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Stromversorgung im KriegUkraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigt einen Ausbau der Atomkraft an. Dabei sind AKWs wegen russische Angriffe ein hoher Risikofaktor.

Selenskyj setzt auf Atomstrom: Kernkraftwerk Riwne in der Ukraine Foto: imago

Kyjiw taz | Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat dem Parlament am Dienstag einen Plan zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Landes vorgestellt. Unter anderem kündigte er massive Investitionen in die Rüstung an, mit denen sich das Land gegen weitere Angriffe aus Russland wappnen will.

Breiten Raum nahmen in Selenskyjs Rede auch die anhaltenden russischen Angriffe auf das Energiesystem ein. Über tausend Mal habe Russland Objekte des ukrainischen Energiesystems angegriffen. Dieser Herausforderung müsse man sich stellen. Energie effektiv zu nutzen, sei die Aufgabe von jedem Bewohner des Landes, so Selenskyj. Auch sei es in Zukunft wichtig, die Energieproduktion zu dezentralisieren. Gleichwohl setzt Selenskyj auf Atomstrom. Die Erzeugung von Atomstrom habe offensichtliche Priorität, sagte er.

Dabei ist die Produktion von Atomstrom wesentlich anfälliger für russische Luftschläge als die dezentrale Energieproduktion mit Hilfe von erneuerbarer Energien, wie Wind- und Sonnenenergie. Erneut hatten Anfang der Woche russische Angriffe auf das ukrainische Energiesystem die Sicherheit ukrainischer Kernkraftwerke gefährdet.

So hatten laut einem Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) die ukrainischen Kernkraftwerke am 17. November als Folge der russischen Luftangriffe vorsorglich ihre Stromproduktion drosseln müssen. Obwohl die Anlagen in Chmelnyzkyj, Riwne und Südukraine nicht direkt von den Angriffen betroffen waren, wurden Umspannwerke, die mit den Kernkraftwerken verbunden sind, am 17. November beschädigt. Als Folge konnten nur zwei der neun in Betrieb befindlichen Reaktoren des Landes mit voller Leistung Strom produzieren.

Kleine modulare Reaktoren

Trotz der offensichtlichen Verwundbarkeit der Atomwirtschaft im Krieg, der Erfahrung des russischen Überfalls auf die AKW Saporischschja und Tschernobyl verfolgt die Ukraine weiterhin ehrgeizige Pläne für den Ausbau ihrer Atomenergie.

Obwohl der russische Überfall auf die AKWs Saporischschja und Tschernobyl 2022 deutlich gemacht haben, wie gefährlich Atomkraftwerke gerade im Krieg sein können, investiert die Ukraine weiterhin in die Kernenergie. Auf der COP29 hat sich das Land verpflichtet, die Atomkraft um das Dreifache auszubauen, zitiert tsn.ua den ukrainischen Energieminister Herman Haluschtschenko.

Dabei setzt das Land vor allem auf den Bau von kleinen AKWs, den sogenannten Small Modular Reactors (SMR). Geschehen soll dies durch eine Zusammenarbeit des staatlichen ukrainischen Atomkonzerns „Energoatom“ mit der US-amerikanischen Firma Holtec International. So soll gemeinsam in der Ukraine ein Produktionsstandort für SMR-Komponenten errichtet werden. Außerdem soll „Energoatom“ Erfahrungen bei Bau, Test und Betrieb von SMR in den USA sammeln, um diese Technologie in der Ukraine weiter zu etablieren.

Kritik an diesem Vorhaben kommt von Ecodia, der größten ukrainischen Umweltschutzorganisation. „Diese Ankündigung ist wieder mal typisch für das ukrainische Energieministerium“, kritisiert Kostiantyn Krynytskyi, Leiter der Energieabteilung von Ecodia gegenüber der taz. „Man kündigt vielversprechende Partnerschaften und Absichtserklärungen an, deren Nutzen oft unklar ist und deren Umsetzung zu einem nicht genannten Zeitpunkt stattfinden soll.“

Nicht einmal in den USA selbst, so Krynytskyi, seien SMRs bereits in Betrieb. Dort sei mit ihrem Einsatz frühestens 2030 zu rechnen. „Für die Ukraine, die unter massivem Druck steht und deren Energieinfrastruktur von russischen Angriffen schwer beschädigt ist, ist Zeit ein kritischer Faktor. Die Ukraine kann es sich nicht leisten, auf Technologien zu setzen, deren Realisierung Jahrzehnte dauern könnte und deren Erfolg unsicher bleibt“, so Krynytskyi, Priorität sollte deshalb eine dezentrale Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen, begleitet von Maßnahmen zur Energieeinsparung und Steigerung der Energieeffizienz.

