Streit um Wahlrechtsreform: Abstriche an falscher Stelle
Die Ampel will den Bundestag abspecken und Gewählte draußen lassen. Besser wären weniger Wahlkreise. Oder gleich alles beim Alten zu lassen.
B undestagsabgeordnete sind ja für vieles zu gebrauchen. Zeitenwenden mit 100 Millarden abfedern. Alle Welt mit 9-Euro-Tickets in Busse und Bahnen quetschen. AfD-Abgeordnete nicht wählen. Nur wenn es um Reformen geht, die sie selbst betreffen, stehen sie sich im Weg. Das zeigt die Debatte um eine Wahlrechtsreform, mit der das Parlament verkleinert werden soll. Was da aktuell auf dem Tisch liegt, ist – man kann es gar nicht anders nennen – nur noch irre.
Die Ampelkoalition will allen Ernstes nicht mehr alle Gewählten in den Bundestag lassen. Wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr laut Zweitstimmen zustehen – wie das regelmäßig bei der CSU in Bayern der Fall ist – sollen die Gewinner mit den schlechtesten Wahlkreisergebnissen keinen Sitz mehr bekommen. Wer einen starken Gegner hatte und daher nur einen knappen Vorsprung, flöge raus. Das ist undemokratisches Lotto.
Kein Wunder, dass die Union bereits lauthals tönt, vors Verfassungsgericht zu ziehen. Zu Recht. Allerdings ist der Gegenvorschlag, den die Union präferiert, noch irrer. Er verzerrt das Wahlrecht extrem zugunsten der Großen. Hätte es bei der letzten Wahl gegolten, hätten Grüne, FDP und Linke nur jeweils rund die Hälfte ihrer Sitze bekommen. Die CSU hingegen hätte in einem kleineren Bundestag noch 17 Abgeordnete mehr als jetzt. Klar, dass das der Union gefällt.
Kurz gesagt: Beide Modelle gehören in den Schredder, weil sie das Grundproblem nicht angehen. Wenn es zu viele Wahlkreisgewinner:innen gibt, dann muss man die Zahl der Wahlkreise reduzieren. Und wenn auch das zu kompliziert ist, dann sollte man die Reform besser abblasen. Auch weil schon jetzt vermehrt Abgeordnete über die Arbeitsbelastung stöhnen. Würde das Parlament verkleinert, kann man Parlamentarier gleich reihenweise in die Burn-out-Rehazentren schicken.
Klar, ein großer Bundestag kostet. Aber ein Parlament, das wenigstens in Ansätzen Bürgernähe zulässt, weil Abgeordneten noch Zeit bleibt, das sollte einer Demokratie lieb und teuer sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär