Streit um Nawalny und Nord Stream 2: Russisches Gas nicht alternativlos
Die Bundesregierung diskutiert, Nord Stream 2 auf Eis zu legen. Energieexpert:innen sind sich uneins, ob Deutschland sich das leisten kann.
Im Januar 2009 fehlte mitten im kalten Winter in Europa russisches Gas. Bis hin nach Österreich brach die Versorgung ein, in den Medien kursierten Berechnungen, wie lange die Speicher wohl noch ausreichen würden, bis Heizungen teilweise ausfallen.
Solche Streite gab es in der Vergangenheit immer wieder, doch Europa hat daraus gelernt: Durch den Ausbau von Flüssiggasterminals und der Speicherkapazität könne heute selbst ein kompletter Ausfall russischer Lieferungen kompensiert werden, sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Versorgungssicherheit ist eine der Hauptargumente für Nord Stream 2, der fast fertigen Erdgaspipeline durch die Ostsee. Europa sollte damit bei einem erneuten Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine nicht mehr um seine Raumwärme bangen müssen. „Die Hauptmotivation für Russland zum Bau von Nord Stream 2 kann nur geostrategisch sein, man will offenbar die Pipelines durch die Ukraine umgehen“, sagt Kemfert.
Man brauche keinen zusätzlichen Strang durch die Ostsee, da der Gasbedarf in Europa nicht steigen werde und die existierende Gasinfrastruktur ausreiche, so Kemfert. Betriebswirtschaftlich mache das Projekt ebenso wenig Sinn.
Gaspreise könnten steigen
Tatsächlich hängt die Wirtschaftlichkeit der Pipeline maßgeblich an der Klimapolitik der EU: Sollte vor allem im Gebäudesektor kräftig investiert werden und die Nachfrage nach Gas zum Heizen sinken, würde auch die Wirtschaftlichkeit der Pipeline leiden.
Kaum einen Effekt dürfte dagegen die geplante Wasserstoffstrategie der EU und der Bundesregierung haben. Die sieht vor, Erdgas oder Kohle in der Industrie durch regenerativ erzeugten Wasserstoff zu ersetzen. Allerdings mit nur 5 Gigawatt bis 2030. Das entspricht weniger als einem Zehntel der Leistung, die Nord Stream 2 abdecken kann.
Dennoch hält der Energieexperte Vitaly Yermakov vom britischen Oxford Institute for Energy Nord Stream 2 nicht für nutzlos. Zunächst hält er den wirtschaftlichen Verlust für Russland bei einem Aus der Pipeline, sieht man von den Investitionskosten ab, für überschaubar: Das geringere Angebot an Erdgas in Europa würde perspektivisch auch die Preise steigen lassen, also die Erlöse erhöhen, die Russland mit seinen anderen Pipelines erzielt.
Auch der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft schreibt: Mögliche Alternativen für das russische Gas wären Fracking-Gas aus den USA, Flüssiggas aus Russland und Katar oder weiteres Pipelinegas aus Algerien, Libyen sowie Aserbaidschan. „Das Gasangebot auf dem Markt wäre aber in jedem Fall geringer als erhofft, die Preise wären für Erdgaskunden höher“, schreibt der Ostausschuss-Vorsitzende Oliver Hermes. Auch Kemfert sieht in ihren Modellen entsprechende Ersatzlieferungen aus anderen Länder zu höheren Preisen vor.
Ende der Lebensspanne
Yermakov kritisiert zudem: „Der Fehler, den jeder zu machen scheint, ist, dass russisches Gas an jedem beliebigen Exportpunkt erhältlich ist“, sagt er. Das sei aber nicht der Fall: Die Pipelines durch die Ukraine würden mit Gas aus Feldern beliefert, die allmählich an Leistungsfähigkeit verlieren, auch die Leitungen selbst seien am Ende ihrer Lebensspanne.
Nord Stream 1 und 2 dagegen würden Gas aus den neuen Felder auf der Jamal-Halbinsel transportieren – und da seien die neuen Ostsee-Pipelines wesentlich kürzere Transportrouten.
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