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Russische Truppen in TschernobylSoldaten womöglich verstrahlt

Russische Truppen sollen ungeschützt im radioaktiv belasteten Tschernobyl unterwegs gewesen sein. Wussten sie nichts vom Super-GAU 1986?

Die Strahlung im „Roten Wald“ ist auch 36 Jahre nach dem Super-GAU in Tschernobyl lebensgefährlich Foto: Komsomolskaya Pravda/Russian Look/imago

Berlin taz | Es klingt wie eine gute Nachricht, doch sie hat einen bitteren Beigeschmack. Russische Truppen, die seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar das Gebiet um den Unglücksreaktor Tschernobyl besetzt halten, scheinen dieses Territorium in Richtung des angrenzenden Belarus zu verlassen. Dies berichtete die Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch unter Berufung auf das Pentagon. Auch das ukrainische Innenministerium bestätigte, dass zumindest ein Teil der Besatzer aus Tschernobyl Richtung Belarus abziehe.

Sieben Busse mit Soldaten sollen in ein Strahlenzentrum gebracht worden sein

Zum einen scheint es sich um eine Rotation von Truppenteilen zu handeln. Der zweite Grund für den Teilabzug: Soldaten, die sich in der Nähe des havarierten Reaktors aufhielten, wurden möglicherweise verstrahlt. Das vermutet Wadim Denisenko, Berater des ukrainischen Innenministers. „Dass sieben Busse mit Soldaten zum Strahlenzentrum in Gomel gebracht wurden, führte zu Panik unter den Soldaten des in der Nähe von Tschernobyl stationierten Kontingents“, zitiert das Portal lb.ua Denisenko.

Das oppositionelle belarussische Portal telegraf.by berichtet unter Berufung auf Reuters, dass sich die russischen Soldaten im „Roten Wald“ um Tschernobyl aufgehalten hätten. Dabei, so das belarussische Portal euroradio.fm, hätten sie keinerlei Strahlenschutzmaßnahmen ergriffen und so radioaktiven Staub eingeatmet. Ein weiterer Mitarbeiter des AKW Tschernobyl wusste zu berichten, dass die russischen Soldaten vorher noch nichts von der Tschernobyl-Katastrophe von 1986 gehört hätten.

Der Name „Roter Wald“ rührt von der rotbraunen Farbe der Kiefern, die nach der Aufnahme der hohen Strahlung des Tschernobyl-Unfalls am 26. April 1986 abgestorben sind. Der Rote Wald von Tschernobyl ist auch heute noch eines der am stärksten kontaminierten Gebiete der Welt.

Nach Angaben der ukrainischen stellvertretenden Premierministerin Irina Wereschtschuk haben die russischen Truppen auf dem Gelände des AKW Tschernobyl große Mengen Waffen gelagert. Erst kürzlich habe es eine große Explosion in einem russischen Waffenlager in Belgorod gegeben, so Wereschtschuk. Und dieser Vorfall mache deutlich, wie gefährlich der unprofessionelle Umgang mit Waffen durch die Russen sei.

Unterdessen ist der Generaldirektor der IAEO, Rafael Grossi, in der Ukraine eingetroffen, wo er auf dem Gelände des AKW Südukraine im Gebiet Mykolajiw mit dem Chef des ukrainischen Atomkonzerns Energoatom, Petr Kotin, zusammengetroffen ist. Dabei erklärte Kotin, die ganze Welt sei in Gefahr, solange ukrainische AKWs von russischen Invasoren kontrolliert werden.

Auf seiner Facebook-Seite kritisiert Andrij Lukjanenko, Berater bei der World Association of Nuclear Operators und ehemals im AKW Rivne tätig, die „zahnlose“ Politik der IAEO. Schuld daran, so Lukjanenko, sei der Umstand, dass der stellvertretende IAEO-Chef Michail Tschudakow sei. Und der sei ein Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB.

Die Atomexpertin Olga Kosharna, ehemalige Mitarbeiterin der staatlichen Regulierungsbehörde, findet es sehr verwunderlich, dass Rafael Grossi angeblich aus Sicherheitsgründen nicht die von den Russen besetzten AKWs Tschernobyl und Saporischschja besuchen wolle. Dabei habe die IAEO doch bis in ihre Spitze russische Mitarbeiter.

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7 Kommentare

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  • "Ein weiterer Mitarbeiter des AKW Tschernobyl wusste zu berichten, dass die russischen Soldaten vorher noch nichts von der Tschernobyl-Katastrophe von 1986 gehört hätten."

    Millenials halt, alle zwischen 2000 und 2004 geboren. Die kennen auch nur Putin als Präsidenten.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Rotation russischer Truppenteile



    --- In eine Strahlenklinik?



    ===



    In der Nacht zum Freitag haben die letzten russischen Soldaten das Gelände des havarierten Atomkraftwerks Tschernobyl verlassen.

    Die russischen Truppen hätten die Kontrolle über das Gebiet



    ====



    schriftlich



    ====



    wieder an die ukrainischen Betreiber des Atomkraftwerks übertragen,

    teilte



    ====



    die Internationale Atomenergiebehörde IAEA mit



    ====



    und berief sich auf ukrainische Angaben. Auch aus Slawutytsch, wo sich die Unterkünfte der Tschernobyl-Arbeiter befinden, zieht offenbar ein russischer Konvoi ab.

    Klartext:

    Wenn russische Truppen Teile eines benachbarten Landes überfallen und ihnen plötzlich einfällt, das sie diesen Teil des Landes eigentlich gar nicht wollen - wird das schriftlich bestätigt.

  • Wen wundert’s? In jeder Armee (und vor allem wohl der russischen) erhält der Soldat nur die Informationen, die er zur Befehlsausführung unbedingt braucht. Die eigene Gesundheit zählt eher nicht dazu. Zuviel Information hätte in diesem Fall wohl den Kampfeswillen beeinträchtigt, vielleicht sogar zur Meuterei geführt!

    • @Pfanni:

      Soldaten sollen gehorchen und nicht infragestellen - das gilt wohl überall

    • @Pfanni:

      Womögliche Todesfälle, zumindest Krankenstände und Panik bei der Truppe ist da natürlich einer Meuterei vorzuziehen?



      Die dahinterstehende Logik erschließt sich mir nicht. Aber vielleicht gibt es die ja auch gar nicht.



      Dass das Leben russischer Soldaten ihren Vorgesetzten nicht viel gilt, zeigt sich ja bei der ganzen Aktion.

  • Schon der Einmarsch über verstrahltes Gebiet ohne Schutzvorkehrungen spricht nicht gerade von Intelligenz. Sich dann noch einen Monat da aufzuhalten und Stellungen zu bauen, lässt sich nicht mehr rational nachvollziehen. Aber Menschenleben haben in Russland ja noch nie großen Wert gehabt.

  • 2G
    29449 (Profil gelöscht)

    Nicht nur, daß sie offenbar nichts von Tschernobyl gehört haben sondern offensichtlich auch, daß sie des Lesens nicht mächtig sind?!



    In der Gesamtheit eine tragische Zusammenkunft misslicher Umstände, die Einiges über die russischen Streitkräfte aussagt.



    Man kann nur hoffen, daß die Idioten nicht zuviel Schaden angerichtet haben sodaß diese tickende Zeitbombe plötzlich in Fahrt gerät!



    Wobei es diesen kremlischen Psychopathen zuzutrauen ist, daß sie genau das gerne in Kauf nehmen.

    Der Mensch ist und bleibt wohl das dümmste aller Lebewesen im Universum