Systemkrieg in den Revierförstereien: Forstwirtschaft auf dem Holzweg

In ihrem Buch „Der Holzweg“ plädieren Waldexperten und Ökologen für einen naturnahen Umbau von Wäldern. Holznutzung kommt erst später in Betracht.

Getreideernte vor abgestorbenen Fichten

Sterbende Bäume im Westerwald. Vor allem Fichten gehen zugrunde Foto: Paul Langrock

Der Wald darbt unter den drei Dürrejahren. Fast 300.000 Hektar Fichten- und Kiefernfroste sind seit 2018 vertrocknet. Und das ist auch gut so, denn wo die braunen Nadeln rieseln, bringen sie Licht in das Unterholz der Forstideologie. Erst Förster haben zu dem ökologischen Desaster im Wald geführt, wie die Au­to­r:in­nen des Buchs „Der Holzweg“ wissenschaftlich begründet und verständlich darlegen. Forstideologie klingt nach Systemkrieg, und genau der tobt in den Revierförstereien und den forstwissenschaftlichen Fakultäten von Göttingen, Tharandt oder der Hochschule Eberswalde. Wie in jedem Systemkrieg geht es um wirtschaftliche Pfründen und Besitzstandswahrung, um politische Macht und im Forstwirtschaftskampf um 1 Milliarde Euro Subventionen aus der Staatskasse für das forstliche „Weiter so“.

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Für die forstwirtschaftliche Hartholzkopffraktion steht Waldbesitzerverbands-Präsident Hans-Georg von der Marwitz, der für die CDU im Bundestag sitzt. Er nutzt seine politische Macht, damit die seit 300 Jahren gepflegte Forstwirtschaft in Deutschland die Säge in der Hand behält. Und die Waldprämien von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) für die Bewirtschaftung von Bäumen fließen. „Es liegt an uns, die Deutungshoheit nicht zu verlieren“, forderte von der Marwitz im März 2021 auf einer Onlineveranstaltung von Forstbetreibern und den systemtreuen Forstwissenschaftlern wie Christian Ammer aus Göttingen.

Der Au­to­r:in­nen des „Holzwegs“ sägen an der försterlichen Deutungshoheit. Sie wollen über die „Forstmärchen“ aufklären und das „forstliche Paradigma“ zerstören. Die im Buch versammelten Forstwirte, Ökologinnen, und Forst­wis­sen­schaft­le­r:in­nen wollen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Boden- und Baumökologie zu einem neuen Waldbau beitragen, der den Wald als Ökosystem anerkennt. Aus diesem Verständnis soll der Wald naturnah aufgebaut und dann das Holz genutzt werden.

Waldbau bedeutet in dem Verständnis der „Holzweg“-Autor:innen, den natürlichen und konstanten Wandel im Wald zu ermöglichen und dem Wald damit die Gelegenheit geben, mit Erderwärmung und den Auswirkungen des Klimawandels umzugehen. Förster müssten „Störungen als Motor der Waldentwicklung“ akzeptieren, wie der österreichische Botaniker Wolfgang Scherzinger im „Holzweg“ schreibt. Also nach einem Sturm die gestürzten Bäume liegen lassen und dem Wald Zeit geben, sich zu entwickeln.

„Der Holzweg. Wald im Widerstreit der Interessen“, Hg.: Hans D. Knapp, Siegfried Klaus, Lutz Fähser; oekom Verlag, München, 2021, 420 Seiten

Das „forstliche Paradigma“ hingegen verhindert Natur im Wald. „Forstleute bauen den Wald, gestalten und pflegen ihn. Sie tun etwas, weil es die Natur nicht so gut kann, so deren tiefes Selbstverständnis“, schreibt Forstingenieur Karl-Friedrich Weber, der seine Einschätzung auf 30 Jahre im Revierdienst des Landesforsts Niedersachsen stützt.

Das Paradigma der konventionellen Forstwirtschaft

Auf einem Blog streitet er seit Jahren für eine natürliche Waldwirtschaft und kann als praxis­erfahrener Förster die Vorzüge der Waldökologie im „Holzweg“ auch wirtschaftlich begründen: „Die biologische Produktion steht für den Boden (Natur), die technische Produktion für Arbeits- und Kapital­intensität. Das Paradigma der konventionellen Forstwirtschaft richtet sich überwiegend auf die Optimierung der technischen Produktion von Holz und das Einsparen von Kosten. Es nimmt dadurch den Konflikt mit der biologischen und sozialen Wertschöpfung in Kauf. Das geht zulasten des Naturkapitals Boden, Wasser, Luft und Lebensvielfalt.“

