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Streit um Botschafter in der TürkeiKotau vor Erdoğan

Kommentar von Wolf Wittenfeld

Eine Drohung von Erdoğan – und Biden und Co. knicken ein. Der inhaftierte Menschenrechtler Osman Kavala wird so vom Westen im Stich gelassen.

Präsident Erdogan bei einer Pressekonferenz am 25. Oktober Foto: PPO/reuters

E ine Woche hielt die Offensive für Menschenrechte und eine unabhängige Justiz des Westens gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan an, dann rollten die aufrechten Kämpfer aus den USA, Deutschland, Frankreich und Skandinavien ihr Fähnchen wieder ein. Nachdem der türkische Präsident wutentbrannt und publikumswirksam mit dem Rauswurf der Botschafter der zehn Länder gedroht hatte, die die Freilassung des Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala gefordert hatten, schalteten diese den Rückwärtsgang ein. Auch wenn ein Sprecher des amerikanischen Außenministeriums anschließend behauptete, die USA würden sich selbstverständlich weiterhin weltweit für die Menschenrechte einsetzen und auch das Schicksal von Osman Kavala im Auge behalten, ein Kotau vor Erdoğan war es dennoch.

Um den Rausschmiss abzuwenden, veröffentlichte die US-Botschaft und dann auch die anderen neun Botschaften just zu dem Zeitpunkt, als das türkische Kabinett über den Rauswurf abschließend beriet, eine zuvor mit Erdoğans außenpolitischem Berater Ibrahim Kalin abgestimmte Erklärung. Diese sagte, zwar diplomatisch verbrämt, aber dennoch für Erdoğan deutlich genug: Sorry, wir werden es nicht wieder tun. Damit war der Rauswurf der Botschafter zwar abgewendet, die Freilassung von Osman Kavala aber auch.

Vor allem bot das Vorgehen des Westens Erdoğan eine großartige Gelegenheit, sich wieder einmal als starker Mann zu inszenieren, der nicht nur die USA, sondern halb Europa plus Kanada und Neuseeland in ihre Schranken weisen kann. Ein Propagandaerfolg, der für den angeschlagenen Präsidenten genau zur rechten Zeit kam.

Angeführt und initiiert hatten den Vorstoß der zehn Botschaften die USA. Was hatte Biden eigentlich erwartet? Dass Erdoğan sofort den ihm verhassten Osman Kavala freilassen würde? Wenn man öffentlich so in die Vollen geht, wie es die zehn westlichen Länder mit ihrer Erklärung für Kavala am 18. Oktober getan haben, sollte man sich vorher überlegt haben, wie man den Konflikt führen will. Beim ersten Widerstand einzuknicken, erweist der angeblich guten Sache einen bösen Dienst. Biden hat sich schon in Afghanistan als schlechter Stratege erwiesen, gegenüber Erdoğan hat er seine außenpolitische Unfähigkeit erneut unter Beweis gestellt. Und die Bundesregierung gleich mit.

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14 Kommentare

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  • 3G
    33955 (Profil gelöscht)

    Wer zu einer "Partnerschaft" mit einem Diktator steht, sollte zunächst begreifen;



    1. dass er, eigentlich, keine Partnerschaft sucht- die gleichwertig ist.



    2. Seine Soziale politische & religiöse Hintergrunde- Umgangssprache.



    3. dass es notwendig ist zuvorkommend zu agieren und nicht hinterher zu hinken.



    Im EU-Parlament sitzen viele Menschen die viel Geld kosten und sehr wenig leisten- für Erdogan sind sie ein Haufen von Marionetten die die Lage nicht verstehen, oder vordergründig die kulinarische Angebote Brüssels schmecken.



    Ich sehe kein Grund warum die Botschafter der EU in der Türkei prä- Gerichtsurteil Kavalas noch dort sitzen!?

  • Man kann den diplomatischen Rückzieher der zehn westlichen Botschafter zurecht als Kotau vor dem Autokraten Erdogan bezeichnen … allerdings sind die Tage des “Despoten vom Bosporus” gezählt: sein eigener angeschlagener Gesundheitszustand, die Wirtschaft auf rasanter Talfahrt und die türkischen Wähler laufen ihm in Scharen davon.



    Zeit, über die Gestaltung der europäisch/deutsch-türkischen Beziehungen in der Nach-Erdogan-Ära nachzudenken.



    Für Menschenrechtler wie Osman Kavala wird es auch dann schwierig bleiben … stellen sie doch mit ihrem Engagement für eine zivilgesellschaftliche multiethnische und -kulturelle Türkei eine echte Gefahr für die omnipräsente kemalistisch-nationalistische Staatsideologie dar. Eine wirkliche Anerkennung der griechischen, armenischen, kurdischen und anderen Minderheiten Anatoliens wird auch unter einer CHP-Regierung - wie schon in der Vergangenheit - nicht erfolgen, denn auch die republikanische/sozialdemokratische Opposition ist - und noch mehr als die regierende islamistische AKP - trotz ihres Laizismus der nationalen Einheitsdoktrin des Staatengründers Kemal Atatürk zutiefst verpflichtet … diese hat in der Türkei ungefähr dieselbe gesellschaftspolitische Bedeutung wie der Zionismus in Israel.

    • @Abdurchdiemitte:

      Das war einmal. Mit dem kemalistischen Erbe des Laizismus hat Erdogan doch längst zu Gunsten einer islamisch-konservativen Politik aufgeräumt, teils aus Überzeugung, teils weil er die Stimmen des religiös-reaktionären Lagers brauchte.

