Studie zu Schwangerschaftsabbrüchen: Umentscheidung unwahrscheinlich

Die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch hat oft mit der jeweiligen Lebenssituation zu tun. Die verpflichtende Beratung hat kaum Einfluss.

Zwei Frauen stehen vor einem Flipchart

Hat kaum Einfluss: Beratung im Rahmen eines Schwangerschaftsabruchs (gestellte Szene) Foto: Jürgen Blume/imago

BREMEN taz | Studien zu den Gründen von Schwanger­schafts­ab­brüchen in Deutschland sind rar. Wenn es zu diesem Thema überhaupt belastbare Zahlen gibt, kommen sie bisher eher aus den USA. Das ändert sich zumindest ein wenig: Das Bundes­ge­sund­heits­ministerium will 2023 eine Studie dazu vorlegen, wie es um die Beratungs- und Versorgungslage ungewollt Schwangerer in Deutschland bestellt ist. Eine neue soziologische Studie des Forschungszentrums für Ungleichheit und Sozialpolitik (Socium) der Uni Bremen hat nun einen Schritt vorher angesetzt und gibt Einblicke in die Gründe der Entscheidung, eine Schwangerschaft abzubrechen. Laut der Studie mit dem Titel „Schwanger­schafts­abbruch: Lebensverläufe und kritische Lebensereignisse“ hängt der Entschluss für einen Abbruch eng mit der jeweiligen Lebenssituation und -phase zusammen, in der sich die Frauen befinden.

„Unsere Ergebnisse sprechen stark gegen die Annahme einer planlosen Entscheidung“, schreiben die Autorinnen Lara Minkus und Sonja Drobnič. Dies deckt sich mit anderen Forschungsergebnissen, die darauf hindeuten, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass Frauen sich umentscheiden, wenn sie einmal den Entschluss für eine Abtreibung getroffen haben.

In Deutschland sind Frauen vor einem Eingriff jedoch sowohl zu einem Beratungsgespräch als auch zu einer mindestens dreitägigen Bedenkzeit verpflichtet. „Diese Beratung verpflichtend zu machen, ergibt der empirischen Sachlage zufolge aber keinen Sinn.“ Dies zeigt auch eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2016 nach der 69 Prozent aller Frauen angaben, dass die Beratung keinen Einfluss auf ihre Entscheidung hatte. Schwangerschaftsabbrüche seien die Folge alltäglicher Lebensentscheidungen und biografisch einschneidender Vorfälle.

Abgefragt wurden etwa persönliche Aspekte wie Alter oder Religiosität, familiäre Umstände und sozioökonomische Kriterien. Im Ergebnis sehen die Autorinnen ihre Hypothese, dass die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch erheblich von individuellen Lebensumständen geprägt ist, bestätigt. Den größten Einfluss hat dabei das Trennungsverhalten. Die Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs stieg deutlich, wenn die befragten Frauen innerhalb der letzten zwei Jahre eine Trennung vom Partner erlebten.

Empirische Grundlagen fehlen

Auch die Lebensphase ist ein entscheidender Faktor. Sowohl bei Frauen unter 20 als auch bei jenen über 35 stieg die Wahrscheinlichkeit einer Abtreibung. Bei Jüngeren häufig dann, wenn sie noch in Ausbildung sind, bei Älteren oft, wenn sie schon Kinder haben und kein weiteres wollen. Gänzlich neu sind diese Erkenntnisse nicht. Die BZgA-Studie kam zu ähnlichen Ergebnissen, wenn auch mit eingeschränkter Repräsentativität. Besonders an der Bremer Studie ist, dass der Datensatz auch die Perspektive von Männern beinhaltet, deren Partnerin im letzten Jahr eine Schwangerschaft abgebrochen hat.

„Das Ziel war, zunächst einmal überhaupt repräsentative Daten zu liefern, wann Frauen oder Paare sich für einen Abbruch entscheiden“, sagt Minkus. „Das Thema wird zwar breit und hitzig diskutiert, in Deutschland gibt es dazu aber kaum empirische Grundlagen.“

Um die repräsentativen Aussagen treffen zu können, nutzten die Autorinnen den Datensatz des Familienpanels Pairfam. Diese auf 14 Jahre angelegte Längsschnittstudie läuft seit 2008. „Dadurch, dass jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, wissen wir, ob diese im letzten Jahr zum Beispiel arbeitslos waren oder sich noch in beruflicher oder schulischer Ausbildung befinden“, sagt Minkus.

Eine Schwierigkeit bei Befragungen zum Thema Schwangerschaftsabbruch sind Falschaussagen aufgrund sozialer Erwünschtheit oder der Angst vor Stigmatisierung. Um dies zu berücksichtigen, werden bei Pairfam bei sensiblen Themen statt der klassischen Interviews computergestützte Selbstinterviews durch­geführt. Studien deuten darauf hin, dass damit die Wahrscheinlichkeit von Falschaussagen zum Thema Abtreibung sinkt. Dass diese Methode zu funktionieren scheint, zeigt ein Vergleich mit offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamts, das zu ähnlichen Ergebnissen wie Pairfam kommt: Von 1.000 Frauen brachen 2020 rund sechs eine Schwangerschaft ab.

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