Weber gehört zu den zahlreichen Old Boys der Waldmoderne, die ihr Wissen aus Jahrzehnten der Forst- und Waldpraxis im „Holzweg“ ausbreiten. Mit dabei sind Hans Bibelriether, einst Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald, und sein Kollege Lebrecht Jeschke, der am Nationalparkprogramm zu DDR-Zeiten arbeitete. Sie erzählen kenntnisreich aus ihrem eigenen Erleben von der höheren Artenzahl in natürlichen Wäldern oder der Stabilität natürlicher Wälder in Stürmen und Dürren. Dank ihrer jahrzehntelangen Erfahrung im Wald widerlegen sie die profitgeleiteten forstwirtschaftlichen Schleifen, die Förster auf jeder Waldbautagung erneut vorbringen.

Gestürzte Bäume liegen lassen und dem Wald Zeit geben, sich zu entwickeln

„Die Behauptung, wirtschaftlich genutzte Wälder seien vitaler und deutlich widerstandsfähiger gegen Schnee und Sturm, ist frei erfunden“, schreibt Bibelriether, der im Nationalpark Bayerischer Wald nicht unter dem Druck von Renditeerwartungen aus der Holzvermarktung oder Forstwirtschaft stand. Doch genau diese Erkenntnisse aus den in Ruhe wachsenden Wäldern auf ehemaligen Fichtenforsten sind im Jahr 2021 so wertvoll für das, was nun „Waldumbau“ heißt.

Die Pioniere der ökologischen Forstwirtschaft Lutz Fähser im Stadtwald Lübeck und Martin Levin im Stadtwald Göttingen erzählen, wie sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Waldökologie im Wirtschaftswald umgesetzt haben. Jahrzehntelang wurden sie von Förstern landauf, landab lächerlich gemacht, gemieden und die Naturwaldbewirtschaftung als nicht übertragbarer Sonderweg marginalisiert.

Im „Holzweg“ berichten sie von 35 Jahren Erfahrungen mit der natürlichen Waldbewirtschaftung, die mit der Natur den forstwirtschaftlichen Holzvorrat aufbaut und nicht gegen die Natur. „Vorrat“ nennen alle Förster die im Wald stehenden Bäume – womit auch klar wird, dass ein Wald nur ein Lager für künftige Holznutzungen darstellt. In der natürlichen Waldbewirtschaftung wachsen und altern Bäume, anstatt dass der Förster den Wald alle zehn Jahre durchforstet und Löcher in das Kronendach schlägt.

Auch das „Durchforsten“ gehört in die Abteilung Forstmärchen. Die im försterlichen Paradigma hängenden Förster behaupten unverdrossen, dass sie die Bäume stärken, wenn sie einzelne Bäume frei schneiden. Dieser Gedanke hat sich im 19. Jahrhundert bei deutschen Förstern festgesetzt und er ist falsch. Seit Mitte der 1990iger Jahre ist wissenschaftlich belegt, dass Bäume über Wurzeln mithilfe von Pilzen untereinander Nährstoffe austauschen. Wer sich dafür interessiert, kann sich den unterhaltsamen TED-Talk der US-amerikanischen Forstwissenschaftlerin Suzanne Simard anschauen. Simard hat bei Douglastannen nachgewiesen, dass Mutterbäume ihren Nachwuchs über Wurzeln versorgen. Viele deutsche Förster halten das noch heute für esoterisches Geschwurbel.

Deutsche Forst­wis­sen­schaft­le­r:in­nen haben auch mittlerweile festgestellt, dass die offenen Kronendächer den Wald in Deutschland austrocknen. Sonnenstrahlen fallen auf den Waldboden und dörren ihn aus, Wasser verdunstet aus dem offenen Blätterdach heraus.

Die Herausgeber von „Der Holzweg“ rund um den Naturschützer Michael Succow wollen Veränderungen in der Politik anstoßen. Sie haben daher anerkannte Wis­sen­schaft­le­r:in­nen wie Pierre L. Ibisch, Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, miteinbezogen. Er zeigt auf, wie das „Klimaschutznarrativ die Wälder bedroht“, wie also die Forstwirtschaft den Klimawandel nutzt, um das forstliche Paradigma in die Zeiten von Dürre und Hitze zu retten.

Das wäre fatal – für den Wald und alle Bewohner im Ökosystem Wald. Da auch Menschen den Wald brauchen, kann man nur hoffen, dass sie mit dem Wissen vom „Holzweg“ eine kritische Öffentlichkeit für den „Paradigmenwechsel“ schaffen.

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