Krieg in der Ukraine: Reaktoren bleiben Risiko
Laut IAEA wurde beim Brand im AKW Saporischschja vor allem das Innere des Kühlturms beschädigt. Die Sorge ums russische Kernkraftwerk Kursk wächst.
Genau an dieser Stelle, erklärte die ukrainische Atomexpertin Olga Koscharna im russischen Dienst der Deutschen Welle, habe sich ein Dieselgenerator befunden. Und wenn dort entsprechend viel Diesel vorrätig gewesen sei, sei verständlich, warum die aktuellen Betreiber den Brand nicht hatten unter Kontrolle bringen können.
Auch wenn sich alle sechs Reaktoren des ukrainischen AKW derzeit im Zustand einer Kaltabschaltung, der sichersten Form einer Abschaltung, befinden, sehen Experten dennoch Gefahren, die von Saporischschja ausgehen. In den Räumlichkeiten des Atomkraftwerkes befinden sich Truppen und Waffen, von den Dächern der Gebäude schießen die Soldaten der russischen Armee auf umliegende Ortschaften, so Koscharna. Auch sei das Gelände teilweise vermint. Ein großes Problem im AKW sei die mangelnde fachliche Kompetenz der russischen Mitarbeiter. So seien dort Rosatom-Mitarbeiter, die zuvor im AKW Kursk, in dem ein ganz anderer Reaktortyp eingesetzt wird, im Einsatz.
Gegenüber dem oppositionellen russischen Medium Meduza fürchtet Dmitri Gortschakow, Atomexperte bei der Umweltgruppe Bellona, ein mögliches Wiederanfahren des Reaktors durch Russland. So habe Russland den Bau einer neuen Pumpstation auf dem Gelände angekündigt – angeblich für das Kühlbecken. Tatsächlich, so Gortschakow, ließe sich mit dieser geplanten Pumpanlage zum Ende des Jahres das Kraftwerk wieder anfahren. Derzeit ist das AKW Saporischschja an das ukrainische Stromnetz angeschlossen. Doch es gebe Indizien, so Gortschakow, wonach Russland den Anschluss des AKW an das Netz der von Russland kontrollierten Gebiete plane.
Größere Sorgen macht Fachleuten das russische Atomkraftwerk Kursk in der Kleinstadt Kurtschatow, 65 Kilometer von der russisch-ukrainischen Grenze entfernt. Denn es liegt nur ein paar Dutzend Kilometer von den von der Ukraine besetzten Gebieten weg. Noch vor wenigen Tagen hatte die Stadt Kurtschatow auf ihrem Telegram-Kanal ihre Bürger davor gewarnt, die Luftabwehr „bei der Arbeit“ zu fotografieren. Offensichtlich haben also die ukrainischen Angriffe die Atomstadt erreicht.
Es sind vor allem zwei Umstände, die Kämpfe um das AKW Kursk wesentlich gefährlicher erscheinen lassen als der Kampf um das AKW Saporischschja: Zum einen stehen in Kurtschatow graphitmoderierte RBMK-Reaktoren, Typ Tschernobyl. Das Gefährliche an diesen Reaktoren, so der russische Atomphysiker Andrej Oscharowski gegenüber der taz, sei, dass diese keine Betonschutzhülle hätten.
„In anderen Kernkraftwerken gibt es eine dickwandige Schutzhülle aus Beton, manchmal auch Confinement genannt, die zumindest vor kleinkalibriger Artillerie schützt. In RBMK-Reaktoren sind die Reaktoren wehrlos, und im Falle eines – Gott bewahre – absichtlichen Beschusses oder einer verirrten Granate mit einem Kaliber von 150 Millimetern und mehr kann der Reaktor selbst beschädigt werden“, so der Experte. Zum anderen sei das Material in diesen Reaktoren hochentzündlich. Heißt: Bei einem Unglück kann Graphit bis zu zwei Wochen lang brennen – wie 1986 bei der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett