Tag der Arbeitsbelastung: Wenn die Arbeit immer dichter wird
Arbeitszeitverdichtung und psychische Belastung rücken ins Zentrum vieler Arbeitskämpfe. Vier Arbeitnehmer*innen erzählen von ihrem Arbeitsalltag.
A rbeitszeitverdichtung und psychische Belastung rücken aktuell ins Zentrum vieler Arbeitskämpfe. Lehrer*innen, Erzieher*innen, Pflegekräfte, Busfahrer*innen – sie klagen über die hohe Arbeitsbelastung und gehen dafür auch auf die Straße. Geld allein ist nicht die Lösung. In diversen Streiks kämpfen sie für bessere Arbeitsbedingungen. Wächst der Psychostress in der Arbeitswelt?
Das kommt auf die Branche an, weiß die Wissenschaft. Vor allem Berufe, in denen „Interaktionsarbeit“ geleistet werden muss, sind betroffen. Wer das Gefühl hat, den Stress nicht mehr kontrollieren zu können, trägt ein hohes Burnout-Risiko. Wenn Handlungsspielräume schrumpfen, sich Arbeit und Freizeit vermischen und die Führung eine*n nicht wertschätzt, kann der Arbeitsplatz zum Alptraum werden. Arbeitnehmer*innen aus vier Branchen erzählen über Arbeitsverdichtung sowie die kleinen und großen Belastungen ihres Arbeitsplatzes.
„Ich wurde zynischer“
Matthias Kortig* arbeitete mehrere Jahre in einem Jobcenter, sowohl als Sachbearbeiter als auch als Führungskraft
Die Arbeit in den Jobcentern ist stark von politischen Entscheidungen geprägt. Gefühlt kommen ständig neue Aufgaben und Themen hinzu. Und zwar, ohne dass andere Aufgaben wegfallen würden oder es einen Personalausgleich gibt. Das frustriert. Hinzu kamen höhere Arbeitsbelastungen, etwa durch die Integration von Geflüchteten aus Nahost ab 2014/15 und später aus der Ukraine oder die Bürgergeldreform.
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Letztere hat das SGBII komplett auf den Kopf gestellt. Als 2015 so enorm viele Flüchtlinge ankamen, mussten wir uns in vollkommen neue Rechtsgebiete einarbeiten. Hinzu kamen die Anerkennungsberatung von Berufsabschlüssen oder das Thema Aufenthalt und wer überhaupt hier arbeiten darf. Auch der Personalschlüssel geht nicht auf. Deshalb können nicht alle Menschen in der gleichen Qualität beraten werden. Klar frustriert das, unter den eigenen Ansprüchen zu bleiben.
Als Mitarbeiter bewegt man sich immer in einem Spannungsfeld, die vorgegebenen Ziele und Kennzahlen der Geschäftsführung zu erreichen und zugleich dem betreuten Arbeitssuchenden das beste Instrument an die Seite zu stellen. Zum Beispiel müssen geplante Plätze für Maßnahmen und Weiterbildung in der Regel besetzt werden. Da wird schnell an den Bedarfen des einzelnen Arbeitssuchenden vorbei vermittelt. Diese Abhängigkeit vom Erreichen der Kennzahlen habe ich immer als sehr frustrierend empfunden. Schafft man es, ist alles gut. Wenn nicht, wird alles infrage gestellt.
Ich habe den Job nicht wegen der Arbeitsbelastung aufgegeben, sondern hatte eine Chance zur Weiterentwicklung. Aber auch ich habe gemerkt, dass ich zynischer wurde. Im Jobcenter zu arbeiten ist psychisch anstrengend. Du belastest dich jeden Tag mit den Problemen anderer Menschen. Da muss man resilient sein.
Es gibt positiven und negativen Stress. Doch ab wann wird es zu viel und was sind die Schlüsselfaktoren für psychische Belastung am Arbeitsplatz? Lesen Sie über einen wissenschaftlicher Blick: „Wenn die Nerven immer dünner werden“
Es ist sehr gefährlich, die Leute hier dauerhaft zu überlasten. Das wird im Zweifel zu Krankheitsfällen und psychischen Erkrankungen führen. * Name geändert; Protokoll: Adefunmi Olanigan
„Die Problemlagen werden mehr“
Liliane Rosar-Ickler ist stellvertretende Landesvorsitzende der GEW Saarland und sozialpädagogische Leiterin an einer gebundenen Ganztagsgrundschule
Bei uns arbeiten Lehrkräfte und Erzieher*innen im Tandem. Hinter dem Konzept unserer Ganztagsschule steht die Idee, Unterrichtsinhalte mit pädagogischen Angeboten am Nachmittag zu verknüpfen. Beispielsweise nehmen die Kinder im Unterricht das Thema Wind durch, und mit den Erzieher*innen bauen sie in Kleingruppen eine Windmessstation. Das sind die schönen Momente unserer Arbeit.
