Subventionen für die Automobilindustrie: Staatliche Beatmungshilfe
Mit Milliardenbeträgen sollen die Autobauer wieder fit gemacht werden. Dabei zahlt der Steuerzahler jetzt schon für das Autofahren viel Geld.
Nun verhandelt die Regierung mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) bis Anfang Juni über ein „Konzeptpapier“ zu Konjunkturhilfen. Klar ist nur: Die deutsche Autoindustrie wieder auf die Straße zu bringen wird teuer für den Staat. 2019 wurden in Deutschland 3,6 Millionen Pkws neu zugelassen. Käme die „Innovationsprämie“ der Ministerpräsidenten in diesem Umfang, wären das mehr als zehn Milliarden Euro im Jahr.
Viel Geld – aber eine überschaubare Summe, wenn man sie damit vergleicht, wie viel die deutschen SteuerzahlerInnen regelmäßig und ohne große Debatte aufwenden, um das System Auto am Laufen zu halten. Jedes Jahr fließen Dutzende von Milliarden an Subventionen in den Individualverkehr – darunter direkte Zahlungen, indirekte Hilfen, Verzicht auf Einnahmen und Bußgelder, Investitionen in die Infrastruktur.
Rechnet man alle Kosten und Einnahmen gegeneinander auf, bleibt ein riesiger Minusbetrag über. „Jedes Jahr pumpen wir unter dem Strich etwa 30 Milliarden Euro in dieses System“, sagt Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). „Obwohl alle wissen, dass der motorisierte individuelle Verkehr so in der Zukunft nicht weitergehen kann.“
Die „externen Autokosten in der EU-27“ bezifferte eine Studie der TU Dresden schon 2012 im Auftrag der Grünen im EU-Parlament. Ergebnis: Europa steckt jedes Jahr 373 Milliarden Euro – drei Prozent des Wirtschaftsprodukts – in den Autoverkehr. In Deutschland waren das 88 Milliarden Euro. Darunter zählten die Wissenschaftler aus Dresden in ihrer Überblicksstudie die Kosten aus Unfällen, Luftverschmutzung, Klimaschäden, Lärm oder der Nutzung von Flächen. Nicht enthalten waren Straßenbau oder Staukosten, auch Stickoxid-Belastung spielte noch keine Rolle. Aber auch damals war schon klar: Jeder Europäer „externalisiert Autokosten von 750 Euro pro Jahr an andere Personen, Länder und Generationen“.
Autos schädigen die Umwelt
Für Deutschland sind die direkten Hilfen für die Autokratie gut belegt. Das Umweltbundesamt (UBA) führt regelmäßig Buch über „umweltschädliche Subventionen“. Darin finden sich mit Stand von 2019 die Vergünstigung für Diesel (7,5 Milliarden weniger Steuereinnahmen), die Entfernungspauschale (5,1 Milliarden), die Steuervorteile für Dienstwagen (3,1 Milliarden) und die Förderung von Biokraftstoffen (eine Milliarde). Die Bilanz des UBA: Allein der Bund gibt für die Umweltzerstörung durch das automobile System pro Jahr 16,7 Milliarden Euro aus.
Dazu kommen die Zahlungen für Bau und Unterhalt der Straßen. Im Bundeshaushalt 2020 hat der Verkehrsminister mehr als 9 Milliarden Euro dafür eingeplant. Aus den Ländern kommen weitere Gelder, allein das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg gibt im laufende Jahr 1 Milliarde für die Auto-Verkehrswege aus.
Umwelt- und Klimaschäden aus dem Verkehr, etwa aus der Verbrennung von Ölprodukten, dem Lärm oder dem Abrieb der Reifen, werden durch Steuern und Abgaben nur teilweise ausgeglichen. So sieht etwa das (von den Grünen über den Bundesrat noch verbesserte) Klimaschutzgesetz einen CO2-Preis im Emissionshandel auch für den Verkehr vor. Er beginnt ab 2021 bei 25 Euro. Die Schäden durch eine Tonne CO2 beziffert das UBA allerdings auf gut das Siebenfache: 180 Euro. Selbst mit dem Emissionshandel bleiben also in jedem Jahr Umweltschäden in Höhe von über 15 Milliarden Euro, die nicht vom Autoverkehr, sondern von der Allgemeinheit getragen werden müssen.
Die Autolobby dagegen verweist darauf, sie zahle bereits. „Kaufprämien würden sich nach kurzer Zeit rechnen und durch sich selbst finanzieren“, verspricht VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Das entlaste den Staat durch weniger Kurzarbeit und helfe besonders auch dem Mittelstand. Die Unternehmen der Branche hätten im letzten Jahr 93 Milliarden Euro an Steuern gezahlt, sagt Müller. Das seien allerdings normale Gewinn- und Umsatzsteuern, die auch andere Branchen entrichten, entgegnen Kritiker.
Der ADAC kann auf taz-Anfrage „keine finanzielle Lücke zwischen den staatlichen Ausgaben und Einnahmen aus dem Straßenverkehr“ erkennen. „Über Energiesteuer, Kfz-Steuer und Lkw-Maut nimmt der Staat wesentlich höhere Einnahmen ein, als er für den Bau und Unterhalt der Straßen ausgibt“, erklärt der Autoclub. „Somit trägt der Straßenverkehr wesentlich zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben für die Allgemeinheit bei.“ Zu den „sogenannten externen Kosten“ bei Verkehrssicherheit und Umwelt gebe es „sehr unterschiedliche Bewertungsansätze“.