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16 Kommentare

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  • Der Krieg hat gezeigt, wieso zentrale Großreaktoren auch militärisch heikel und verwundbar sind. Teuer sowieso.

    Es gibt eigentlich nur einen m.E. rationalen Grund für Atomreaktoren, das ist die nukleare Option im Militärischen. So schrecklich die Atomwaffe ist: Hätte die Ukraine vielleicht doch die Kernwaffen behalten und die Raketen einmal in der Richtung gedreht, wissen wir alle nicht, ob es den Krieg nun gar nicht gegeben hätte.



    Um eine allgemeine weltweite nukleare Bewaffnung aus dieser Logik nun zu verhindern, sollte man die Ukraine erst recht unterstützen.

  • "Kritik an diesem Vorhaben kommt von Ecodia, der größten ukrainischen Umweltschutzorganisation."

    Es wäre mal interessant, zu verfolgen, ob ECODIA künftig staatlichen Druck erfährt, oder ob man dem im Artikel genannten Sprecher der Organisation Russlandfreundlichkeit etc. anlastet seitens der ukrainischen Regierung/Behörden.Der Umgang mit dieser Art Opposition ist, so lange nicht gewählt wird, der einzige Lakmustest für den Zustand der ukrainischen Demokratie.

  • Eine neue Strategie Selenskys,



    die unrealistisch ist.



    Die Grünen, die schon von einer regenerativen Energieentwicklung in der Ukraine schwafekten, sollten aufmerken. Selensky ist bei dieser Idee wohl kein Partner.



    Wie Jemand, der Tschernobyl vor der Tür hat, Atomenergie als Zukunft betrachten kann, bleibt schleierhaft. Die gleiche Blindheit gilt für die Lösung des Energieproblems.



    AKWs sind langfristige Projekte. Gefährlich im Normalbetrieb, ein Risiko im Krieg.



    Eine Photovoltaik Anlage kann heute montiert werden und liefert morgen Strom



    Seltsam, dass ein Regierungschef derart einfache Lösungen ignoriert.

  • Wird Zeit, dass die Russen wieder rausgeschmissen werden, damit die Ukrainer ihre Energie für eine echte nachhaltige Versorgung einsetzen können. Nicht für so alte Atomphantasien.

  • "Dabei ist die Produktion von Atomstrom wesentlich anfälliger für russische Luftschläge als die dezentrale Energieproduktion mit Hilfe von erneuerbarer Energien, wie Wind- und Sonnenenergie."

    In meiner Logik ist es einfacher einen KKW Standort mit einer Nettoleistung von ca.1600 MWe/EPR schon von der Konstruktion her gegen Raketen, Drohnenangriffe zu ertüchtigen anstatt Solarkraftwerke und Windmills in je nach tatsächlicher Leistung abhängiger,aber jedenfall weit höherer Anzahl über weit mehr Fläche verteilt,entsprechend zu schützen.

    Ein Flugabwehrbataillon pro Standort musste dann zwar sicherlich fest dort stationieren,aber die Leistung die du dafür aus einem entsprechenden Kraftwerk kriegst,sowohl elektrisch als auch thermisch für Fernwärme wie sie ja schon bei der Konvoiklasse vorgesehen (aber natürlich nicht genutzt wurde), in Greifswald bis zur Abschaltung tatsächlich existierte, ist gerade unter Kriegsbedingungen es scheinbar wert.

    Wenn sie meinen nun mit SMRs getarnte und bewegliche Dezentralität schaffen zu können,wäre das wiederum ein taktischer Vorteil (solange korrekt konstruiert) ggü standortgebundenen,verteidigungsintensiven Großanlagen aller Arten im Kriege.

  • „Man kündigt vielversprechende Partnerschaften und Absichtserklärungen an, deren Nutzen oft unklar ist und deren Umsetzung zu einem nicht genannten Zeitpunkt stattfinden soll.“

    Sehr treffend ausgedrückt. Und auch andere Bereiche umfassend. Man denke nur an die angekündigte Produktion des Panter II.

    Von den angekündigten AKW geht aber keine Gefahr aus. Schon weil SMR bis jetzt hauptsächlich als Schlagwörter und Werbeversprechen existieren. Ein exquisite Möglichkeit, Geld in den Sand zu setzen...

