Strom-, Gas- und Wassersperren nehmen zu: Bei Armut droht der Blackout
In Hamburg wurde im vergangenen Jahren bei viel mehr Menschen Strom, Wasser oder Gas abgestellt. Ein Härtefallfonds wurde kaum genutzt.
Für die Betroffenen kann eine Energiesperre zu gesundheitlichen Problemen und sozialer Isolation führen. Besonders gefährdet sind Familien mit Kindern, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen oder Vorerkrankungen. Im Alltag kann eine Stromsperre auch akut gefährlich werden: Weil oft Kerzen als Notbeleuchtung genutzt werden und Essen auf Campingkochern zubereitet wird, steigt die Gefahr von Unfällen und Bränden. Lebensmittel verderben im Kühlschrank, Tiefkühlkost taut auf und vergammelt.
Die Gründe für den sprunghaften Anstieg der Energiesperren sind vielschichtig. Steigende Energiepreise spielen eine Rolle, die einkommensschwache Haushalte hart treffen. Viele Betroffene leben bereits am Existenzminimum, haben Schulden und kämpfen mit Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Die steigenden Energiekosten verschärfen ihre Situation zusätzlich.
Eine Energiesperre ist dann eine weitere große finanzielle Belastung. Für Mahnungen vor einer Sperre und die anschließende Freischaltung berechnen Versorger teilweise hohe Gebühren und verschärfen so die Verschuldungssituation ihrer Kunden.
In Hamburg gibt es kostenlose Beratungsangebote
Die Hamburger Energielotsen etwa bieten eine umfassende Unterstützung: Sie beraten telefonisch, per E-Mail und persönlich vor Ort zu Energieeinsparungen, Fördermöglichkeiten und Klimaschutzmaßnahmen. Im Jahr 2021 führten sie bereits über 9.000 Erstberatungen durch, wobei mehr als 2.750 Hamburger:innen eine persönliche Beratung in Anspruch nahmen.
Auch die Verbraucherzentrale Hamburg bietet kostenlose 45-minütige Beratungen an.
Der Stromspar-Check der Caritas hält ebenfalls Soforthilfen und Energiespartipps bereit.
Bestehende Unterstützungsmaßnahmen reichen dabei in Hamburg offenbar nicht aus. Die Stadt hatte im November 2022 einen Härtefallfonds von 15 Millionen Euro aufgelegt. Er konnte bis zu 80 Prozent der Energieschulden übernehmen. Doch das Hilfsangebot wurde nur 75-mal genutzt – bei tausenden betroffenen Haushalten. Ausgezahlt hat die Sozialbehörde laut ihrem Abschlussbericht in eineinhalb Jahren nur etwas mehr als 105.513 Euro.
Die Behörde vermutet in dem Bericht, dass der Fonds so selten in Anspruch genommen wurde, weil sich viele Betroffene „anderweitig Hilfe gesucht hatten“, da „der Härtefallfonds erst mit Vorlage der Sperrkündigung in Anspruch genommen werden konnte“.
Empfänger von Sozialleistungen etwa konnten den Fonds nicht nutzen. Sie können stattdessen beim Jobcenter einen Antrag auf Übernahme der Energieschulden stellen und eine Beihilfe zur Vermeidung der Energiesperre beantragen. Leistungen für Heizung und Stromkosten können direkt übernommen werden. Aus Scham stellen viele diese Anträge aber nicht und versuchen, mit den Versorgern Ratenzahlungsvereinbarungen zu treffen – häufig vergeblich.
Linke fordert neuen Hilfsfonds
„Viel zu kompliziert und viel zu unbekannt war der Fonds“, kritisiert Olga Fritzsche, sozialpolitische Sprecherin der Hamburger Linksfraktion. Sie fordert, ihn niedrigschwellig neu aufzulegen, schließlich seien nur rund sieben Prozent des ursprünglichen Budgets ausgegeben worden. „Angesichts der hohen Sperrungszahlen ist es völlig unverständlich, dass der Härtefallfonds nur so wenig genutzt wurde“, findet Fritzsche. „Da wurde an den tatsächlichen Bedarfen völlig vorbeigeplant.“ Statt den Fonds auslaufen zu lassen, hätte man nachbessern und dafür sorgen müssen, dass mehr Menschen den Fonds in Anspruch nehmen können.
„Der Staat könnte handeln und die Energiepreise von den Netzentgelten befreien, damit sich Energiesperren endlich erledigen“, schlägt Stephan Jersch vor, energiepolitischer Sprecher der Linksfraktion. Auch kostengünstige Grundkontingente für Energie könnten eine Lösung sein, so Jersch. „Mit Energieversorgern in öffentlicher Hand könnte Hamburg hier selber handeln.“
Warum die Zahl der Energiesperren im vergangenen Jahr so stark gestiegen ist und ob eine Neuauflage des im März 2024 ausgelaufenen Fonds oder alternative Unterstützungsmaßnahmen geplant sind, konnte die Hamburger Sozialbehörde auf taz-Anfrage bis Redaktionsschluss nicht beantworten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!