Tafeln müssen Bedürftige wegschicken: „Es gibt Hungernde in Hamburg“
Weil der Andrang so groß ist, nehmen 22 von 29 Tafeln in Hamburg niemand mehr auf. Der Sozialverband fordert eine Anhebung der Grundsicherung.
Die Hamburger Tafel selbst beliefert nur diese Ausgabestellen, wo Ehrenamtliche in Räumen von Gemeinden oder Einrichtungen die Lebensmittel verteilen. „Die haben uns zurückgemeldet: ‚Wir können nicht mehr. Die Wartelisten sind voll. Wir müssen stoppen‘“, berichtet Tafel-Sprecherin Julia Bauer. Die ersten taten dies vor vier Wochen, inzwischen ist es die Mehrheit.
Die Ursache sei eine „Mischung“ an Gründen. Zum einen stieg die Zahl der Bedürftigen rasant. Noch vor Corona wurden etwa 30.000 Hamburger über die Tafeln mit Essen versorgt, derzeit schätzt Bauer die Zahl auf rund 45.000. Wobei der Anteil der Ukraine-Flüchtlinge nicht entscheidend war. Für sie wurden 400 neue Plätze an den Ausgabestellen geschaffen, angesichts von 27.000 Ukraineflüchtlingen insgesamt nicht viel.
Seit Kriegsbeginn gingen aber Großspenden direkt nach Polen oder in die Ukraine, berichtet Bauer. Auch die Supermärkte kalkulierten knapper. Weil dort weniger übrig bleibt, holen auch die Wagen der Tafel weniger ab. „Wir müssen für das gleiche Volumen viel mehr Touren fahren.“
Supermärkte kalkulieren knapper
Aufnahmestopps gibt es im ganzen Land, wie der Bundesverband „Tafel Deutschland e. V“ mitteilt. Im Norden nähmen zum Beispiel die Tafeln in Kiel, Kappeln, Wunstorf und Schaumburg keine neuen Kunden auf, weil die Spenden nicht reichen.
Für Klaus Wicher ist dieser Stopp ein Hinweis, dass es vielen Menschen nicht gut geht. Er ist der Hamburger Vorsitzende des Sozialverbandes Deutschland (SoVD). „Es gibt Menschen, die hungern in Hamburg“, sagt Wicher. „Die kommen an die Tafel nicht ran und haben am Monatsende ein paar Tage nichts zu essen.“ Das wisse er, weil er mit Menschen sprach, die ihm das anvertrauten. Sein Verband betreibt in Hamburg-Osdorf ein Sozialkaufhaus gegenüber einer Tafel. Der SoVD habe dort Essensgutscheine verteilt.
Wicher fordert, dass Hamburg aus Landesmitteln die Grundsicherung für alte Menschen erhöht, so wie es München tut. Dringend nötig sei auch eine deutliche Erhöhung von Hartz IV und Grundsicherung, die an die Inflation gekoppelt ist. Eine im Zuge des neuen „Bürgergelds“ diskutierte Anhebung um 40 bis 50 Euro sei „viel zu wenig“.
Grüne wollen Initiative starten
Ein Agenturbericht zum Tafelstopp findet sich auch auf der Website hamburg.de, die zum Teil der Stadt gehört. Deren Sozialbehörde indes sieht sich nicht so richtig zuständig. Auf die Frage, was Menschen, die mit ihrem Geld nicht genug Essen kaufen können, tun können, verweist eine Sprecherin auf die „Sozialleistungsbezüge“. Etwa ein Drittel des Regelsatzes der Grundsicherung sei für Lebensmittel. „Damit können sie sich mit Nahrungsmitteln versorgen und selbstbestimmt einkaufen.“
Allerdings wurde dieser Regelsatz zu Jahresbeginn lediglich von 446 auf 449 Euro im Monat angehoben, recht wenig bei acht Prozent Inflation. Dazu gibt es für 2022 nur eine Einmalzahlung von 200 Euro wegen der Krise. „Die Regelsätze sind viel zu niedrig, ich wüsste überhaupt nicht, wie man davon gesund einkaufen soll“, sagt die Linken-Sozialpolitikerin Olga Fritzsche. Auch sie kenne Menschen, die hungern. Die Tafel sei nur ein „Notnagel“ und zeige, dass die Leute nicht klarkommen.
„Die Tafel ist ein untaugliches Mittel, um arme Menschen zu versorgen. Das ist eine staatliche Aufgabe“, sagte Wolfgang Völker vom Sozialbündnis „Hamburg traut sich was“. Der Aufnahmestopp sei für die Nutzer total ärgerlich, sagt er. Als private Anbieter dürften die Tafeln so entscheiden, aber gegenüber dem Staat habe jeder Bürger „ein Recht auf Existenzsicherung“.
Immerhin kündigte mit Mareike Engels eine Sozialpolitikerin der Grünen Anfang Mai eine „Initiative“ des rot-grünen Hamburgs für eine „relevante Regelsatzerhöhung“ mit „armutsfestem Anpassungsmechanismus“ an. Auch sie fürchtet, dass Strom- und Lebensmittelpreise sonst nicht aufgefangen würden. Angesichts des Tafelstopps daran erinnert, bekräftigt Engels, dies sei weiter ein „wichtiges Anliegen“, das Hamburg zum Ausdruck bringen wolle. Nur diskutiere die Koalition gerade noch, „in welcher Form“das passieren soll.
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