      • @Ingo Bernable:

        Vergessen Sie nicht, dass neben dem Laizismus der Nationalismus eine zentrale Säule der türkischen Republik ist … dieser ist nicht von Erdogan erfunden worden, im Gegenteil, zu Beginn seiner Amtszeit bestanden durchaus Hoffnungen, dass der türkische Nationalismus überwunden werden und man deshalb Fortschritte beispielsweise in der Kurdenpolitik erreichen könne. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt.



        Die AKP vertritt keine rein islamistische Politik, sondern eine Synthese aus gemäßigtem politischen Islam und kemalistischer Staatsdoktrin … letzteres verbindet sie mit der größten türkischen Oppositionspartei, der CHP, deren Haltung nicht minder nationalistisch als die der AKP ist (auch wenn diese sich als Sozialdemokraten sehen).



        Eine grundsätzlich andere, von diesen Prinzipien abweichende Position bezieht im türkischen Parlament nur die prokurdische HDP, weshalb ihre Politiker der Verfolgung durch die Staatsorgane und die Partei selbst der permanenten Verbotsdrohung ausgesetzt sind … wobei die Bezeichnung als “prokurdisch” (inklusive des Terrorismusverdachts bzw. der vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Nähe) schon eine staatliche Denunziation aller Menschen in der Türkei ist, die sich für Minderheitenrechte sowie zivilgesellschaftliche und demokratische Veränderungen einsetzen.

  • Was bleibt dem Westen übrig?

    Die EU hat Erdogan zu ihrem Zuwanderungs-Schleusenwärter gemacht.

    Klar, dass Erdogan dieses wunderbare Erpressungspotential voll ausschöpft.

    Wie z. B. im letzten Jahr gegen 300.000 Kurden, die Erdogan im Grenzgebiet zu Syrien durch seine Milizen vertreiben ließ.

    Und der Westen war ganz still.

  • Zum vollständigen Bild gehört wäre aber auch noch zu erwähnen, dass die Kritiker der Botschafter*innen keine Punkte betrifft die sich diese originär ausgedacht hätten, sondern lediglich wiederholt was der EGMR schon im letzten Jahr urteilte. Diese Entscheidung ist für die Türkei als Mitglied des Europarates rechtsverbindlich. Die Angelegenheit ist demnach keine rein innertürkische, sondern betrifft internationales Recht und damit beschädigt das Einknicken gegenüber Erdogan auch die Rolle des EGMR.



    www.amnesty.de/all...gshaft-verlaengert

  • Die Fahnen sehen immer aus wie „Fang den Hut“ Hütchen bei Erdogan.

    Warum sollte der „Westen“ auf einmal anders mit der Türkei umgehen als bisher. Mich wundert das alles nicht.

  • "Kotau"? Weshalb mischen sich Botschafter in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates ein. Solche Kritik ist allenfalls den Außenministern und Staatschefs vorbehalten.

    Hier haben 10 Botschafter vollkommen unnötiger Weise eine Krise losgetreten und letztendlich Herrn Erdoğan zu einem Etappensieg geholfen. Glückwunsch! Es bleibt die Frage, ob die jeweiligen Außenministerien involviert waren oder nicht. Wie dem auch sei, die jeweiligen Botschafter sind verbrannt und sollten mittelfristig ausgetauscht werden.

    • @DiMa:

      Botschafter sind die Repräsentanten ihrer Staaaten vor Ort.

      Bis auf die USA sind alle beteiligten Staaten Vertragsstaaten des EGMR -- und haben damit ein vitales Interesse daran, dem Vertrag und damit dem EGMR und dessen Urteilen Geltung zu verschaffen.

      • @flip flop:

        Ungeachtet dessen gilt das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen. Botschafter sind damit Gäste und haben sich in die inneren Angelegenheiten des Gastgeberstaates nicht einzumischen. Sie können allenfalls Nachrichten überbringen oder empfangen.

        Wenn man den Urteilen Geltung verschaffen möchte, dann hat die Nachricht gefälligst direkt aus Berlin (oder aus anderen Hauptstädten) zu kommen.

        • @DiMa:

          Die Verletzung internationaler Abkomen und damit der Bruch internationalen Rechts sind keine inneren Angelegeheiten.

          Dieser Vorfall ist ja nicht der erste, bei dem ebensolche Rechtsbrüche von Botschaftern aufgenommen wurden.



          Es ist nur einer derer, die mit dem momentan gebräuchlichen Nicht-zuende-Denken Schlagzeilen machen.

          • @flip flop:

            Auch die Ahndung etwaiger Verstöße gegen völkerrechtliche Verträge obliegt nicht den Botschaftern persönlich sondern den jeweiligen Außenministern.

            Sollte dieses Verhalten nicht mit den Ministerien abgestimmt gewesen sein und von den Botschaftern eigenmächtig vorgenommen worden sein, dann läge eine Überschreitung der Vertretungsmacht vor.

            Wenn Botschafter in der Vergangenheit Rechtsbrüche eigenmächtig vorgetragen haben sollten, dann müsste in der Botschafterausbildung ein wenig nachgeschäft werden.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Der inhaftierte Menschenrechtler Osman Kavala wird so vom Westen im Stich gelassen."



    Genauso ist es.

    Die Darstellungen des Sachverhaltes sind in den anderen Medien z.T. widersprüchlich, so scheint mir.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Ich stimme Ihnen zu … und mit Kavala werden all diejenigen Menschen in der Türkei im Stich gelassen, die sich dort für demokratische und zivilgesellschaftliche Prinzipien sowie für Minderheitenrechte einsetzen. Und übrigens auch diejenigen, die sich gegen den Raubbau an der Natur in der Türkei wehren. wie ihn die Erdogan-Regierung mit ihren größenwahnsinnigen Prestigeobjekten betreibt.