Südafrika und Omikron: Die Strafe der Welt
Dass die Omikron-Variante in Südafrika entdeckt wurde, liegt auch am hohen Niveau der medizinischen Forschung dort.
Seitdem lobten viele – von US-Präsident Joe Biden bis hin zum scheidenden deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn – die „vorbildliche Transparenz“ und das „Weltklasseniveau“ der medizinischen Forschung in Südafrika – um dann aber umgehend strenge Flugverbote gegen Südafrika und seine Nachbarländer zu verhängen.
Die Weltgesundheitsorganisation warnte davor, „mit Reiseverboten die neue Variante zu bekämpfen“, während noch viel zu wenig bekannt sei über deren Wirkung und Verbreitung. Auch südafrikanische Wissenschaftler*innen argumentierten von Beginn an dagegen, weil gerade jetzt Austausch und Kommunikation auf Augenhöhe nötig seien. Glenda Gray, Präsidentin des Südafrikanischen Medizinischen Forschungsrates sagt: „Omikron wurde so schnell entdeckt bei uns, weil bei ersten noch undeutlichen Abweichungen von Testergebnissen in einem privaten Labor sofort spezialisierte Virolog*innen an mehreren Universitäten informiert wurden.“
Südafrikas Regierung beschwerte sich ebenfalls darüber, dass das Land dafür bestraft werde, dass es als erstes die neue Variante erkannt hätte. Präsident Cyril Ramaphosa erklärte: „Wir sind zutiefst enttäuscht über die Entscheidung mehrerer Länder, ein Reiseverbot zu uns und unseren Nachbarländern zu verhängen.“ Dies stehe im Widerspruch zu den Zusagen, die viele dieser Länder auf dem G20-Treffen im Oktober gegeben hätten.
Einbußen beim Tourismus
„Das einzige, was hierdurch erreicht wird, ist weiterer Schaden für unsere Wirtschaft und das Leben unserer Menschen, die gerade begonnen haben, sich mit viel Mühe von den Folgen der Pandemie zu erholen“, sagte Ramaphosa. Allein im für Südafrika so wichtigen Tourismus kam es zu mehr als 80 Prozent Absagen für die bevorstehende Sommersaison im Dezember und Januar.
Die stellvertretende Vorsitzende der Allianz für Impfstoffentwicklung der Afrikanischen Union, Ayoade Alakija, erklärte: „Wenn das erste Coronavirus statt in China in Afrika entdeckt worden wäre, bin ich sicher, dass die Menschen auf dem afrikanischen Kontinent als erste Reaktion isoliert, de facto also eingesperrt, worden wären.“ Anschließend wäre, so Alakija, der Schlüssel zu jeder Heilung weggeworfen worden: „In medizinische Forschung wurde bislang immer nur global investiert, wenn auch reiche Länder unmittelbar betroffen sind. Da brauchen wir nur an Malaria oder die Anfänge von Aids zu denken.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Weltweit waren Südafrika und Großbritannien die ersten Länder, die in der globalen Coronakrise sogenannte genomische Überwachungsysteme aufbauten, bereits ab April 2020 wurde damit begonnen.
„Südafrika verfügt inzwischen über ein Monitor- und Warnsystem, das landesweit oft besser funktioniert als in vielen Ländern Europas“, sagt Glenda Gray. Im Kern geht es bei diesem Warnsystem um die Sequenzierung des Virus und seiner möglichen Mutationen, also einer sorgfältigen Erforschung der Reihenfolge von Virusentwicklungen.
Um neue Varianten aufspüren zu können, müssen verschiedene Instanzen zusammenarbeiten: Die staatlichen und privaten Testzentren als erste Anlaufstellen melden jede Auffälligkeit den Virusexpert*innen der Universitäten, die über den nationalen Gesundheitslabordienst sowie die Gesundheitsdatazentren in allen neun Provinzen gut miteinander vernetzt sind.
Die Impfquote in Südafrika liegt heute nach Angaben internationaler Organisationen bei 24,4 Prozent, die Regierung gibt 35,6 Prozent an. Das ist noch immer weit entfernt vom Ziel, mindestens 67 Prozent bis Jahresende zu impfen. Aber viel besser als in vielen ärmeren Ländern Afrikas mit nur bis zu 3 Prozent.
In Südafrika gibt es jetzt erstmals mehr Impfstoff als Menschen, die zum Impfen bereit sind. Umgehend kamen im Zusammenhang mit Omikron Vorwürfe westlicher Regierungen, dass es zuerst an den sich verweigernden Afrikaner*innen liegen würde, wenn die Impfquoten so niedrig seien.
„Es ist Unsinn, wenn jetzt in Großbritannien gesagt wird, dass das Problem zuerst das Zögern der Menschen in Afrika ist, sich impfen zu lassen“, sagt der südafrikanischen Genetikprofessor Tulio de Oliveira. In Großbritannien gebe es gehorteten Impfstoff für die nächsten anderthalb Jahre, „Und jetzt wollen sie uns Impfstoffverweigerung in Afrika vorwerfen?“, so de Oliveira. Die Menschen in Südafrika zögerten beim Impfen auch, weil es ein Misstrauen gegenüber den entwickelten Ländern im Norden gebe.
Dieses Misstrauen rührt auch von bisher gemachten Erfahrungen. So sagte kürzlich Gordon Brown, der frühere britische Premier und heutige UNO-Botschafter für globale Gesundheitsfinanzierung, dass zwar inzwischen „genug Impfstoff produziert wurde, um die gesamte Weltbevölkerung zu impfen“, aber „wenige reiche Länder das meiste weiter für sich horten“. Von den bislang gemachten Zusagen hätte die „EU nur 19 Prozent wahrgemacht, Großbritannien sogar nur 11 Prozent“.
Die Lage in Südafrika ist schwierig. Doch es gibt auch erste Erfolge, etwa aus dem Ostkap, einer der ärmsten überwiegend ländlichen Provinzen, wo es lange Zeit die höchsten Todesfälle durch Corona gab. Seitdem dort durch Hausbesuche und ambulante Impfstationen mehr als eine Million Menschen vollständig geimpft sind, gehen die Zahlen von schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen deutlich zurück.
Inzwischen wird mit vorsichtiger Erleichterung festgestellt, dass die neue Omikron-Variante in Südafrika zwar mehr jüngere Leute betrifft, aber die Verläufe bisher weniger ernst sind. Eine Entwicklung ist dennoch beunruhigend: Seit Mitte November haben sich die täglichen Infektionszahlen in Südafrika stark erhöht, von unter 250 auf am Donnerstag 11.535 neue Fälle. Davon entfallen 80 Prozent auf die Omikron-Variante.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen