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Streit um Cannabis-GesetzEtwas zu freigiebig

Das Cannabisgesetz fliegt von der Agenda im Bundestag. Stattdessen beschäftigt sich die Innenministerkonferenz damit.

Immer noch kein Deckel drauf: Cannabislegalisierung Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Die Teillegalisierung des Cannabisanbaus und -konsums schien in den Regierungsfraktionen final abgestimmt, nächste Woche sollte das Gesetz im Bundestag beschlossen werden. Nun revoltieren SPD-Innenpolitiker. Das Gesetz liefere keine einzige Antwort auf die drängenden Fragen der Drogenpolitik, sagte Sebastian Fiedler, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zur taz. Statt im Bundestag steht das Cannabisgesetz nun bei der am Donnerstag beginnenden In­nen­mi­nis­te­r­kon­fe­renz auf der Agenda.

Der Gesetzentwurf sieht vor, in einem ersten Schritt Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz herauszunehmen, den Anbau zu Hause sowie in Anbauclubs unter Auflagen zu erlauben. Begleitend ist eine Präventionskampagne geplant. In einem zweiten Schritt sollen Modellprojekte zur Abgabe in lizenzierten Geschäften eingeführt werden. Ziel sei, so hatte es Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) immer wieder betont, die Abkehr von einer gescheiterten Cannabispolitik mit allen negativen Folgen der Kriminalisierung bei trotzdem steigenden Kon­su­men­t*in­nen­zah­len.

„Das Gesetz hätte, so wie es ist, überhaupt keinen Effekt auf die organisierte Kriminalität“, bemängelt nun SPD-Innenpolitiker Fiedler. Es gebe schließlich kaum eine kriminelle Vereinigung, die nur mit Cannabis handele. Auch die kleinen Dealer würden weiterverkaufen, etwa „an Kinder und Jugendliche und an die, die keinen grünen Daumen haben oder sich nicht in einem Anbauclub anmelden wollen und die, die einen höheren Wirkstoffgehalt konsumieren wollen, als sie legal bekommen könnten.“

Nein-Stimmen aus der SPD-Fraktion

Fiedler hätte deswegen als ersten Schritt die Einführung der Modellprojekte begrüßt, um dann nach einer Evaluierung den für Deutschland geeigneten Weg der Legalisierung einzuschlagen. Stattdessen dürfe nun „plötzlich jeder Erwachsene, egal ob vorbestraft oder nicht, zu Hause anbauen, ohne dass er von irgendjemandem kontrolliert wird“. Fiedler kritisiert außerdem, dass beim Konsum statt ursprünglich 200 Metern nur noch 100 Meter Abstand zu Kinder- und Jugendeinrichtungen einzuhalten sind.

„Wenn das Gesetz so zur Verabschiedung in den Bundestag gekommen wäre, hätte es einen durchaus sichtbaren Teil von Neinstimmen aus unserer Fraktion gegeben“, so Fiedler.

Von den In­nen­po­li­ti­ke­r*in­nen der mitregierenden Grünen und FDP werden die Bedenken allerdings kaum geteilt. „Die Kritik an der Kompromisslösung ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagte FDP-Innenpolitiker Manuel Höferlin der taz. Nur mit praktikablen Lösungen könne man Verkauf und Konsum aus dem Schwarzmarkt herausholen, so Höferlin. Marcel Emmerich, Obmann der Grünen im Innenausschuss, erklärte: „Niemand sollte die Erwartung wecken, dass sich die organisierte Kriminalität mit dem Cannabisgesetz von heute auf morgen gänzlich abstellen ließe.“

Man sei bei der Legalisierung „auf der Zielgeraden“, bemühten sich auch die SPD-Fraktionsvizevorsitzenden Dirk Wiese und Dagmar Schmidt um Wiederherstellung der Einigkeit. Ziel sei, die Legalisierung „praktikabel und rechtssicher“ umzusetzen.

Auf der Innenministerkonferenz soll nach taz-Informationen über „Auswirkungen der Legalisierung auf die Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden“ diskutiert werden. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) bringt dort noch einen weiteren Punkt ein: die Verkehrssicherheit. Hier seien die Folgen des Gesetzes „brandgefährlich“, so Strobl zur taz. In seinem Bundesland seien schon heute rund 70 Prozent der Drogenfahrten auf Cannabis zurückzuführen.

Ob tatsächlich diese Meinungsverschiedenheiten der Grund für die Verzögerung sind, ist fraglich. Nicht nur SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat dieser Tage betont, eine Lösung im Haushaltsstreit habe oberste Priorität. Dem mit einem Beschluss ausgerechnet zur Cannabis-Freigabe zuvorzukommen, stand vielleicht gerade nicht auf der Tagesordnung.

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21 Kommentare

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  • Oh man…

    Es ist ja unstrittig, dass mit dem Cannabisgesetz in erster Linie Gewohnheitskonsumenten entkriminalisiert werden. Wer alle paar Wochen mal eine Tüte rauchen will wird dafür keiner Anbauvereinigung beitreten und auch nicht zum Cannabis-Kleinbauer werden um daheim bis zu drei Pflanzen wachsen zu lassen, ja.



    Aber die Gruppe der Gewohnheitskonsumenten sorgen leider für einen permanenten Geldfluß in Richtung von kriminellen Gruppen und dieser wird zumindest deutlich verringert.

    Und natürlich werden diese Gruppen versuchen, andere Geldquelle zu erschließen und natürlich muss der Rechtsstaat dann dagegen vorgehen aber das Cannabisgesetz würde erst einmal dafür sorgen, dass mehrere Millionen Bundesbürger entkriminalisiert werden und das ist gut so.

