piwik no script img

TTIP-Eklat im EU-ParlamentHuch, was is’n da los?

Wochenlang hatten sich Abgeordnete des EU-Parlaments auf die TTIP-Debatte vorbereitet. Dann sagte Martin Schulz sie plötzlich ab.

Wie hältst du‘s mit der Demokratie? Foto: dpa

Brüssel taz | Das Europaparlament hat es nicht geschafft, sich auf eine gemeinsame Haltung zum umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA zu verständigen. Wegen tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten vor allem zum geplanten Schutz ausländischer Anleger durch private Schiedsgerichte (ISDS) blies Parlamentspräsident Martin Schulz die am Mittwoch geplante Abstimmung kurzerhand ab. Auch eine seit Wochen geplante TTIP-Debatte wurde abgesagt, was zu heftigen Protesten führte.

Ursprünglich wollten die EU-Abgeordneten ihre Positionen zu den Schiedsgerichten ebenso wie Umwelt- und Gesundheitsschutz, Sozialstandards und vielen anderen kniffligen Themen in einer Resolution festlegen. Damit hätten sie Einfluss auf die bereits seit zwei Jahren laufenden Verhandlungen zwischen der EU und den USA genommen. Zwar wäre das Votum nicht bindend – da das Parlament am Ende den fertigen TTIP-Text annehmen muss, hätte es aber eine wichtige Signalwirkung.

Doch der Widerstand ist groß: Die Bürgerinitiative „Stop TTIP“ meldete Anfang dieser Woche 2 Millionen Unterschriften gegen das Abkommen, einen neuen Rekord.

Gleichzeitig starteten die Wirtschaftsverbände eine massive Kampagne Pro TTIP. Der Investorenschutz dürfe nicht angetastet werden, forderten die Lobbyisten. Genau das war aber das Ziel zahlreicher Änderungsanträge im Parlament. Am Ende zog Schulz die Notbremse – sehr zum Ärger vieler TTIP-Kritiker. „Selbstherrlich“ habe Schulz gehandelt, kritisiert Grünen-Vordenker Reinhard Bütikofer. Von einem „demokratischen Skandal“ spricht sein Fraktionskollege Sven Giegold. Wie kam es dazu? Schulz begründete seine Entscheidung mit der großen Zahl von Änderungsanträgen – angeblich waren es über 200. In solchen Fällen sei es üblich, das Thema zurück in die Fachausschüsse zu überweisen.

Tumultartige Szenen

Die Geschäftsordnung des Parlaments sieht dies vor. Doch dass auch eine Plenardebatte abgesagt wird, ist absolut unüblich. Nur mit der äußerst knappen Mehrheit von 183 zu 181 Stimmen konnten konservative und liberale Abgeordnete ihren Antrag auf Vertagung durchsetzen. Die Debatte solle nicht von der Abstimmung getrennt geführt werden, hieß das Argument in den Reihen von CDU/CSU.

Schulz ließ dieses ungewöhnliche Manöver in letzter Minute zu. Viele Abgeordnete, die sich seit Wochen auf die große TTIP-Debatte vorbereitet hatten, reagierten empört. Es kam zu tumultartigen Szenen, bei denen sich die Parlamentarier mit Vorwürfen bombardierten.

TTIP-Fahrplan

Zeitrahmen: Beim G-7-Gipfel in Elmau haben die Staats- und Regierungschefs vereinbart, die TTIP-Verhandlungen zu beschleunigen. Noch im Jahr 2015 sollen die "Umrisse eines Abkommens" stehen. Obama will TTIP vor dem Ende seiner Amtszeit im Januar 2017 unter Dach und Fach haben.

Nächste Schritte: Die Verhandlungen haben im Juni 2013 begonnen, zuletzt trafen sich die Unterhändler von EU und USA im Mai. Dass die Abstimmung über die gemeinsame Stellungnahme des EU-Parlaments verschoben wurde, habe keine Auswirkungen auf die Verhandlungen zwischen EU und USA, heißt es von Seiten der EU-Kommission. Die Gespräche würden wie geplant fortgesetzt.

