China und den USA - der Exportweltmeister Nummer 3 werden, zwar auf Kosten von Millionen ALG II Beziehern und kleinen "Arbeitssklaven", aber das hat die Mächtigen ja noch nie gestört. "Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt." sagte Schröder (SPD) 2005 in Davos und war als Sozialdemokrat auch noch stolz darauf.

          "Fordern und Fördern" heißt es in der BA. Mit der Schröder/Bertelsmann/Hartz-Reform wurde allerdings nur der Ausbau des Niedriglohnsektors gefördert. Der Spruch der BA "Fördern und Fordern" heißt doch nur: "Entweder fügst du dich oder du hungerst" – und da wären wir wieder bei meiner Aussage oben, dass es in erster Linie nämlich um die (Noch)-Arbeitnehmer geht (aber die begreifen das anscheinend nicht), denn denen will man klar machen: "Wenn ihr bessere Arbeitsbedingungen fordert und sogar noch eine Lohnerhöhung verlangt, dann werden wir euch auch ganz schnell in Hartz5/Bürgergeld stecken."

  • "Die Nobilisierung der Erwerbsarbeit, also ihre Hervorhebung als zentrale oder gar alleinige Quelle von Auskommen und Lebenssinn, ist ein durchgängiger kultureller Zug unserer Gesellschaft."



    Claus Offe, Quelle jacobin.de



    Überschrift



    "Hat die Arbeitsgesellschaft eine Zukunft?



    Der Soziologe Claus Offe ist einer der renommiertesten Analysten kapitalistischer Gesellschaften weltweit."

  • Krass und kommt mir doch leider alles sehr bekannt vor!