piwik no script img

Streit zwischen Ukraine und IAEOWenig Vertrauen in die Atombehörde

Das AKW Saporischschja ist von russischen Truppen besetzt. Nun soll es von der IAEO-Atombehörde besucht werden – doch Kiew ist nicht begeistert.

Besetztes Atomkraftwerk Saporischschja im Mai 2022 Foto: Ap

Berlin taz | Die Ukraine und die Internationale Atomenergiebehörde IAEO streiten sich über den geplanten Besuch von IAEO-Generaldirektor Rafael Grossi in dem seit dem 4. März von russischen Truppen besetzten Atomkraftwerk Saporischschja. Die ukrainische Atomenergiebehörde Energoatom, Betreiberin aller vier ukrainischen Kernkraftwerke, bezichtigte den argentinischen Diplomaten der Lüge. Es sei nicht richtig, dass man Grossis Besuch wünsche. Dieser solle das AKW Saporischschja erst besuchen, wenn die Ukraine wieder die Kontrolle über die Anlage zurückgewonnen habe.

Energoatom befürchtet, dass ein so hoch angesiedelter Besuch der IAEO die russische Besetzung des Kraftwerkes legitimieren würde. Am Montag hatte Grossi erklärt, er werde das AKW Saporischschja besuchen, weil Europas größtes Kernkraftwerk die Onlineübermittlung von Daten an die IAEO eingestellt habe. Von den sogenannten sieben grundlegenden Sicherheitssäulen, so Grossi, würden derzeit jedenfalls alle im AKW Saporischschja verletzt.

Im Rahmen der geplanten Reise stehe er im Kontakt mit der Ukraine und auch mit Russland, weil das Land nun einmal die Anlage kontrolliere. Die Ukraine selbst, so Grossi, wünsche diese Reise. Energoatom sieht die Schuld an dem Kommunikationsverlust zwischen dem AKW und der IAEO bei Russland. Russland habe diese Verbindung bewusst gekappt, um einen Vorwand für einen Besuch des Generaldirektors der IAEO im AKW Saporischschja zu haben. Es befindet sich in Energodar, eine Autostunde von der Hauptstadt der gleichnamigen Oblast Saporischschja entfernt.

In der ukrainischen Fernsehstation „Espreso“ begründete Energoatom-Präsident Petro Kotin am Mittwoch das ukrainische Misstrauen gegenüber Grossi. Viele von dessen Erklärungen gäben das russische Narrativ wider. So habe dieser auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos behauptet, dass auf dem Gelände des Atomkraftwerkes 70 Tonnen waffenfähigen radioaktiven Materials lagerten.

IAEO-Führung unter russischem Einfluss

Das, so Kotin, sei falsch. Die Ukraine besitze kein atomwaffenfähiges Material. Offensichtlich, so Kotin, stehe Grossi unter russischem Einfluss. Das liege möglicherweise daran, dass ein Viertel der Führung der IAEO Russen seien. „Die russische Seite ist an diesem Besuch interessiert, weil man davon ausgeht, dass Grossi vor Ort sagen werde, es sei alles sicher im AKW.“

Zweifel an der Sicherheit des AKW Saporischschja hat auch Olga Koscharna, Sprecherin des Ukrainischen Atomforums. In einem Beitrag für die Plattform mind.ua beklagt sie, dass nun im AKW alle sicherheitsrelevanten Entscheidungen mit den russischen Besatzern abgestimmt werden müssten. Weder dürften weitere ukrainische Fachleute hinzugezogen werden noch erlaubten die Besatzer die Anlieferung von Ersatzteilen.

Als ein Feuer ausgebrochen sei, habe es lange gedauert, bis die Russen der Werkfeuerwehr das Löschen erlaubt hätten. So etwas, so Koscharna, könne sich jederzeit wiederholen. Da sich auf dem Kraftwerksgelände russisches Militär aufhalte, trauten sich viele Mitarbeiter nicht mehr, ihre üblichen Kontrollgänge zu gehen.

Auch die vertraglich vereinbarten Modernisierungsmaßnahmen könnten wegen der Besatzung nicht mehr fortgeführt werden. All dies werde erschwert durch Störungen der Kommunikation mit der Außenwelt.

Die 1957 gegründete IAEO mit Sitz in Wien soll laut Satzung den Beitrag der Kernenergie zu „Frieden, Gesundheit und Wohlstand“ fördern. Sie gehört nicht zur UNO, aber berichtet regelmäßig der UNO-Generalversammlung. 2005 erhielt die IAEO den Friedensnobelpreis.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Naja, bei den Kommunalwahlen 2020 hatte Selenskyj die Bevölkerung befragt, ob das Budapester Abkommen (Verzicht auf Atomwaffen) von 1994 aufgekündigt werden solle. Da können schon Zweifel aufkommen, was in dem Werk vorgeht.

    • @Blick:

      Die Ukraine hätte sich nach 2014 Atomwaffen anschaffen sollen und der Westen hätte sie unterstützen sollen.

    • @Blick:

      Da gibt es gar nichts zu zweifel. Atomkraftwerke erbeüten das Ausgangsmaterial für Atombomben. Dafür wurden sie gebaut.



      Was meinen Sie, warum Atomkraftwerke in D in allen Besatzungszonen mit massivem Druck eingeführt wurden - die Aufbereitung der Brennstäbe aber immer von den Alliierten übernommen wurde?



      Die Stromerzeugung ist dabei eigentlich eher der notwendige Abfall...

  • Ich wiederum habe Vertrauen in die IAEO. Vielleicht hat man ja wirklich etwas zu verbergen - das würde mich in einem Land mit so hohen Korruptionswerten auch gar nicht wundern.

  • Nach dem dilettantischen Vorgehen Russlands bei der vorübergehenden Besetzung des Tschernobyl Geländes (Soldaten wurden offenbar ohne jede Informationen und Strahlenschutzausrüstung dort hin geschickt und verstrahlt) sollte auch die Ukraine ein Interesse an einem Sicherheitsbesuch der IAEO im größten Kernkraftwerk der Ukraine haben und diesen auch dann nicht verhindern, wenn der jetzige Besuch von Russland absichtlich herbeigeführt wurde um der Welt im Schw*vergleich mit der Ukraine zu markieren, dass man aktuell den längeren, sprich das Atomkraftwerk unter Kontrolle hat. Ohne Fachaufsicht von außen, droht der Schw*vergleich in einem GAU zu enden. Es ist ja nun mal (LEIDER) kein Windenergiepark, der dann für kürzer oder länger schlecht oder gar nicht betreut wird.

  • 9G
    97627 (Profil gelöscht)

    Die IAEO ist eine Lobbyorganisation und sollte auch als solche bezeichnet werden.