Wann: Die nächste Runde ist noch "vor dem Sommer" geplant. (vb)

„Mir macht es Angst, wenn ich sehe, wie die Links- und die Rechtsradikalen hier im Haus sich gegenseitig in Rage reden und die Grünen an der Seite dieser Leute stehen“, sagte der Chef der größten Fraktion, der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU). Zusammen mit Schulz gibt Weber den Ton in Straßburg an. Darauf entgegnete die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rebecca Harms: „Wenn jetzt jeder, der kritisch ist gegen TTIP und private Schiedsgerichte, an den Pranger gestellt wird als links und rechtsradikal, dann frage ich mich, was wir für eine Basis der Zusammenarbeit haben.“

Das Tischtuch ist zerrissen, die Fronten sind offen aufgebrochen. Ziel der wochenlangen Debatten war es, eine gemeinsame Haltung zu den TTIP-Verhandlungen zu finden, die bereits seit zwei Jahren ohne parlamentarische Kontrolle laufen.

Sozialdemokratisches Lavieren

Die Haltung des Parlaments wäre zwar nicht bindend, die EU-Kommission könnte sich darüber hinwegsetzen. Aber das Votum der EU-Abgeordneten hätte großes Gewicht gehabt, da sie am Ende das fertige TTIP-Abkommen annehmen müssen – oder auch ablehnen können. Vor allem die Wirtschaft hofft auf ein klares „Ja“. Aber auch Kanzlerin Angela Merkel machte Druck, zuletzt beim G-7-Treffen in Elmau.

Zu spüren bekamen dies vor allem die Genossen von Präsident Schulz. Die europäischen Sozialdemokraten hatten nämlich in letzter Minute versucht, das Parlament auf eine Ablehnung von privaten Schiedsgerichten festzulegen. Diese geben ausländischen Investoren das Recht, gegen Gesetze zu klagen und Entschädigung zu fordern.

Vor zwei Wochen hatten die Sozis noch einer weichen Formulierung zugestimmt, die ISDS irgendwann durch einen neuen Handelsgerichtshof ersetzen, aber nicht völlig ausschließen sollte. Das wollte der Vorsitzendes des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD), nun nachbessern. Er reichte einen Änderungsantrag ein, der festlegt, dass zur Beilegung von Investorklagen „nicht auf private Schiedsgerichte zurückgegriffen wird“. Es müsse klargestellt werden, „dass private Schiedsgerichte tot sind“. Doch da spielten Konservative und Liberale nicht mit.

Wie es weitergeht, ist unklar. Die letzte Entscheidung liegt bei Schulz – er muss nun zeigen, wie viel ihm an der demokratischen Meinungsbildung wirklich liegt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Das Eurpaparlament stimmt auch über seine eigene Existenzberechtigung und damit über seine Zukunft ab.

     

    Schafft es das Europaparlament nicht, etwas derart Demokratiewidriges wie die sogenannten “Schiedsgerichte” der Reichen-Sondergerichtsbarkeit zu verhindern, schafft es nicht, das internationale Korruptionsabkommen TTIP aufzuhalten, so hat es sich selbst seiner Existenzberechtigung beraubt. Denn ein Parlament, was noch keine wirklich demokratische Funktion hat (siehe das Demokratiedefizit der Europäischen Union), dann aber bei erster Gelegenheit sogar das Bisschen Volksmacht wegwirft, das ihm überhaupt zur Verfügung steht, wäre vollkommen überflüssig.

     

    Insofern ist der Streit um die sogennanten “Schiedsgerichte” tatsächlich ein Meilenstein der Geschichte der EU. Es könnte auch ihr Grabstein werden.

  • Keine Notwendigkeit - keine Transparenz - keine offene Debatte - keine Abstimmung - kein TTIP.

    Läuft doch!

    • @Rainer B.:

      Sach ich doch -

       

      SCHULZ !

  • Die Befürworter haben den wichtigsten Punkt nicht angesprochen: Warum man das was man mit TTIP erreichen will in Form eines Vertrages machen will und nicht nich Form von Gesetzesänderungen.

    Den Zoll für alle Produkte auf Null setzen? Geht auch ohne Vertrag. (Hoch ist der Zoll eh nicht, bei vielen Produkten sowieso Null, bei anderen ein paar %, größer-gleich 5% für ein paar wenige Sachen). Währungsschwankungen EUR/Dollar sind da ein viel größeres Thema.

    Kompatible Vorschriften damit man keine getrennten Europa/USA Versionen braucht? Auch für das kann man einfach Gesetze erlassen. Und vor allem: wieder ändern falls es sich nicht bewährt.

