Studie der Linken zum Wohnungsmarkt: Den Mietenmarkt auf links drehen
Wohnungsnotlage statt angespannter Wohnungsmarkt: Dieser feine Unterscheid könnte der Linkspartei helfen, ihre Gesetzesvorhaben zu begründen.
Dass Berlin einen angespannten Wohnungsmarkt hat, gehört zum Allgemeinwissen aller Mieter:innen und Wohnungssuchenden in der Stadt. Dass sich die Situation in den vergangenen beiden Jahren unter dem schwarz-roten Senat sogar noch zugespitzt hat, zeigt auch eine aktuelle Civey-Umfrage. Demnach sagen fast zwei Drittel der Befragten, dass sich der Wohnungsmarkt seitdem verschlechtert habe. Nur 3 Prozent sehen eine Verbesserung.
Der angespannte Wohnungsmarkt ist jedoch mehr als eine subjektive Wahrnehmung, er ist zugleich eine rechtliche Kategorie, die seit mittlerweile zehn Jahren vom Senat wiederholt festgestellt wurde. Angebotsmieten, die schneller steigen als im Bundesschnitt, eine niedrige Leerstandsquote und die zunehmende Differenz zischen Bestands- und Neuvermietungsmieten halten seitdem als Begründung dafür her, dass Berlin Bundesgesetze wie das Verbot von Umwandlungen ehemaliger Miet- in Eigentumswohnungen und die Mietpreisbremse umsetzen kann. Erst Mitte November begründete Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) die Fortführung beider Maßnahmen mit der weiterhin angespannten Lage.
Eine von der Linken in Auftrag gegebene und am Mittwoch vorgestellte Studie des Sozialwissenschaftlers Andrej Holm geht nun erstmals über die bisherige Definition hinaus. Demnach kann Berlins Situation nicht mehr mit einer angespannten Wohnungsmarktlage adäquat beschrieben werden, vielmehr müsse von einer „Wohnungsnotlage“ gesprochen werden. Dadurch habe es die Stadt mit manifesten Defiziten in der sozialen Wohnraumversorgung zu tun, die weit über eine angespannte Marktlage hinausgingen. Weitergehende Eingriffe in den Mietenmarkt Berlins sollen damit begründet werden.
Die Studie von Holm dient der Linken als Begründung für ihr im September vorgelegtes „Sicher-Wohnen-Gesetz“, das, so die Hoffnung der Partei, nach einem Regierungswechsel im Herbst nächsten Jahres zum Tragen kommen soll. Kernpunkt des Gesetzes ist eine Verpflichtung für alle privaten Vermieter mit mindestens 50 Wohnungen, je nach Wohnungsanzahl zwischen 30 bis 50 Prozent ihrer jährlich frei werdenden Wohnungen an Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen zu vermieten. Pro Jahr sollen dadurch etwa 17.000 bezahlbare Wohnungen auf den Markt kommen.
Linkes Mietenprogramm
Für die Linke ist die Mietenfrage das zentrale Thema für den anstehenden Wahlkampf. Dabei wird die Partei nicht müde, immer wieder neue Initiativen vorzuschlagen. Neben der strikteren Verfolgung von Wuchermieten, möblierten Wohnungen oder Ferienappartements, der Umsetzung des Enteignungs-Volksentscheids, einem Mietenstopp für die landeseigenen Wohnungen und einem kommunalen Neubauprogramm steht das „Sicher-Wohnen-Gesetz“ dabei im Vordergrund.
Andrej Holm, Sozialwissenschaftler
Beim Pressegespräch zur Studien-Vorstellung im Abgeordnetenhaus sagte Spitzenkandidatin Elif Eralp dann auch: „Ohne Mietenregulierung wird es mit uns nicht gehen.“ Ein Problem für eine Koalition mit SPD und Grüne sei das nicht: Diese hätten zumindest teilweise ähnliche Vorstellungen, wenngleich auch „abgeschwächt“.
Eralp ist sich dabei bewusst, dass ein Gesetz, das in die Vermietungspolitik privater Vermieter eingreift und damit auch deren Profite beschneidet, gerichtlich angegriffen wird. Die Studie von Holm soll dazu dienen, dies abzuwehren und „das Gesetz sicherer, verfassungsfester zu machen“. Die grundlegende Kompetenz des Landes Berlin zur Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Wohnungswesens hatte sich die Partei bereits durch ein vorheriges Rechtsgutachten bescheinigen lassen.
Kriterien des Notstands
Die „Wohnungsnotlage“ begründete Ex-Kurzzeit-Staatssekretär Holm am Mittwoch mit einer Vielzahl von Indikatoren. So kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass derzeit mehr als 530.000 Berliner Haushalte (27 Prozent) mehr als 30 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für die Miete aufwenden müssen und damit den Grenzwert der Leistbarkeit überschreiten. 15 Prozent der Haushalte, insgesamt 280.000, leben demnach auf zu kleiner Wohnfläche, mehr als ein Drittel davon in überbelegten Wohnungen mit weniger Räumen als Personen.
Ein Umzug in größere Wohnungen ist dabei nicht möglich, denn 75 Prozent der angebotenen Wohnungen befänden sich mit ihren Mieten „im teuersten Segment“. Holm sagt: „Die zurzeit angebotenen Wohnungen bieten keine Versorgungsmöglichkeiten und leisten keinen Beitrag zur sozialen Wohnraumversorgung.“
Den 100.000 Sozialwohnungen in der Stadt stehen eine Million Haushalte gegenüber, die Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben. Hinzu kommt: Etwa 40 Prozent der Haushalte, die Sozialleistungen empfangen, überschreiten die Bemessungsgrenzen für angemessene Mieten. Den Staat kostet das jährlich mehr als 100 Millionen Euro.
Kein Mengenproblem
Und noch etwas ist der Linken und den Studienautoren wichtig: Der Neubau, der seit 2015 fast dem Bevölkerungsanstieg entspricht, führe nicht zu einer Minderung die Misere. Vielmehr seien die Mieten parallel zur Neubauentwicklung explodiert. Statt in neu gebaute Wohnungen zu ziehen, rückten die Menschen zusammen; die Zahl der Single-Haushalte sinkt.
Für den mietenpolitischen Sprecher der Linken, Niklas Schenker, zeigen die Befunde, dass es sich bei der Wohnungsmarktkrise nicht um ein „reines Mengenproblem“ handele. Stattdessen fehle es an „passenden Wohnungen“. Im Ergebnis bliebe nur der Schluss: „Wir müssen die Menge des bezahlbar zu verteilendes Wohnraums erhöhen.“
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert