Streit um Rechtsstaat und EU-Haushalt: Ungarn und Polen blockieren
Der Streit um die Bindung von EU-Geldern an Rechtsstaatsprinzipien eskaliert. Ungarn und Polen legen ein Veto gegen die Corona-Aufbaufonds ein.
Merkel hatte das Budget, das auch den schuldenfinanzierten Corona-Aufbaufonds enthält, beim EU-Gipfel im Juli durchgesetzt. Damals spielte der Rechtsstaats-Mechanismus nur eine Nebenrolle. Erst Wochen später legte der deutsche EU-Ratsvorsitz einen Vorschlag vor, der dann vom Europaparlament noch einmal nachgeschärft wurde. Dies führte jetzt zum Eklat mit Ungarn und Polen.
Die ungarische Justizministerin Judit Varga warf der EU Erpressung vor: „Wenn es um die Zukunft unserer Kinder und Enkel geht, schließen Ungarn und die ungarischen Menschen keine Kompromisse, sei es, dass dies einen Freiheitskampf bedeutet oder ein einfaches Veto.“ Die polnische Regierung erklärte, der geplante Mechanismus bedeute „vollkommen willkürliche Entscheidungen“.
Die Frage, ob EU-Mittel mit der Achtung der Rechtsstaatlichkeit in Verbindung gebracht werden könnten, sei „grundlegend für die Zukunft Polens“, sagte der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro. Für Polen gehe es darum, ob es ein souveränes Land innerhalb der EU sei oder „der politischen und institutionalisierten Versklavung unterworfen wird“.
Am Morgen hoffte man noch, dass Ungarn und Polen bluffen
Beide Länder fürchten, dass das neue Instrument zu Kürzungen von EU-Hilfen führen werde. Tatsächlich ist genau das geplant. Allerdings können Finanz-Sanktionen nur dann ausgelöst werden, wenn es neue Verstöße gegen den Rechtsstaat gibt, wenn die EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag macht und der Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit zustimmt. Die Hürden sind hoch.
Merkel war Ungarn und Polen bei der Formulierung des Rechtsstaats-Mechanismus entgegen gekommen. Zudem hoffte man noch am Montagmorgen in Berlin, dass Budapest und Warschau nur bluffen und bei der Abstimmung am Nachmittag auf ein Veto verzichten würden. Doch diese Hoffnung ist nun zerstoben. „Wir sind zurück in einer Krise“, sagte ein hochrangiger EU-Diplomat.
Ob und wie sich diese Krise lösen lässt, ist offen. Der deutsche Ratsvorsitz könnte versuchen, Ungarn und Polen noch umzustimmen. Auch eine Zusatzerklärung wird erwogen, die die Bedenken der beiden Länder aufnehmen würde. Danach könnte es eine zweite Abstimmung geben. Als wahrscheinlicher gilt jedoch, dass der Streit zur Chefsache wird und auf den EU-Videogipfel am Donnerstag wandert.
Merkel könnte dort mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban und dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki sprechen. Eine öffentliche Aussprache birgt aber Risiken – es könnte zum offenen Streit kommen. So haben Frankreich und die Niederlande schon klar gemacht, dass sie auf dem Rechtsstaats-Mechanismus bestehen.
Es drohen Verzögerungen beim Corona-Aufbaufonds
Die Blockade kommt zu einem für die EU und Deutschland kritischen Moment. Das EU-Budget ist bisher der einzige greifbare Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft. Der Rechtsstaatsmechanismus war eine „rote Linie“ für das Europaparlament. Nun möchte niemand mehr dahinter zurückgehen. Merkel steckt in einer Zwickmühle.
Zugleich drohen beim dringend benötigten neuen Corona-Aufbaufonds, der Teil des Budgets ist, weitere Verzögerungen. Die ersten Gelder aus dem 750 Milliarden Euro schweren Fonds dürften nun erst im Frühsommer 2021 ausgezahlt werden. Dabei tobt die Coronakrise jetzt schon, vor allem in Südeuropa droht eine neue Rezession.
Der Europaabgeordnete Jens Geier warnte vor faulen Kompromissen. „Wenn die Verteidigerinnen und Verteidiger von Rechtsstaat und Demokratie sich in Geiselhaft nehmen lassen, haben wir verloren“, sagte der Chef der SPD-Gruppe im Europaparlament. Die AfD bezeichnete das Veto hingegen als letzte Chance, um den Gang in eine „Schuldenunion“ zu verhindern.
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