    Aus dem Vertrag kommen die Staaten nur nach 30 Jahren wieder raus. Haben also ein Parlament das nichts entscheiden darf weil es im Vertrag ja schon festgelegt ist. Am Ende hat man eine Demokratie die nichts zu entscheiden hat, denn die wichtigen Sachen sind per TTIP & Co. auf Lebenszeit fest gelegt.

    • @Milchpreis:

      "Am Ende hat man eine Demokratie die nichts zu entscheiden hat..."

       

      Genau das ist der Sinn des Abkommens.

  • Machtpolitik in reinster Form... und konsequent ... Parlament ausgehebelt, davor EBI ...

     

    ... schon unterschrieben?

     

    ... http://stop-ttip.org

  • Das wäre wohl auch zu schlimm gewesen, wenn man in der Debatte gesehen hätte, dass die TTIP-Befürworter keine und die TTIP-Gegner alle wesentlichen Argumente auf ihrer Seite gehabt hätten. Und dann noch Zeit bis zur nächsten Abstimmung, so dass dieser Eindruck wirken kann... Da muss man eben die Notbremse ziehen.

  • Das Vertrauen in die Politik und besonders in die EU Institutionen wird bestimmt enorm wachsen, wenn TTIP weiter im stillen Kämmerlein ausgeklüngelt wird und das Parlament dazu nichts sagen darf. Danke Herr Schulz. Sie spielen den EU Gegnern direkt in die Hände.

  • "…Wie es weitergeht, ist unklar. Die letzte Entscheidung liegt bei Schulz – er muss nun zeigen, wie viel ihm an der demokratischen Meinungsbildung wirklich liegt."

     

    Drei-Länder-Eck-Patriarch -

    damit sein alleinzutreffender Titel!

     

    SCHULZ!

  • Wie auch immer: Ich finde die Vertagung der TTIP Debatte und etwaiger Beschlüsse "Gut und Notwendig" ! Auch vor dem Hintergrund des Ukraine Disasters und dem künstlich forciertem neuen "Kalten Krieg" gegen Russland.. dieser bisherige TTIP Entwurf entspricht mehr historischem Blockdenken .. und entspricht nicht den Ideen "Europäischen Friedens" und den Gedanken von Annäherung und friedlicher Kooperation mit Russland/Eurasischer Union..!

    Wäre zu begrüssen das die TTIP Debatte nach der Sommerpause sich mehr am `Primat des Politischen , des Zivilen und dem Frieden´ orientiert und nicht so sehr an Industrie, Konsum und Banken, Geldmacht !

  • Spannend wäre jetzt gewesen, was die PARTEI dazu sagt. Ist natürlich entschuldigt, wenn Herr Sonneborn grade im wohlverdienten Urlaub ist.

  • 1G
    12671 (Profil gelöscht)

    Ein Armutszeugnis für das Europaparlament - genau so arm wie die Kommentare im Vorfeld der Plenardebatte, wo TTIP-Gegner von der CDU als Kommunisten bezeichnet wurden, siehe dieser Kommentar des EU-CDU-Mannes Werner Langen unter http://analogo.de/2015/06/05/werner-langencdu-ttip-kritiker-sind-kommunisten/

  • Nicht dass ich es anderst erwartet hätte, aber es ist trotzdem unglaublich: Wenn die Gefahr besteht, dass für die Wirtschaft unerwünschte Abstimmungsergebnisse ins Haus stehen, werden Abstimmungen und Debatten einfach abgesetzt. Man nennt so etwas einen Putsch gegen die Demokratie... unglaublich

  • private Schiedsgerichte gehen gar nicht! Wofür gibt es denn bitte den Staat und seine 'demokratisch legitimierten' Institutionen? Wofür zahlen Bürger Steuern, wenn nicht für eine vernünftige Volksvertretung. Oder siehts in der EU-Komission ähnlich korrupt aus, wie bei der FIFA?

     

    Mir sind Volkswagen-Arena und Signal-Iduna-Stadion schon genug, spezielle Google-, Facebook-, Halliburton-, amerikanische Privatarmee-Söldner-Gerichte mit eigenen Rechtssprechungen bedeuten eine Aufweichung allgemeiner Rechtssicherheit, die Verabschiedung von Menschen- und Völkerrechten!