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Studie zum 1,5-Grad-ZielDie nächste Kohle heißt Gas

Fürs 1,5-Grad-Ziel müssten die Industrieländer ab 2035 ihren Strom komplett ohne Erdgas erzeugen, so eine Studie. Weltweit müsse 2045 Schluss ein.

Transportiert eine weltweit eine gefragte Ressource: Tanker mit verflüssigtem Erdgas Foto: Bloomberg/getty images

Bonn taz | Wenn die 1,5-Grad-Grenze für die Erderhitzung im Bereich des Möglichen bleiben soll, muss laut einer aktuellen Berechnung auf den globalen Kohleausstieg sehr schnell auch der Gasausstieg folgen: Bis zum Jahr 2035 müssten die Industrieländer ihren Verbrauch von fossilem Gas für die Stromerzeugung praktisch einstellen, weltweit muss 2045 damit Schluss ein. Das ist das Ergebnis der Studie namens „Brücke ins Nirgendwo“ des Thinktanks „Climate Analytics“, die am Dienstag auf der UN-Klimakonferenz in Bonn präsentiert wurde.

„Viele Regierungen betrachten Erdgas als Brücke zu den erneuerbaren Energien“, sagt Autorin Claire Fyson. Dem widerspricht ihre Untersuchung vehement: „Fossiles Gas kann keine Rolle als Übergangsbrennstoff für den Stromsektor haben“, heißt es da.

„Das Datum für den Gasausstieg liegt höchstens 5 bis 10 Jahre nach dem Zeitpunkt für den Kohleausstieg in den Industrie- und Schwellenländern“. Angesichts des „dramatischen Verfalls der Preise bei den Erneuerbaren“ berge das Investment in neue fossile Stromproduktion durch Gas während der 2020er Jahre ein hohes Ausfallsrisiko.

Genau einen solchen Ausbau von Gasinfrastruktur planen allerdings viele Regierungen weltweit, in Deutschland sollen wegen des Ukraine-Kriegs Flüssiggasterminals entstehen. Modellrechnungen gehen davon aus, dass bis 2030 weltweit etwa 20 Prozent des Stroms und 70 Prozent der weiter steigenden CO2-Emissionen durch die Verbrennung von Gas entstehen. Die Studie der „Climate Analytics“ wurde vor dem Ukraine-Krieg erstellt und basiert auf den Rechenmodellen des Weltklimarats IPCC.

Neue Gasfelder „Kohlenstoff-Kolonialismus“

Demnach ist der günstigste Pfad der schnelle Ausstieg auch aus Gas, in den klassischen Industrieländern bis 2035, in Osteuropa, Russland und Asien bis 2040, im Nahen Osten und Afrika bis 2045.

Die Entwicklung neuer Gasfelder in Afrika nennt Bill Hare, einer der Autoren, „Kohlenstoff-Kolonialismus“. Die Geschichte lehre, dass der Export fossiler Brennstoffe wenig Wohlstand in die Erzeugerländer bringe. Ein erneuerbares Energiesystem in Senegal schaffe etwa viermal so viele Jobs pro Megawattstunde Strom wie der Ausbau der Gasindustrie.

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12 Kommentare

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  • Die westeuropäische Energiepolitik ist viel zu ambitioniert, als dass sie umsetzbar wäre. Damit wird lediglich die westliche europäische Gesellschaft zerstört, während zeitgleich China, Indien und Russland sowie mit Abstrichen die USA mit dem wärmeren Klima gut leben wollen. Die grüne Windkraftlobby wird das nicht stören, aber wer profitiert schon davon? Die Verbraucher mit Sicherheit nicht. Die Gewinner, das sind wenige, wenn auch derzeit wirkmächtige Leute.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    In 10 Jahren die komplette Energiewirtschaft umbauen? Im Land von BER und S21?

    Die Ziele und die realistischen Möglichkeiten klaffen hier wohl sehr weit auseinander!

  • "Die Geschichte lehre, dass der Export fossiler Brennstoffe wenig Wohlstand in die Erzeugerländer bringe."

    Für viele Schwellenländer war die Ausbeutung von Rohstoffvorkommen notwendige Bedingung für deren Wirtschaftswachstum. Kunstdünger, Zement, Straßen, Kühllager, Gasherde, Klimaanlagen, Meerwasserentsalzung. Dafür braucht man Öl und Gas. Kolonialismus ist eher, wenn wir Europäer mit zigfachem CO2-footprint, fossile Projekte im globalen Süden ausbremsen wollen.

  • "Die Geschichte lehre, dass der Export fossiler Brennstoffe wenig Wohlstand in die Erzeugerländer bringe."

    Ein Blick nach China läßt diese These sehr bezweifeln. China hat seinen Wohlstand in den letzten Jahrzehnten gigantisch gesteigert - im wesentlich mit Strom aus Kohle.

    • @yohak yohak:

      Sie haben den Satz nicht verstanden. China hat die eigene Kohle als billige Ernergiequelle für die Industrialisierung genutzt und eben nicht ins Ausland exportiert.

  • Oder einfach weniger davon verbrauchen. Alleine der Verzicht auf 5G hätte einsparungspotential.... Auch ein Verbot Strom aus nicht alternativen Quellen nur zum Fahren zu verwenden bringt viel. Und endlich die einsetzbare Primärenergie zumindest zu kennzeichnen. Am besten mit einer Ampel. Dann unbedingt Zementverbrauch reduzieren....Umstieg auf Holzbauten... da kann noch viel geleistet werden!

  • Das hätten wir uns alles sparen können, wenn man europaweit CCS eingeführt hätte. Die EU-Kommission hatte ja alles abgesegnet. Auch gab es Verträge und Gesetze für jedes EU-Land.

    Vor allem die Jugend zusammen mit Greenpeace und Wendehalspolitiker haben das zerstört.



    Der Preis dafür ist hoch! Man könne auch sagen, sie haben sich ihr eigenes Grab geschaufelt und das vieler anderer, z.B. in der Sahelzone, gleich mit.



    Wenn erstmal am Kipppunkt in der russischen Taiga die Permafrostböden auftauen, ist es zu spät.

  • "Neue Gasfelder „Kohlenstoff-Kolonialismus“"



    Da ist doch ein Solarwasserstoff-Kolonialismus viel besser.

    • @sollndas:

      Was würden Sie denn machen?

      • @cuba libre:

        Meerwasser mit Sonnenenergie entsalzen und damit z.B. Somalia bewässern. Dann hätten die Leute dort was zu essen.

  • // Angesichts des „dramatischen Verfalls der Preise bei den Erneuerbaren“ //

    Welche Erneuerbaren sollen denn das so sein? Die funktionieren bestimmt auch im Winter wenns dunkel ist. 95% der Deutschen setzen Erneuerbare mit Strom aus Photovoltaik und natürlich Windkraft gleich. Viel mehr fällt mir jetzt auch nicht ein. Gibts noch mehr. Aber bitte jetzt keine Wasserkraft und Biogas, das ist nur verschwindet gering und auch nicht stark Steigerungsfähig.

    • @Der Cleo Patra:

      Geothermie, auch für die Häuslebauer, ist schwer im kommen.



      Als alleinige Deckung des Energiebedarfs ist das momentan nicht vorstellbar - vielleicht in 50 Jahren?



      Deshalb brauchen wir einen Energie-Mix - ohne AKWs!



      Windräder kann man wieder abbauen. Bei AKWs ist das deutlich schwieriger. Die Endlagerung ist ja noch keineswegs gelöst.



      CCS wäre eine gute Brückentechnologie. Hier aber hat die Greenpeace-Lobby mächtig Einfluss genommen und tatsächlich gewonnen.



      CO2 abfangen und untermeerisch speichern - das alte, neue Geschäftskonzept von Statoil.

      Nun dreht Putin uns den Gashahn zu. Bin ja mal gespannt, was den Politikern jetzt so einfällt.