Streit um Botschafter in der Türkei: Kotau vor Erdoğan
Eine Drohung von Erdoğan – und Biden und Co. knicken ein. Der inhaftierte Menschenrechtler Osman Kavala wird so vom Westen im Stich gelassen.
E ine Woche hielt die Offensive für Menschenrechte und eine unabhängige Justiz des Westens gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan an, dann rollten die aufrechten Kämpfer aus den USA, Deutschland, Frankreich und Skandinavien ihr Fähnchen wieder ein. Nachdem der türkische Präsident wutentbrannt und publikumswirksam mit dem Rauswurf der Botschafter der zehn Länder gedroht hatte, die die Freilassung des Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala gefordert hatten, schalteten diese den Rückwärtsgang ein. Auch wenn ein Sprecher des amerikanischen Außenministeriums anschließend behauptete, die USA würden sich selbstverständlich weiterhin weltweit für die Menschenrechte einsetzen und auch das Schicksal von Osman Kavala im Auge behalten, ein Kotau vor Erdoğan war es dennoch.
Um den Rausschmiss abzuwenden, veröffentlichte die US-Botschaft und dann auch die anderen neun Botschaften just zu dem Zeitpunkt, als das türkische Kabinett über den Rauswurf abschließend beriet, eine zuvor mit Erdoğans außenpolitischem Berater Ibrahim Kalin abgestimmte Erklärung. Diese sagte, zwar diplomatisch verbrämt, aber dennoch für Erdoğan deutlich genug: Sorry, wir werden es nicht wieder tun. Damit war der Rauswurf der Botschafter zwar abgewendet, die Freilassung von Osman Kavala aber auch.
Vor allem bot das Vorgehen des Westens Erdoğan eine großartige Gelegenheit, sich wieder einmal als starker Mann zu inszenieren, der nicht nur die USA, sondern halb Europa plus Kanada und Neuseeland in ihre Schranken weisen kann. Ein Propagandaerfolg, der für den angeschlagenen Präsidenten genau zur rechten Zeit kam.
Angeführt und initiiert hatten den Vorstoß der zehn Botschaften die USA. Was hatte Biden eigentlich erwartet? Dass Erdoğan sofort den ihm verhassten Osman Kavala freilassen würde? Wenn man öffentlich so in die Vollen geht, wie es die zehn westlichen Länder mit ihrer Erklärung für Kavala am 18. Oktober getan haben, sollte man sich vorher überlegt haben, wie man den Konflikt führen will. Beim ersten Widerstand einzuknicken, erweist der angeblich guten Sache einen bösen Dienst. Biden hat sich schon in Afghanistan als schlechter Stratege erwiesen, gegenüber Erdoğan hat er seine außenpolitische Unfähigkeit erneut unter Beweis gestellt. Und die Bundesregierung gleich mit.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links