    Es ist nicht perfekt, aber es ist ein Anfang.

  • "In seinem Bundesland seien schon heute rund 70 Prozent der Drogenfahrten auf Cannabis zurückzuführen." logisch bei den aktuell geltenden völlig hirnverbrannten Genzwerten. Und dass es in "seinem" Bundesland so ist, sollte ihm zu denken geben.

  • Was mich interessieren würde ist, wieviele Prozent der Fahrten unter Drogeneinfluss übrig bleiben, wenn die deutsche Hauptdroge (Alkohol) ebenfalls berücksichtigt wird? Ich tippe auf weit weniger als 10 %. Warum lässt man dann nicht auch gleich die anderen Drogen aus der Statistik raus. Dann kommt man sogar auf 100 %.

    Wieder ein Beispiel für "Glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast".

  • Ich denke eher 98% der Drogenfahrten sind auf Alkohol zurückzuführen....

  • „Niemand sollte die Erwartung wecken, dass sich die organisierte Kriminalität mit dem Cannabisgesetz von heute auf morgen gänzlich abstellen ließe.“

    Man höre und staune! War aber nicht genau das das Ziel und Hauptargument in der Debatte?!

    • @Samvim:

      Niemand hat in Aussicht gestellt oder erwartet, dass die gesamte OK infolge einer Cannnabislegalisierung sofort verschwindet. Richtig ist aber, dass jedes legal erworbene oder legal hergestellte Gramm Cannabis den Schwarzmarktumsatz reduziert.

      • @Barrio:

        Naja, eher nicht, fragen sie mal übern Teich oder in Portugal nach. Und Argumentiert wurde tatsächlich so, als würde der Drogenhandel zum Erliegen kommen

        • @Samvim:

          Eher doch, fragen Sie vielleicht mal nach:

          hanfverband.de/sch...nnabis-survey-2021

          Im Übrigen hat nun wirklich niemand geglaubt, dass durch die als "Säule 1" bezeichnete abgespeckte Cannabislegalisierung "der Drogenhandel zum Erliegen" komme. Wie denn auch?

          • @Barrio:

            Der Hanfverband ist da irgendwie keine objektive Quelle...

      • @Barrio:

        Legal hergestelltes Cannabis könnte aber auch auf dem Schwarzmarkt landen.

        • @Francesco:

          Gemeint war zum Eigengebrauch legal hergestelltes Cannabis, wie es im Gesetzesentwurf vorgesehen ist. Auch jetzt schon kann legal hergestelltes Cannabis auf dem Schwarzmarkt landen.

  • SPD-Innenpolitiker Fiedler hat Recht, wer würde schon einer piefigen Anbauvereinigung beitreten wollen. Und überhaupt, so bleiben die Lieferketten wenigstens steuerfrei. No risk no fun.

  • Völlig egal. Angebaut wird trotzdem, dann halt weiter heimlich

  • Die sind doch nicht mehr ganz sauber. Den Schwarzmarkt kann man nur mit legalen Verkauf unterbinden. Aber da macht die EU nicht mit. Ich will mein Zeug legal selbst ziehen und gut.

  • "In seinem Bundesland seien schon heute rund 70 Prozent der Drogenfahrten auf Cannabis zurückzuführen."

    Passiert, wenn die Grenzwerte überhaupt keinen Sinn machen. Aktuell ist es wohl egal, ob jemand berauscht oder einen Tag später wieder nüchtern fährt. In beide Fällen ist der Grenzwert überschritten. Hier brauchen wir endlich eine vernünftige und Transparente Regelung, sonst kann man sich nämlich garnicht bewusst an Gesetze halten.

    • @Martin Weber:

      Richtig. Das dem Strobl nicht einmal auffällt, dass seine Aussage bezüglich der Verkehrssicherheit absoluter Schwachsinn ist, ist schon traurig.

  • 8G
    81283 (Profil gelöscht)

    d(…)land ist so zukunftsfähig wie ein toter esel in salzsäure.

    • @81283 (Profil gelöscht):

      Ich hatte noch nie etwas gegen Leute, die kiffen. Und ich war/bin auch dagegen, das zu kriminalisieren. Aber die Zukunft unseres Landes hängt mit Sicherheit nicht davon ab, ob man hier (legal) kiffen kann.

      • @Al Dente:

        Für mich als Cannabis-Dauerkonsumenten (seit 25 Jahren), gibt es kein unwichtigeres Thema als die Cannabis-Legalisierung. Die Regierung sollte sich um die wesentlichen Dinge kümmern also im Moment v.a. um Industrie- und Rüstungspolitik!

      • @Al Dente:

        Und der Staat hat nichts besseres zu tun, als Cannabisuser wie Schwerverbrecher zu behandeln, während hunderte Millionen Umsatz durch bayerische Staatsbrauereien gemacht werden bei 75000 Alkoholtoten jährlich. Multitasking ist nicht so ihr Ding? Andere Regierungen auf der Welt können auch unterschiedlich priore Themen gleichzeitig bearbeiten. Zumal der Aufwand gegen Cannabisuser völlig unverhältnismäßig ist, und nachweislich auch keinen Nutzen bringt.

  • " Stattdessen dürfe nun „plötzlich jeder Erwachsene, egal ob vorbestraft oder nicht, zu Hause anbauen, ohne dass er von irgendjemandem kontrolliert wird“. "

    Ja, Herr Fiedler, genau das ist der Sinn davon. Bürgerliche Freiheiten und SPD-Innenpolitiker sind zwei Dinge, die nicht so recht zusammenpassen.