  • Ist noch etwas hin, mit den modernen Atomkraftwerken in der Ukraine. Aber das Land hätte dann mit Sicherheit eine bessere CO2-Bilanz als Deutschland;



    wo weiterhin und ohne entsprechende, saisonale Speicher für die benötigten Größenordnungen die fossilen Kraftwerke bei jeder anhaltenden Dunkelflaute jubeln.

    • @sutrebe:

      Bloß schade, dass Atomkraftwerke zur Überbrückung von Dunkelflauten zu unflexibel sind...

      Und den Atommüll legt man sich dann in den Keller.

    • @sutrebe:

      Doch zu welchem Preis, in mehrfacher Hinsicht.

    • @sutrebe:

      Es hat nicht lange gedauert, bis wieder jemand den Mythos der besseren CO2-Bilanz beim Betrieb von AKW hervor bringt.



      Beim Abbau von Uran (in den Minen) entsteht sehr viel CO2. Ebenso muss auch ein CO2-Fußabdruck für das/die Endlager mit eingerechnet werden, damit die Rechnung ehrlich wird.

    • @sutrebe:

      Sie müssten ja nicht „jubeln“ - wenn wir denn mal wirklich ernsthaft und konsequent so in die Energiewende investieren würden., wie wir seit Jahrzehnten die Kernkraftfreunde finanzieren.

  • Faszinierend. Die Situation in der Ukraine zeigt überdeutlich, warum man keine Atomkraftwerke haben möchte: Sie sind gefährliche, strategische Ziele, deren Sicherheit schon außerhalb bewaffneter Konflikte kaum zu gewährleisten ist. SMR sind besonders schwer zu sichern, weil man davon mehr braucht und jedes einzelne ein dankbares militärisches Ziel ist. Das Chaos um Saporischschja zeigt ja, dass dies nicht nur ein theoretisches Problem ist.

    Und ausgerechnet von dem Zeug möchten uns die Ukraine noch mehr in die Nachbarschaft setzen? Wir sollten zu unserer eigenen Sicherheit Waffenlieferungen an die Bedingung knüpfen, dass die Dinger nicht gebaut werden.

    • @Karl Schmidt:

      Wer weiß, ob der Punkt das die jetzt die Dinger dort bauen wollen, nicht ebenfalls eine Bedingung für die ein oder andere Sache sein könnte.

      • @Rikard Dobos:

        Genau das ging mir auch durch den Kopf. Die Anfangsinvestitionen für die amerikanischen Herstellerfirmen müssen, ggf., riesig sein. Je mehr Reaktoren je schneller verkauft werden können, desto besser lassen sich diese Anfangsinvestitionen verkraften für diese US Firmen. Das Kapital, vor Allem die Kredite, lassen sich auch leichter beschaffen, wenn die Auftragsbücher schon mit Staatsaufträgen voll sind. Die Amortisationszeit würde, gesetzt den Fall, alle Aufträge werden wie vereinbart erfüllt und auch bezahlt, deutlich verkürzt. Wegen der Bezahlung liessen sich für diese Exporte, soweit sie in die Ukraine gehen, wahrscheinlich leicht Kreditbürgschaften und/oder Exportgarantien der US Regierung heraushandeln lassen. Bei dem enormen Druck, den die US Regierung gegen die bei ihr hochverschuldete, völlig von ihr abhängige Ukraine noch lange Jahre wird ausüben können, wäre kaum zu fürchten dass die US Steuerzahler auf diesen Bürgschaften sitzen blieben. An der Stelke, und an einigen anderen Stellen, steht die Souveränität der Ukraine ggü. USA jetzt schon auf dem Papier. Gleichzeitig würden die US Staatsgarantien für die US Firmen die Finanzierungskosten zusätzlich deutlich reduzieren.

      • @Rikard Dobos:

        Diese Zugeständnisse SMR bauen zu wollen, sind allein nur theoretische Zugeständnisse. Denn warum sollte die Ukraine tatsächlich auf etwas bauen, von dem sie selbst weis, dass es keine höhere Kriegssicherheit bieten kann und zudem unbezahlbar sein wird, auch wenn den Ukrainern das Investment nach einen Kriegsende über Jahrzehnte gestundet würde. Warum sollte sich die Ukraine in eine solche Abhängigkeit begeben? Das ist reine Diplomatie um die Unterstützung gewisser Kreise nicht zu blockieren.