Aber in letzter Zeit klappt das eher selten, wegen der Personalausfälle. Fast täglich reicht der Personalschlüssel nicht aus. Unser Träger hat zwar ein Springerkräftesystem, aber es kann die massiven Ausfälle nicht kompensieren. Und es wird immer schwerer, Fachkräfte zu gewinnen. Dann schafft man nur noch, die Aufsicht zu gewährleisten, den Alltag zu regeln. Das frustriert natürlich, das eigene Handwerk nicht ausführen zu können. Es ist auch ein Grund für die hohe Fluktuation in unserem Bereich.
Die Problemlagen werden mehr, aber die Ressourcen weniger. Die Einrichtungen werden größer, da immer mehr Plätze gebraucht werden. Hier spüre ich die Verdichtung auch im Administrativen. Hinzu kommen besondere Umstände, wie Corona. Andererseits sind da die vielen Päckchen, die die Kinder mit sich tragen: Fluchterfahrung oder existenzielle Ängste in der Familie durch Armut. Ich arbeite in einem der ärmeren Stadtteile. Viele der Kinder und Familien haben Multiproblemlagen. Das hat sich zuletzt verstärkt.
Als Leitung vermittle ich auch in weitere Fachhände. Oft muss ich vertrösten, weil auch im Frauenhaus oder in der Jugendhilfe die Ressourcen fehlen. Der Versuch, Familien hier unter die Arme zu greifen, bindet extrem viel Zeit und potenziert sich mit den erhöhten Schüler*innenzahlen. Eigentlich bräuchten sie eine sehr viel intensivere Zuwendung, als wir sie bieten können. Dann vertraut sich ein Kind uns an, aber uns fehlt oft einfach die Zeit. Am Ende geht man mit schlechtem Gewissen und dem Gefühl nach Hause, dem Kind nicht gerecht worden zu sein. Protokoll: Adefunmi Olanigan
Auch im vergangenen Jahr haben überwiegend Frauen in Deutschland in Teilzeit gearbeitet. Während jede zweite angestellte Frau einer Teilzeitbeschäftigung nachging, waren es bei den Männern nur rund 13 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Freitag auf der Grundlage des Mikrozensus berichtete. Insgesamt stieg die Teilzeitquote unter allen Angestellten erneut leicht von 30 Prozent im Vorjahr auf 31 Prozent.
Vor allem die Geburt eines Kindes war für viele Angestellte Anlass, die eigene Arbeitszeit zu reduzieren. Im vergangenen Jahr gingen zwei von drei Müttern minderjähriger Kinder einem Teilzeitjob nach, während das gleichzeitig nur auf jeden elften Vater zutraf. Gegen den Fachkräftemangel könnte die Aktivierung von Teilzeitkräften zur Vollzeit nur in einzelnen Branchen helfen, warnen die Statistiker. So gibt es in zahlreichen männlich dominierten Feldern wie Energietechnik, Heizungs-, Sanitär- und Klimatechnik oder auch am Bau meist nur sehr geringe Teilzeitquoten von gut 5 Prozent. Ausgeprägt hohe Teilzeitquoten wurden in den Bereichen Altenpflege (43 Prozent) und Gesundheit (39 Prozent) verzeichnet. Hier sei allerdings auch die Arbeitsbelastung außergewöhnlich hoch. (dpa)
„Wir müssen effektiver und schneller werden“
Christian Merder arbeitet seit 2014 in der Produktion von Volkswagen
Von Tag eins an bin ich in der Produktion, immer im selben Team. Ich verbaue bei der Arbeit das Cockpit, mein Team verlegt in dem Zuge auch die kompletten Kabelstränge im Auto. Das Ganze funktioniert nur, wenn ein Rad ideal ins nächste greift. Nur wenn der eine dem anderen hilft, eben als Team.
Seit ich 2014 angefangen habe, hat sich vieles verändert, weil die ganze Automobilbranche sich komplett gedreht hat. Mit dem Thema Elektromobilität ist der Druck auf Volkswagen natürlich größer geworden durch sehr viel Konkurrenz, die man vorher im Verbrenner-Segment nicht hatte.
Deswegen erleben wir eine Arbeitsverdichtung. Wir müssen effektiver und schneller werden, mehr Arbeitsschritte schaffen. Und all das mit der gleichen Anzahl an Leuten. Es ist halt einfach so, dass die Fahrzeuge von heute viel hochwertiger ausgestattet sind. Man hat viel mehr elektronische Bauteile und braucht deswegen etwa mehr Kabel, mehr Steuergeräte.
Andere Unternehmen bauen ein Fahrzeug in 22 Stunden, ehe es beim Kunden ankommt. Zurzeit brauchen wir für unsere Fahrzeuge noch länger, auch weil unsere Modelle oft komplexer sind. Da versucht man natürlich, alles zu komprimieren, dass man so nah wie möglich an die Produktionszeit der Konkurrenz rankommt. Das ist nicht immer ganz einfach.
Aber es wird auch ein großes Augenmerk auf Ergonomie gerichtet, darauf, dass die Arbeitsbedingungen auch zu uns Mitarbeitern passen. Das ist wichtig, weil wir nur mit einer guten, beständigen Mannschaft auch gute Autos bauen können. Würden wir ständig das Personal austauschen, könnten wir die Qualität nicht gewährleisten.
Ich bin immer noch jeden Tag froh, hier zu sein. Auch wenn sich vieles verändert hat, ist Volkswagen der attraktivste Arbeitgeber, den wir hier im Umkreis weit und breit haben. Protokoll: Carlo Mariani
„Ich wurde geräuschempfindlich, bekam Schlafstörungen“
Luca Resonnek*, Ärzt*in, kündigte nach einem Jahr Krankenhaus wegen Überarbeitung, pausierte im Anschluss anderthalb Jahre und ist aktuell in einer ambulanten Praxis beschäftigt
Nach meinem Studium fing ich im Krankenhaus in der Chirurgie an. Nach drei Monaten war ich allein für Nachtdienste zuständig. Mein erster war besonders hart: Ich bin nur gerannt, Flexülen legen, Wunden angucken, Verbände wechseln, bei einer Notoperation assistieren, zwei Stationen und die Wachstation im Blick behalten, runter in die Rettungsstelle. Hingesetzt habe ich mich nach 16 Stunden das erste Mal, direkt vor der Übergabe.
Am schlimmsten waren die 26-Stunden-Dienste von Samstag auf Sonntag. Mal hat man geschlafen, mal nicht, meist zwei, drei Stunden. Offiziell heißt das „Bereitschaftszeit“, denn 24 Stunden durcharbeiten ist nicht legal. Als ich anregte, dass wir unsere tatsächliche Schlafzeit mal notieren, hieß es: Auf keinen Fall! Dann bricht das ganze System zusammen.
Aber wenn man so lange auf den Beinen ist, schwindet irgendwann die Konzentration. Einmal stand ich in der Rettungsstelle vor einer Frau, ihr Bauch war reflexhaft angespannt, ein Alarmzeichen, es könnte ein Organ geplatzt sein. Ich versuche also übermüdet zu verstehen: Wann fingen ihre Schmerzen genau an? Die Patientin redet, aber ich bin nicht mehr aufnahmefähig. Was tun? Irgendwie weitermachen, später heulen.
Zu Hause habe ich Entspannungsübungen und Schlafmittel ausprobiert. Ich wurde geräuschempfindlich, bekam Schlafstörungen. Man muss viel emotional verarbeiten, aber dafür ist keine Zeit. Ein Beispiel: Ich assistiere bei einer Operation, wir haben die Hände im Bauch eines Mannes, um eine Blutung zu stoppen. Irgendwann ist klar: Entweder er verblutet jetzt auf dem Tisch, oder wir nähen dieses Blutgefäß zu und er wird vermutlich daran sterben.
Direkt danach musste ich in die Rettungsstelle und mich um einen kleinen Riss am Po eines Patienten kümmern, es geht einfach weiter. Das muss man erst mal hinkriegen! Es gibt keine Supervision, keine Nachbesprechungen. Meine Kolleg*innen waren alle engagiert, gleichzeitig ist in diesem System kaum Raum für Empathie, nicht für Patient*innen, nicht für uns. Nach einem Jahr wusste ich: Ich kündige. Ich war ausgebrannt. Ich habe anderthalb Jahre gebraucht, um zu entscheiden, ob ich es noch mal ärztlich versuchen will. *Name geändert; Protokoll: Jasmin Kalarickal
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