Reform des Wahlrechts: Union sieht Verfassungswidrigkeit
Die Ampelkoalition hat sich auf einen Gesetzentwurf für ein neues Bundestagswahlrecht verständigt. Die Union äußert Kritik.
BERLIN dpa | Aus der Union kommt scharfe Kritik an den Plänen der Ampelkoalition zur Reform des Wahlrechts. Der Vorschlag sei verfassungswidrig, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, dem Nachrichtenportal The Pioneer. „Gewählten Wahlkreiskandidaten das Mandat zu verweigern, ist eine eklatante Missachtung des Wählerwillens und des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips.“
Der Obmann der Union in der Kommission zur Reform des Wahlrechts, Ansgar Heveling, sagte dem digitalen Medienhaus Table.Media, SPD, Grüne und FDP legten „die Axt an unser personalisiertes Verhältniswahlrecht“. „Wer auf verfassungsrechtlichem Sand baut, muss damit rechnen, dass das Verfassungsgericht angerufen wird“, warnte der CDU-Politiker. Sein CSU-Kollege Müller sagte: „Die Ampel sollte bei diesem Thema lieber zusammen mit uns an machbaren Lösungen für eine Verkleinerung des Bundestages arbeiten.“
Die Ampel-Fraktionen hatten einen Gesetzentwurf für eine Wahlrechtsreform vorgelegt, der den Bundestag wieder auf seine Regelgröße von 598 Abgeordneten verkleinern würde. Durch Überhang- und Ausgleichsmandate war das Parlament immer weiter gewachsen – auf zuletzt 736 Abgeordnete. Der Gesetzentwurf von SPD, Grünen und FDP sieht nun vor, dass es künftig keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben soll. Dies kann zur Folge haben, dass in einem Wahlkreis direkt gewählte Abgeordnete keinen Sitz im Bundestag erhalten.
Die Vorsitzenden der Ampel-Fraktionen im Bundestag schickten den Gesetzentwurf am Sonntag an CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU). In einem Schreiben boten sie Gespräche darüber an.
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Mandate erringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Diese zusätzlichen Mandate darf die Partei behalten. Die anderen Parteien erhalten dafür Ausgleichsmandate. CDU und vor allem CSU haben in den vergangenen beiden Legislaturperioden eine wirksame Wahlrechtsreform verhindert, weil sie von den geltenden Regelungen am meisten profitierten.
Leser*innenkommentare
Christian Schmidt
Die CSU sagt gewählten Wahlkreiskandidaten das Mandat zu verweigern ist „eine eklatante Missachtung des Wählerwillens und des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips“??? Aber genau so läuft dass doch in Bayern - wenn dort jemand einen Wahlkreis gewinnt aber die Partei unter 5% liegt bekommt der Wahlkreiskandidat kein Mandat!
Rechenfix
Wenn ein Kandidat 23% hat und drei andere zwischen 18 und 22 kann ich den Wählerwillen für den mir 23 nicht so recht erkennen. Die Union sollte nochmal nachdenken.
Alternativen
Britisches Wahlrecht
149 Wahlkreise
Bmit
Ich stimme der Union ungern zu, aber wenn direkt gewählte Abgeordnete nicht ins Parlament kommen ist das ein Problem. Ich habe lieber ein paar Überhangmandate mehr als auf den gelegentlichen Christian Ströbele zu verzichten.
nutzer
man könnte ja auch die Wahlkreise vergrößern und die Überhangmandate beibehalten. Je nach Größenzuschnitt kommt man dann auch auf die Normgröße.
Wenn das zu meitbestimmungsunfreundlich empfunden wird, bleibt auch die Möglichkeit die Normgröße zu erhöhen. Undemokratisch sind die ja nicht, das sind auch gewählte Abgeordnete.
Finanziell gibt es auch größere Ausgaben, die fraglich sind, als Bundestagsmandate.
Descartes
@nutzer Den Zuschnitt der Wahlkreise anzugehen wäre auch mein erster Gedanke. Ich weiß nicht was dagegen spricht, die Anzahl der Wahlkreise zu reduzieren ohne am System fundamental etwas zu verändern. Das sollte eigentlich die konfliktärmste Option sein.
resto
Warum geht man nicht an die Zweitstimmen ran? Bei der Erststimme haben die Wähler:innen wenigsten noch etwas Einfluss darauf, wer sie im Parlament repräsentieren soll. Bei der Bevorzugung der Zweitstimmen haben einmal wieder die Parteien die Oberhand. Das würde wieder etwas weniger an Demokratie bedeuten.
Herma Huhn
@resto Ihr Vorschlag würde darauf hinauslaufen, die Zweitstimme vollständig abzuschaffen.
Dies wäre aber ein gewaltiger Schnitt in der Parteienlandschaft. In den Ländern, die so wählen gibt es in der Regel genau zwei Parteien, die sich innerhalb ihrer Reihen in Flügelkämpfen lahmlegen. Mit Ihrer eigenen Stimme wird es unmöglich, auf diese Flügelkämpfe Einfluss zu nehmen, weil Sie nur den einen Kandidaten haben, den Sie wählen können oder nicht.
Beim jetzt neen Vorschlag werden die Zweitstimmen auch nicht unbedingt bevorzugt, denn die Listenkandidaten haben bei entsprechender Anzahl an Direktmandaten keine Chance mehr, ins Parlament zu kommen.
Und gestrichen werden ja nicht die Direktkandidaten, die auf der Liste weiter hinten stehen, sondern die, die im Wahlkreis das schlechteste Ergebnis hatten, die also ohnehin nicht die Mehrheit der Wähler hinter sich haben.
Charlie Foxtrot
@resto Weil dann in einem Wahlkreis das Prinzip gaelte The winner takes it all und alle unterlegenen Stimmen wegfallen. Beides sinnvoll zu kombinieren bleibt die Quadratur des Kreises und wie alles in der Demokratie schwierig