Ein Paradies für Falschparker
In der Tat. Denn der Staat gibt nicht nur viel Geld für das Auto-System, er verzichtet auch auf Einnahmen, Bußen und Strafen, um dem motorisierten Verkehr nicht im Weg zu stehen. So ist Deutschland im internationalen Vergleich ein Paradies für (Falsch-)Parker: Während wiederholtes Schwarzfahren in Bahn und Bus zu einer Straftat wird, bleibt auch häufiges Falschparken, das in unübersichtlichen Situationen Menschen gefährden kann, immer nur eine Ordnungswidrigkeit. Eine Stunde das Auto in der Innenstadt abzustellen kostet in Berlin im Schnitt 3 Euro – in London 5,70, in Amsterdam 7,50 Euro.
„Parkgebühren orientieren sich in Deutschland nicht an den tatsächlich anfallenden Kosten“, kritisiert der „Sachverständigenrat für Umweltfragen“ der Bundesregierung in seinem aktuellen Gutachten die Subvention des Autos. Um Lärm und Schadstoffe zu verringern, solle der Verkehr in Städten reduziert werden. Möglich sei das durch ein Mautsystem für Straßen und Städte und weniger Parkplätze mit höheren Gebühren.
Die Bewohnerparkausweise sind in Deutschland mit maximal 30,70 Euro unschlagbar günstig, zeigt auch die Broschüre „Umparken“ des Thinktanks Agora Verkehrswende – in Stockholm kostet das Recht, sein Auto ein Jahr lang vor der Tür abzustellen, dagegen 827 Euro. Auch bei der Nutzung des öffentlichen Straßenlandes kommen Automobilisten billig weg, zeigen die Daten: 8 Cent pro Tag für Anwohnerplätze; die gleiche Fläche für einen Stand auf dem Wochenmarkt kostet 18 Euro am Tag.
Sehr großzügig war Vater Staat auch gegenüber der Autoindustrie im größten deutschen Industrieskandal der letzten Jahrzehnte, dem Dieselbetrug. Statt saftige Strafen zu verhängen, hielten sich die Behörden zurück. 2019 zahlte VW nach Beschluss der Staatsanwaltschaft Braunschweig 1 Milliarde Euro an das Land Niedersachsen (das 20 Prozent der Aktien von VW besitzt). Davon waren allerdings nur 5 Millionen Bußgeld und 995 Millionen „Abschöpfung von unrechtmäßigen Gewinnen“.
Gewinne von fast 30 Milliarden Euro
Dabei hätten die Behörden nach Meinung der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die durch ihre Recherchen geholfen hatte, den Dieselskandal aufzudecken, bis zu 5.000 Euro pro manipuliertem Fahrzeug bei BMW, Daimler und VW verhängen können. „Allein bei den 2,6 Millionen VW-Autos mit erwiesener Manipulation hätte das für VW 13 Milliarden Buße bedeutet“, sagt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. „Das klingt viel, aber die deutschen Autobauer haben 2019 fast 30 Milliarden Euro Gewinne gemacht.“
Von der EU-Kommission gab es für die Nachsichtigkeit mit der Autoindustrie sogar einen offiziellen Rüffel. Zusammen mit Italien, Großbritannien und Luxemburg wurde Deutschland 2018 kritisiert, weil „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionssysteme“ fehlten, um Hersteller vom Verstoß gegen Gesetze abzuhalten. In wenigen Wochen wird der Europäische Gerichtshof wohl erklären, dass die im Dieselskandal umstrittenen „Abschalteinrichtungen“ für die Motorenreinigung unrechtmäßig waren. Dann müssten Regierung und Kraftfahrtbundesamt erklären, warum sie bisher auf Bußgelder in Milliardenhöhe verzichtet haben.
Für Mobilitätsforscher Andreas Knie jedenfalls ist die Rechnung klar und für die Öffentlichkeit negativ: „Wir zahlen 90 Milliarden in das System ein, über Steuern und Abgaben kommen aber nur 60 Milliarden zurück.“ Die Geschichte vom Autofahrer als „Melkkuh der Nation“ stimme nicht, das System finanziere sich über Steuern und Abgaben auch nicht selbst. Und für „systemrelevant“ hält er die Autobranche trotz ihrer über 800.000 Jobs bei Herstellern und Zulieferern auch nicht mehr.
Tempolimit als Verkaufshilfe
Was sie für die Zukunft anbiete, lasse sich auf dem Weltmarkt billiger einkaufen: digitale gelenkte Mobilität mit E-Mobilen. Auch die gut bezahlten, gewerkschaftlich unterstützten Jobs bei den Autobauern seien bedroht, wenn diese sich nicht umstellten: „Jedes Jahr verlieren wir fünf bis zehn Prozent dieser Jobs, sie folgen den Märkten ins Ausland“, so Knie.
Auf diesen ausländischen Märkten wirkt die vielleicht wichtigste indirekte Verkaufshilfe für die deutsche Autoindustrie: das Fehlen eines generellen Tempolimits auf Autobahnen. Das schreibt zum Beispiel Christian Malorny, „Weltautochef“ der Unternehmensberatung Kearney, im manager magazin: Die Käufer im „Premium“-Segment, also der schweren, schnellen und teuren Karossen von Audi, Porsche, BMW und Daimler lobten nach Umfragedaten seiner Firma, ein Land, in dem man so schnell fahren könne, wie man will, und das relativ wenige Unfälle habe, müsse die besten Autos der Welt bauen: „Den Zusammenhang zwischen ‚kein Tempolimit‘, der Autobahn, Premiummodellen, Profitabilität und Wohlstand muss man Politikern, die überall eine Höchstgeschwindigkeit einführen wollen, wohl noch erklären.“
Anders als viele andere Subventionen für die deutsche Autokultur kostet die Maßnahme „kein Tempolimit“ auch kein Geld. Nur Menschenleben.
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